Eine gefährliche Verbindung

Fabel zum Thema Macht

von  EkkehartMittelberg

Der Löwe, der schon lange regiert hatte, wollte nicht wie sein Vorgänger eines gewaltsamen Todes sterben.
Er glaubte, dass diese Gefahr umso größer sei, je mehr Unzufriedenheit in seinem Reiche herrschte.
Um dies festzustellen, hatte er sich früher verkleidet auf Märkte und in Tavernen begeben.Aber man konnte sich auf diesen Stimmungstest nicht mehr verlassen; denn die Untertanen jammerten zum Zeitvertreib, auch wenn sie nicht wirklich unzufrieden waren.

Also berief er seinen Thronrat ein, der differenzierte Umfragen durchführte.
Der Fuchs meldete sich zuerst zu Wort und sprach: “Ihr sorgt euch ohne Grund, Durchlaucht; denn landauf und landab wird Eure Weisheit gepriesen.“
Der auf die Schlauheit des Fuchses eifersüchtige Dachs erkannte die Möglichkeit einer schmeichelhaften Ergänzung und so fügte er hinzu: “Edler Herrscher, Ihr könnt wirklich ruhig schlafen, weil neben Eurer Weisheit allenthalben noch Eure Herzensgüte gelobt wird.“
Die anderen Tiere beeilten sich, die Huldigung der beiden mit Beispielen zu bestätigen.
Danach kehrte Stille ein, und der Löwe verfiel in langes Nachdenken.

Schließlich erwiderte er dem Fuchs und dem Dachs: “Ihr meint es gut mit mir. Aber ihr habt mir die Augen dafür geöffnet, das sich meine Herrschaft auf der Verbindung zweier Eigenschaften gründet, die für einen Herrscher gefährlicher sind als Unzufriedenheit. Die Weisheit mag gut sein für Philosophen. Die Weisen sind gute Interpreten. Wenn sie jedoch mehr eingreifend handeln würden, hätten sie statt stiller Neider offene und darum berechenbare Feinde, weil der, welcher etwas verändert, immer die Interessen von irgendjemandem beschneidet. Wenn aber dem Weisen außerdem nachgesagt wird, dass er gütig sei, gilt er als zahn- und prankenlos. Das fordert Ehrgeizige heraus, die nach seiner Macht streben.
Es scheint an der Zeit zu sein, dass man mich wieder fürchten lernt.
'Oderint, dum metuant'“ *

* „ „Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten.“ – Aus einer Tragödie des Lucius Accius, zitiert zuerst bei Cicero (Philippica 1); später das Motto des Kaisers Caligula. In der Neuzeit Ausspruch Bismarcks über das preußisch-französische Verhältnis.“ (wikipedia.org/wiki/Liste_lateinischer_Phrasen)

© Ekkehart Mittelberg, April 2014

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (24.04.14)
Das stimmt heute so natürlich gaaaaar nicht mehr. Heute müsste es heißen: "Mögen sie mich hassen, wenn sie ihr Steuersenkung kriegen, werden sie mich schon wiederwählen..."

Der Löwe wird seine Herrschaft am Ende wohl stärken, aber wer seine Macht auf Furcht und Hass stützt, stirbt selten alt in seinem Bett - und hinterlässt seinen Nachfolgern oft einen Trümmerhaufen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Danke, Trekan. Es ging mir um die Darstellung des typischen autokratischen Herrschers. Der kann sich drehen und wenden, wie er will. Er findet kein Patentrezept.

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 24.04.14:
Ich weiß auch, wie man einen solchen umstimmt: Man schenke ihm einen großen Holzhammer, mit dem er sich immer auf den Kopp dreschen muss. Und dazu ein Schild: 'So fühlt sich deine Politik an'. Vielleicht wirkts...
BellisParennis (49)
(24.04.14)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 24.04.14:
Merci, Bellis. Das stimmt: Kein Herrscher kann es allen recht machen. Diesen hier juckt die Verantwortung wenig. Es geht ihm darum, sein Fell zu retten.
(Antwort korrigiert am 24.04.2014)
BellisParennis (49) äußerte darauf am 24.04.14:
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 Ganna (24.04.14)
...wer mit Macht regiert, muss einen Balanceakt ausführen...jeder Fehltritt - zu viel Güte oder zu wenig - kann zum Sturz führen...was für ein ruhiges Leben führen da die Machtlosen...

LG Ganna

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 24.04.14:
Grazie, Ganna, es wundert mich immer wieder, wie viele sich vom Glanz der Macht blenden lassen, obwohl die meisten Mächtigen auf einem dünnen Seil balancieren.

LG
Ekki
Wortpflückerin (53)
(24.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Danke, Wortpflückerin. Deinem Gedanken zu der Furcht des Löwen, die er nicht wahrhaben will, stimme ich zu. Ich habe ihn so dargestellt, dass er die Weisen insgehim verachtet, wie das bei Monarchen und Diktatoren oft der Fall ist.

Das Verhältnis von Lehrern und Schülern interpretierst du in meine Fabel hinein. Sie nimmt darauf mit keinem Wort Bezug.
Wenn ich mal eine Fabel dazu schreibe, passt dein diesbezüglicher Kommentar vielleicht.
Hofmannstropfengrüße
Ekki

 TassoTuwas (24.04.14)
Hallo Ekki,
zum Charakteristischen der Großen gehört, dass man in ihrer Nähe ständig in Gefahr ist.
Wir beide sind wohl darum nicht zum Herrscher geeignet.
Herzliche Grüße TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Ja, Tasso, wenn uns das jemand anböte, wüssten wir uns zu beherrschen. -))
Herzliche Grüße
Ekki

 Fuchsiberlin (24.04.14)
Spontan fällt mir nach dem Lesen Deiner Fabel ein Satz ein: Ein Herrscher, der (rechtzeitig) abdankt, hat oft nichts mehr zu befürchten.

Interessante und gut geschriebene Fabel.

Liebe Grüsse
Jörg

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Genauso ist es, Jörg. Aber wenn es um Macht geht, schützt bei den meisten das Alter vor Torheit nicht.
Danke und liebe Grüße
Ekki

 Didi.Costaire (24.04.14)
Eine Art der Herrschaft, die immer noch funktioniert, wenngleich ein gewaltsamer Tod weiterhin wahrscheinlich ist. Besonders gut gefällt mir die Beschreibung der Untertanen in den Tavernen.
Liebe Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Merci, Didi. Diese absoluten Herrscher giauben zwar mit Furcht länger herrschen zu können, aber es tragen zu viele den Dolch im Gewande.
Liebe Grüße
Ekki

 AZU20 (24.04.14)
Ein Dilemma jagt das andere. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Danke, Armin, so sehe ich es auch.
LG
Ekki

 susidie (24.04.14)
Ein wahrer Herrscher, der seine Untertanen so führen könnte, dass durch seine Herzensgüte verbunden mit Weisheit seiner Entscheidungen das Volk ihn ehrt und achtet, nicht hasst und fürchtet. Voraussetzung wäre allerdings, dass die so oft auftretenden Züge wie Neid und Missgunst im Volk nicht vorhanden wären. Und das ist wohl zumeist aussichtslos, weil es immer jene geben wird, die sich benachteiligt fühlen, unfair behandelt oder einfach nicht in der Lage sind einen erfüllenden Teil einer Gemeinschaft zu bilden. Egal, um welche Art es sich handelt. Es beginnt ja schon im kleinen Kreis, irgendeiner fühlt sich immer übervorteilt. Ist es erstrebenswert zu herrschen, wenn es nur dann funktioniert, wenn der Herrscher gehasst und gefürchtet wird?
Wiederum hast du eine interessante und zum Nachdenken anregende Fabel geschrieben, lieber Ekki.
Und selbst zum kleinsten Kreis, innerhalb einer Familie, fällt mir dazu viel ein. Erziehe deine Kinder mit Güte, Weisheit und Fairness und trotzdem wirst du an Grenzen stoßen, wo du Entscheidungen fällst, die dir aufgrund deiner "Macht" gegeben sind und nur befolgt werden, aus Angst vor Strafe, du also ob du willst oder nicht die Zähne zeigen musst. Das führt jetzt zu weit, aber geht mir grad durch den Kopf. Wie gesagt, sehr nachdenkenswert in jeder Richtung. Ich habe wieder zu "tun" heute :)
Liebe Grüße zu dir, Su :)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Grazie dafür, Susi, dass du zu einer Fabel, die nicht moralisierend gemeint ist, Betrachtungen anstellst, die das Dilemma und die Grenzen von Herrschaft aufzeigen.
Liebe Grüße
Ekki
Graeculus (69)
(24.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Danke. Das stimmt, Graeculus. Man könnte auch noch Hadrian erwähnen, der die Wölfin zähmte. Aber diese beiden Philosophenkaiser sind eher glückliche Ausnahmen von der Regel, dass absolute Herrscher Philosophen als schwach verachten.
LancealostDream (49)
(24.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Merci, Lanze. Man macht sich manchmal etwas vor, nur weil man nicht dazu gehört. Aber ganz ehrlich: Macht hat mich noch nie fasziniert, und sie macht mächtige Menschen, die sich sehr intelligent vorkommen, tatsächlich zu Trotteln.
LG
Ekki
Pocahontas (54)
(24.04.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.14:
Ganz recht, Sigi, wegen der Kriecher und Schleimer kann der Löwe nicht die Perspektive wechseln und deswegen glaubt er nicht an real existierende Furchtlosigkeit.

Liebe Grüße
Ekki

 irakulani (25.04.14)
Offenbar stehen Weisheit und Macht im Widerspruch zueinander. Ich fürchte, Inhaber der Macht setzen die Weisheit außer Gefecht. Vielleicht weil sie als Gefahr empfunden wird, denn sie könnte die Macht unterlaufen, in Frage stellen.

Eine interessante Fabel, lieber Ekki, die heute so aktuell wie gestern ist.

L.G.
Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.14:
Grazie especiale, Ira. Wieder einmal hast du den Nagel auf den Kopf getroffen.
Dein Kommentar beinhaltet genau die Intention, weshalb ich die Fabel geschrieben habe.

Liebe Grüße
Ekki

 ViktorVanHynthersin (28.04.14)
In Bezug auf Fuchs und Dachs, lieber Ekkehart, fiel mir ein Zitat von Lenin ein: "Ist nicht sofort ersichtlich, welche politischen oder sozialen Gruppen, Kräfte oder Größen bestimmte Vorschläge, Maßnahmen usw. vertreten, sollte man stets die Frage stellen: Wem nützt es?" Mir gefällt Deine zeitlose Fabel ausgesprochen gut.
Herzliche Grüße
Viktor

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.04.14:
Grazie, Viktor, die Frage "Cui Bono" ist uralt und hat ihre Treffsicherheit nicht verloren.
Herzliche Grüße
Ekki
Teichhüpfer (56)
(01.05.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.05.14:
Ein origineller Kommentar, Teichhüpfer. Ich danke dir.
Liebe Grüße
Ekki
Mephobia (31)
(21.05.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 21.05.14:
Danke. Über dieses schöne Lob freue ich mich sehr, Mephobia.
LG
Ekki
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