Die kleine Falle

Bild zum Thema Freiheit/ Unfreiheit

von  Muuuzi

Eigentlich kannte Leonhard nichts weiter, als die winzige Kammer, die sich vor seinen Augen erschloss. Graue, beinahe finstere Wände, an denen sich Bilder alter Damen mit eingerosteten Gesichtern und Hornbrillen ergaben, umzingelten ihn. Eigentlich mochte Leonhard auch nichts weiter als seine ungestörte, dunkle und wunderbare kleine Behausung. Abends saß er zufrieden mit einer Pfeife in einem gemütlichen Leinenstuhl und hörte Radio. Dann lauschte er den verrücktesten Meldungen, die er fein gläubig zur Kenntnis genommen hatte.
An diesem Tag wunderte er sich besonders über die Brutalität der Menschen. Laut und angsterfüllt ließ die Stimme im Radio ihren Klang ertönen

„Wieder einmal haben sich die Nachbarn von Leonhart S. einem blutigen Gemetzel hingegeben. Gestorben sind mehrere.“

Vermutlich, so lässt der Radiosprecher im Weiteren erkennen, haben sie es verdient. Oder auch nicht. Wie auch immer.
Leonhard hat seine Nachbarn noch nie gesehen.
Er hatte noch nie in Betracht gezogen, selbst nachzusehen. Türen oder Fenster hatte er nicht, die würden zu viel Kosten mit sich ziehen. Dass die Nachbarn ebenso in einer kleinen Kammer wohnten, die genauso conainterähnlich eingeräumt war, wie seine, wusste er nicht. Jedoch vermutete er es. Wo sonst sollte ein Mensch, der Sicherheit verlangte, wohnen? Draußen lauerten zu viele Feinde, davon war der alte Herr felsenfest überzeugt.
Der kleine Ofen, der am Bettende stand, wärmte die kleinen Zehen des Herrn. An seine Kindheit konnte sich der dicke Mann beim besten Willen nicht mehr erinnern. Doch er glaubte zu wissen, dass er schon immer in diesen wärmenden Wänden gewohnt hatte. Schon immer. Bestimmt, schon immer.

Über das Leben nachdenkend erschlug er eine Fliege mit einer wunderbar großen gelben Klatsche, die neben ihm auf einem hölzernen Tisch lag. „Blödes Mistvieh!“ rief er genervt.

Er wusste nicht, dass die besagte Radioanstalt, nicht weit von seinem Haus lag. Es war für sie ganz leicht, Informationen einzuholen. Ein reines Kinderspiel, würden Darüberinformierte behaupten, die von den Kameras in seiner Wohnung wussten. Leonhard jedoch wusste nichts von ihr, da er sie nicht kannte und deshalb ignorierte. Schon bald diente daher unser lieber Herr S. der abendlichen Unterhaltung seiner Gegenüberwohnenden. „Herr S. erschlägt Unschuldigen mit selbst erbauter Folterklatsche, die sofort zur blutigen Todesfalle wurde! Siegessicher beleidigte er danach den Toten.“ Nach dieser Sendung, die Herr S. natürlich nicht hörte, da sie nur für die anderen bestimmt und gedacht war, lachte sich der Radiosprecher eins ins verborgene Fäustchen.
Er wusste nämlich, dass die Nachbarn des Herrn S., ebenso ahnungslos, grauwohnend und blind, ihren Glauben seiner Radiostimme opferten.
„Liebe Leute, lasst Türen und Fenster sein, der Feind lauert an jeder Ecke. Bleibt zuhause und genießt eine Tasse Tee! Ich halte euch am Laufenden. Ich bin euer Mann!“

Eine ganze Containerstadt hat sich bereits in seiner unmittelbaren Umgebung angesammelt. Doch das wusste Herr S. nicht. Beliefert wurden die Leute durch eigens trainierte Menschen, die ohne Umschweifungen ihre Pakete durch einen engen Spalt dem richtigen Containerhaus zustellten. Ihnen sagte man, dass die Leute in den engen Kammern böse wären, sodass sie schleunigst wieder verschwinden sollten und kein Wort mit ihnen wechseln dürften. So lief es bereits mehrere Jahre. Niemand kam hinter das böse Geheimnis der Draußenstehenden.

„Die gefährlichen Nachbarn! Ich werde meine Grenze hinter meinen eigenen, schützenden Wänden ziehen!“, schrien die Leute in die Graubreiheit. Niemand hörte sie, bis auf die derben Radioleutchen.

Wenn Herr S. und seine Nachbarn gewusst hätten, dass alle Menschen in ähnlichen gefängnisgleichen Kammern gelebt und Angst vor ihrem Umfeld gehabt hätten, würde er seinen tristen, freiheitslosen Lebensstil ganz sicher bereut haben. Wissen entsteht schließlich nur aus vielen unterschiedlichen Erfahrungen. In seinem Hirn und in den Hirnen der anderen lagen schon zu viele Manipulationsscherben, die ein logisches Ganzes unmöglich machten.

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Kommentare zu diesem Text


 franky (12.06.14)
Deine Gedanken sind so was von eingetreten, wir sitzen alle gewissermaßen in solchen Containerstädten. Wir lassen uns von den Medien das Blaue vom Auge lügen und wir werden nicht satt so was zu schlucken.

Dein Aufsatz hat mir sehr gut gefallen, du bist die Beste!

L-G Franky

 Kontrastspiegelung (22.06.14)
Wenn, wenn, wenn..., doch hat deine Erzählung Hintergründe in der heutigen Welt. Ganz geschweige was die Politik anbelangt. Da werden schon Münder nach Grafikprogramm gedreht und gewendet, so dass auf einmal andere Worte ausgesprochen werden. Zumindestens, könnte es möglich sein. Oder es werden wichtige Details verschwiegen, die vieles aufklären könnten, doch für die bösen, bösen, machthungrigen Viecher ein Dorn im Auge sind.

Aufjedenfall, ist die kleine Falle lehrreich.

Liebe Grüße, Kathi :)
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