Mosaik Leben

Erzählung zum Thema Leben

von  Seelensprache

„Noch einen.“ Ein kurzes Aufeinandertreffen zweier Blicke, dann ein Nicken und einen Moment später stand ein weiterer Drink auf dem Tresen. Routine - Blicken, Nicken, Kippen. Es war ein einfaches Spiel, mit einfachen Regeln. „Noch einen.“ Er nahm seinen Drink, stand auf und ging zu einem der Tische, an dem ein paar Männer saßen und Karten spielten. Als er an sie herantrat, verstummten sie. Einer, in kariertem Hemd mit kurzen Ärmeln und tätowierten Oberarmen fixierte ihn. „Ja?“ Der Fremde beugte sich vor und sein alkoholhaltiger Atem kroch in die Nase des Tätowierten. „Ihr seid zu laut“, sagte er. Seine rotgeäderten Augen blieben fix auf die seines Gegenübers gerichtet. Nun beugte sich auch der Tätowierte vor. „So?“, antwortete er sichtlich verärgert und richtete seinen Oberkörper auf. „Verpisst euch!“, zischte der Fremde sie an und nippte an seinem Drink. Er schaute nun in die Runde. Als er ihr brüllendes Lachen vernahm, machte er eine ausholende Bewegung und stieß ihre Karten und Gläser vom Tisch. Danach verprügelten sie ihn. Sein Name war Jürgen.

Schritt für Schritt verhallten Tritte eines auf Hochglanz polierten Schuhwerks. Der Träger, ein stattlicher Mann, war gut gekleidet, nach Maß und der Anzug mit einem schönen Schnitt. Die Haare fein säuberlich zurechtgelegt und vorne einen Scheitel. Er betrat ein altes weites Treppenhaus aus knarrenden Dielen. Es war das erste Mal. Nicht, dass er das erste Mal die Gemächer einer Prostituierten betrat. Zumal man dies beileibe nicht als das Etablissement einer Gewöhnlichen bezeichnen konnte. Sie war ihm empfohlen. Und er wusste, dass man sich auf dieses Urteil verlassen konnte. Er hatte es schon zuvor getan und war niemals enttäuscht worden. Sie war jung und klug und hatte einen Körper, der einen Blick ankerte und nicht mehr gehen ließ. Soweit die Versprechungen.  Sie traf die Männer für ein kleines Vermögen, doch dies reizte ihn nur noch mehr. Es war ihm zuwider gewöhnlich zu sein. Das Leben war zu kurz für Durschnitt und Mittelmaß. Die Stufen knarrten unter seinen Schritten während das Adrenalin durch seinen Körper flutete. Noch vier Stockwerke.

„Verdammte Scheiße!“ Ein ausgesprochen tüchtiger Regen sickerte an den Rändern eines Gehsteigs. Es war nun seit Tagen dasselbe Wetter. Eine grautrübe Suppe nistete über den Dächern und Straßen dieser Stadt. Mel war wütend. Ihre Schuhe trug sie in ihren Händen. Sie stampfte vorbei an Fenstern und Türen aus denen warmes Licht hinaus vor ihre Füße fiel. „So ein Arschloch. So ein widerliches Arschloch!“ Er hatte sie rausgeschmissen, einfach so, sie einfach vor die Tür gesetzt. Sie hatten gestritten. Es war nicht das erste Mal gewesen. Sie hatte ihn als Diktator bezeichnet, als Demagoge und machtgeil.  Es war hin- und hergegangen.  Sie hatte ihn mit Dingen beworfen. Er hatte sie als perspektivlos, als parasitär und intrigant beschimpft. So hatte sie es sich nicht vorgestellt, damals, als sie noch jung war, in der Blüte einer Pubertät stand und ihren Tagebüchern von einem Prinzen erzählte.  Als sie stundenlang Löcher in die Decke starrte, mit dem Rücken auf einem weichen Bett, und eine rosarote Zukunft erträumte.

An einer langen Tafel herrschte Schweigen. Die Augen auf üppig gefüllten Schüsseln und Töpfen. Die gefalteten Hände in anständigen Schößen. Toni schaute nach oben an eine Stuck-behangene Decke. „Welch hübsche Zierde.“ Er liebte die schönen Dinge, an denen seine Augen hängen blieben und sich kaum satt sehen konnten. Er hatte ein männliches Gesicht mit einem markanten Kinn und deutlich hervorstechenden Wangenknochen, ein kräftiges, gerades Gebiss und eine tiefe, männliche Stimme. Ihm gegenüber saß schweigend, mit kugelrundem Bauch, seine ältere Schwester Carolin und neben ihm, zu seiner rechten, die jüngere Sophie. Beide erfolgreich, studiert und begabt. Toni hingegen war ein Träumer, der oft seinen Gedanken nachhing. Immerzu zu streben, passte nicht zu seinem Leben. Er dachte ungern an eine abgebrochene Lehre und die letzten beiden Jahre ohne Plan und Perspektive. Er lebte in einem Zuhause, das ihm mehr und mehr zu einem Gefängnis wurde.  Sein Vater arbeitete als Fotograf, der ein paar Bilder hatte zu guten
Preisen verkaufen können. Er hatte einen ausgezeichneten Sinn für den richtigen Moment.  Er liebte das Großformatige, liebte es, Momente in Schwarz und Weiß festzuhalten und liebte des Öfteren auch die Körper vor seiner Linse. Seine Liebschaften schafften eine Menge Kummer. Dann war es Toni gewesen, der sich um die Mutter kümmerte, ihr stundenlang zuhörte und am Ende selbst oft ein wenig verstört blieb. An diesem Abend aber war alles gut. Zwischen hübschem Kerzenleuchten schenkten sich alle ein freundliches Lächeln. 

Das Klopfen dicker Tropfen auf dem Schirm über seinem Kopf riss ihn aus seinen Gedanken. „Ok, ok, beruhige dich.“ Unsicher huschen flüchtige Blicke unter hellen, ausgedünnten Brauen. „Wird schon. Wird schon werden. Drei-Sekunden-Regel. Drei, zwei, eins.“ Er hatte einen Strauß roter Rosen gekauft. Er hoffte, es würde ihr wohl recht sein. Frauen mögen Blumen. Diese war ihm wichtig. Seine Hand zitterte als er den Summer drückte. Danach ein endlos langes Warten. „Ja?“, fragt eine Stimme zögerlich. Es folgte ein langes Ausatmen. „Äh ja, hier ist Hans.“ „Ja?“ „Kann ich dich sehen?“ „Ja, ... na klar, ... Moment.“ Er strahlte.

Ein paar Häuserreihen weiter wankte Jürgen von rechts nach links, entlang dichtgedrängter Fassaden schöner Kaufmannshäuser. Hier war es jung geblieben, hip und angesagt. Er hingegen graugealtert und blau verschlagen. In den Winkeln vertrauter Gassen sind andere Gesichter, eine andere Mode und Musik als in seiner Erinnerung, einer guten, durchaus. Auf den Straßen, vor den Bars, diskutierten junge Geister die Fragen alter Meister und suchten auf den Böden leerer Flaschen nach einer Antwort. Wo waren all die Jahre nur geblieben? In seinem Kopf waren sie auf ein paar cl zusammengeschrumpft und er erinnerte sich jeden verdammten Tag daran. Er kannte sie, die Trinker. Ihre dumpfen Augen, das Zittern, die gerötete Haut und der üble Gestank ihrer Münder. Er sah und roch sie von weitem. Ihresgleichen erkennt ihresgleichen. Er hatte schon ein paar Mal versucht damit aufzuhören, Distanz zu schaffen, zu einer anderen Gruppe zu gehören, aber es war schwer. Und an diesem Abend nicht. Heute war drauf geschissen.

Starke Hände drosseln einen Hals, der nach Atem ringt. An den Armen, die zudrücken, die Hände einer Sterbenden, die nicht loslassen wollen. In ihren Augen der Schrecken einer Gewissheit. Am Ende dieses ungleichen Kräftemessens zerfällt ein letzter Atemzug auf einem auf Hochglanz polierten Schuhwerk. Als eine Tür ins Schloss fällt, hallt das Knarren alter Dielen an das Ohr einer Toten.

Als sie die Tür öffnete, schlug ihm das Herz so stark, dass  ihm die Brust schmerzte. „Die, die sind für dich“, stammelte er unbeholfen, als er die Blumen hinter seinem Rücken hervorholte und sein Gesicht rötete sich. Sie bemerkte seine Unsicherheit und es gefiel ihr. Sie freute sich sehr über die mitgebrachten Blumen und bedankte sich, als er ihr den Strauß überreichte. Sie sah fabelhaft aus. Das kurze schwarze Kleid, das auf viel zu dünnen Schultern lag und bis an die Mitte ihrer Oberschenkel herabreichte. Das blaue Funkeln ihrer sorgenfreien Augen, die schmalen Lippen, die spitze Nase. Er konnte sie kaum aus den Augen lassen. Sie rollte ihre Unterlippe ein, biss mit den Zähnen darauf und schaut verlegen seitlich zu Boden. Es war der wunderbare Beginn einer so aufregenden Verheißung. 

Es war das Ende eines netten Abends mit ein wenig Smalltalk und den gewöhnlichen Neidereien. Toni trat auf den Balkon, der ein paar Stockwerke über der Straße hing und rauchte eine Zigarette. Er beobachtete, wie die heiße Glut das Papier fraß.  Er schaute hinab auf verregneten Pflasterstein, der im diesigen Licht der Straßenlaternen aufleuchtete. Ein trunkener Mann, dessen verschlagenen Körper Toni nicht sah, torkelte und fiel. Sein Fluchen drang bis hinauf an Tonis Ohren. Kurz darauf vernahm er das schnelle Schreiten wütender Schritte einer jungen Frau. Er sah nicht die Tränen auf ihren Wangen. Als er den letzten Rest einer Zigarette hinabfallen ließ, der Nacht den Rücken kehrte und zurück in eine warme Küche trat, lies sie gleichgültig die durchnässten Schuhe fallen, die sie bis dorthin in ihren Händen getragen hatte, und ging bekümmerten Herzens weiter. Auf Hochglanz poliertes Schuhwerk, noch warm von einem letzten Atmen, schritt Schritt für Schritt daran vorbei, an diesem Paar verstreuter Damenschuhe, die nicht hierher gehörten. Sie blieben nicht stehen, gingen weiter und verschwanden im Rest der noch verbleibenden Nacht.  Einen Moment später, als alles geschehen schien, drang ein Schrei aus dem Mund einer Gebährenden aus einer Wohnung mit stuckverzierten Decken.

Am nächsten Morgen ging die Sonne wieder auf und die Welt drehte sich weiter.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (19.10.19)
Nicht schlecht, aber für meinen Geschmack insgesamt zu blumig formuliert, die Streichung von ein paar Adjektiven und arg theatralischen Begriffen würde dem Text gut tun. Und nein, ich nenne jetzt keine konkreten Stellen, es geht mir ja hier um den Gesamteindruck.
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