Tod im Eisentopf

Erzählung zum Thema Kinder/ Kindheit

von  WortGewaltig

Früher, als ich noch um sechs zu Hause sein musste und natürlich beim Spielen immer die Zeit vergaß da bin ich, um der Strafe fürs zu spät kommen zu entgehen, zu meiner Oma gegangen die bei uns im Haus das Erdgeschoß bewohnte. Wenn ich dann später zu meinen Eltern kam konnte ich ja sagen dass ich bei ihr war. Das hat mir wohl manche Ohrfeige in einer Zeit erspart in der der Ohrfeigen die einzigen Feigen waren die man kannte.
Omas sind ja immer alt in Kinderaugen aber sie war da wirklich schon alt. Weit über Siebzig, was ich aber nachrechnen musste da Siebzig noch kein Thema im Kindergarten war.
1901 geboren. Was sagt das über einen Menschen aus der in Deutschland um diese Zeit geboren ist ? Sie hatte den ersten Weltkrieg als Jugendliche erlebt. Mit 17 hatte sie keine Träume sondern Hunger. Und Verluste im Herz. Mein Urgroßvater blieb in diesem Krieg. Eine unheilvolle Kombination die ich erst sehr viel später wirklich nachvollziehen konnte. Trotzdem hat sie sich in dieser Zeit wohl verliebt denn kurze Zeit später hat sie meinen Opa geheiratet. Das erste Kind kam dann recht schnell und das zweite  1921. Meine Mutter wurde erst 1941 geboren, im nächsten Krieg. Da war das zweite Kind schon wieder tot. Gefallen für Volk und Vaterland. Vom Panzer geschossen, verbrannt und krepiert irgendwo auf dem Weg nach Leningrad. Sie sagte sie hätte davon geträumt in dieser Nacht. Schwanger vom Tod träumen. Ob Träume später mal das Leben beeinflussen ? Ich möchte nicht darüber nachdenken.
Bei meiner Zeitflucht hat sie mir oft vom Krieg erzählt und dabei Bratkartoffeln gemacht. In einem alten Gusseisentopf der wohl so alt war wie sie selbst. Der Topf war mit einer dicken schwarzen Kruste bedeckt. Tief eingebrannt, die ungezählten Gerichte die darin gekocht wurden. Kein steriles Geschirr wie wir es heute benutzen. Gekocht wurde noch auf einem Kohleherd da sie die modernen Stromherde nicht mochte. Mein Großvater war Bergmann gewesen. Sie hatte als Witwe Anrecht auf Kohle. Die wurde immer angeliefert und im Keller gelagert. Ich erinner mich gut an diese Lieferungen und dass die ganze Familie dann Kohleeier schaufelte. Über ein kleines Loch und eine Rutsche direkt in den Keller. Ich schaufelte nicht sondern rutschte auf der Kohle. Danach war baden angesagt und ich hab noch das Gefühl des Schwammes in den Ohren wo meine Mutter unter allerlei Gezeter versuchte den schwarzen Staub zu entfernen.
Meine Oma erzählte, während ich aß, vom Hunger, vom Krieg, von den Bombenangriffen auf die nächste Stadt, nach denen sie helfen musste die Toten unter den Trümmern herauszufischen. Von dem Ärger den sie mit dem Dorfnazi hatte als sie Ausgebombte in ihr kleines Häuschen einquartiert bekam. Habenichtse waren das. Sie hat sie kurz nach dem Krieg beerdigt. Sie hatten das Grab neben dem ihren. Ich hab beide oft gegossen später. Sie erzählte von den Franzosen die nichts hatten und von dem vielen Hunger während dessen sie meine Bratkartoffeln zubereitete. Das waren Geschichten vom Tod und von Entbehrung und es waren Geschichten in der das ganze Leid dieses Lebens zum Ausdruck kam. Und ich hörte zu und vergaß wieder die Zeit und die Bratkartoffeln haben geschmeckt. Obwohl sie angebrannt waren.

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