Selbstkontrolle

Glosse zum Thema Selbstdarstellung

von  loslosch

Quamvis tegatur, proditur vultu furor (Seneca, um die Zeitenwende bis 65 n. Chr.; Phaedra). Wie sehr auch ein Zornesausbruch verheimlicht (verhüllt) wird, er verrät sich durch den Gesichtsausdruck.

Zu 99% hat Seneca recht. Manchmal verrät sich die innere Anspannung oder Erregung durch ein leichtes Anschwellen der Adern an den Schläfen. Echte Wut also lässt sich ohne medikamentöse Einwirkung kaum äußerlich unterdrücken. Das Umgekehrte allerdings scheint zu funktionieren: sich nach außen hin wütend geben, ohne innerlich erregt zu sein. Ein perfekter Bühnenschauspieler beherrscht diese Masche, vermag sein Gemütsleben und Erleben situativ zu steuern. Selbst ein schauspielerisch Unbedarfter kann sich in dieses Rollenpuzzle hineinfinden. Er unternehme vor einer erwarteten konfliktträchtigen Verhandlung ein ausgiebiges Jogging mit erfrischender abschließender Dusche. An der kritischen Stelle des Vertragspokers schlage er sodann mit der Faust vernehmlich auf den Tisch und sage dezidiert: Bis hierhin und nicht weiter (oder wie Luther: Ich stehe hier, ich kann nicht anders). Sein ohnehin niedriger Puls sollte sich nur unmerklich verändern. Das Gegenüber wird dann - fälschlicherweise - eine absolute Schmerzgrenze heraushören.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (05.06.14)
Jetzt hätte ich beinahe geschrieben: Wie mit dem Zorn verhält es sich mit der Dummheit! Aber das würde ja bedeuten, dass Seneca schon KV gekannt hätte.

 loslosch meinte dazu am 05.06.14:
richtig. von anatol france stammt der gedanke: dummheit ist schlimmer als bosheit. bosheit setzt schon mal aus, dummheit nie!
alpeko (69)
(05.06.14)
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 loslosch antwortete darauf am 05.06.14:
ich hab dann mal auf glosse umgestellt. danke für den priv. tipp.

 niemand (05.06.14)
Wenn man die Mikromimik in einem Gesicht lesen kann, dann merkt man nicht nur den Zorn, sondern alle, auch die kleinsten, seelischen Erregungen eines Menschen sofort. Da sind so viele Kleinigkeiten, ein Zucken zum Beispiel, eine winzige Augenverdrehung etc. etc.
Es reichen oftmals zwei kurze Blicke, die sich zwei Menschen zuwerfen, um zu bemerken in welcher inneren Verfassung sie sind.
Es ist nicht immer von Vorteil, wenn man die Mikromimik lesen kann,
wenn man dafür die nötigen Antennen hat ... andererseits wird man auch seltener echt beschissen Meine Tierärztin und ihre Assistentin haben sich einmal nur einen Sekundenblick zugeworfen, als ich ihnen die Praxen eines anderen Tierarztes schilderte und aus den Blicken der beiden rief es "welch Idiot", obwohl beide beherrscht waren und ein Arzt sowieso niemals über einen anderen Schlechtes berichten würde
[eine Krähe hackt ... etc.] Die Kunst eines Schauspielernden versagt
vor dem Spiel einer solchen Mimik. Die meisten bemerken sie gottseidank nicht. Mit herzlichen Grüßen, Irene

 loslosch schrieb daraufhin am 05.06.14:
nach suizidversuch lag ein dr. med. auf der intensiven. seine angehörige zu den ärzten: mein papa geht nicht in die alk-entziehung. das bezahlt seine PKV nicht. - die 2 ärzte warfen sich einen bedeutsamen blick zu und schwiegen. (die ahnten, dass ihr exkollege seiner tochter ein märchen aufgetischt hatte.) lo

 Fuchsiberlin (05.06.14)
Wie kann ein Ausbruch des Zorns verheimlicht werden? Ein Ausbruch bricht aus einem heraus. Somit ist dies in meinen Augen ein Widerspruch. Dies wäre ja so, als wenn keiner den Ausbruch eines Vulkans sehen würde. Nee, also das passt für mich irgendwie nicht.

Liebe Grüße
Jörg

 loslosch äußerte darauf am 05.06.14:
du stimmst also seneca zu. ist doch prima. ich "nur" zu 99%. lo

 niemand ergänzte dazu am 05.06.14:
@ Fuchsi
ein Zorn kann im Inneren eines Menschen ausbrechen, doch es gibt
genug Menschen die eine eiserne Selbstbeherrschung haben, so dass diese innere Hocherregung kaum nach außen sichtbar wird.
Um diese dennoch zu erkennen, muss man schon die Mikromimik
lesen können. Gesund werden solche Menschen jedoch wohl kaum leben. Nix oder wenig kommt raus, schadet also dem gesamten
Organismus. LG niemand

 loslosch meinte dazu am 05.06.14:
sehr gut.

allerdings sind die möglichkeiten der mikromimik begrenzte. noch nicht mal der lügendetektor darf als beweismittel dienen. das unsichere auftreten des probanden² kann unterschiedliche gründe haben: scheu vor der öffentlichkeit, eigene mitschuld oder der wille, detailgenau die wahrheit zu referieren.

²zb als zeuge vor gericht
(Antwort korrigiert am 05.06.2014)

 Dieter Wal meinte dazu am 07.06.14:
Im Film "Gefahr und Begierde" gibt es dazu eine mich sehr beeindruckende Szene:

Dort wird ein chinesischer Führungsoffizier des Geheimdienstes dargestellt, der mit engagierten Laien arbeitet, weil seine ausgebildeten Agenten alle enttarnt und ermordet wurden. Er erzählt, dass der Feind seine Frau und Tochter ermordet hätte. Trotzdem könnte er mit ihm, vom Feind unerkannt, Mittagessen, ohne die geringste Abscheu zu zeigen, obwohl er nichts lieber wünscht als den Tod des Feindes.

Absolut sehenswertes Kinodrama.
(Antwort korrigiert am 07.06.2014)

 EkkehartMittelberg (05.06.14)
Es gibt Menschen, die ein Leben lang trainieren, wie sie ihre Affekte mimisch unterdrücken können, und andere, die immer mehr lernen, kleinste Nuancen trotz der Verheimlichung zu lesen.
Wenn sie aufeinander treffen, ist der Ausgang ungewiss.

 loslosch meinte dazu am 05.06.14:
etwas verdeckt geschieht das auch in der "virtuellen realität" (wort des tages?) im kv. ich lese oft kleinste nuancen aus texten. ))

 Dieter Wal (07.06.14)
Quelle: Seneca, Hippolytus, CCCLXIII. Mudras, Zeremonialmagie, Sport: Körperbeherrschung führt zu Selbstbeherrschung. Wer seine Körperhaltung verbessert, ändert seine geistig-seelische Haltung.

 loslosch meinte dazu am 07.06.14:
nun hab ich mal die quelle vergessen ... hippolytus stammt aus der englischsprachigen quelle. aber auch ok.

ansonsten: mens sana ... (s. 248 der aphos)
(Antwort korrigiert am 07.06.2014)
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