Genius Loci

Erlebnisgedicht zum Thema Beobachtungen

von  pentz

U-Bahn-Bahnhof

Wo ich sie wiedertreffe: gestern,
die „Deutsche“, gestrig, und mit
jüdischem Diplomaten, einem
Amerikaner verheiratet; heute,
deutsche „Jüdin“, die niemals
nen Deutschen heiraten wollte,
sich nen Polen suchte, und alle
sind’s wiedergekehrt, die Erste
ins Armenspital hier, die zweite
möchte partout nicht ins Altersheim,
wozu nicht braucht’s jüdisch zu
sein, aber die Wahl haben’s alle
nicht mehr und kehren zurück an
ihrem Geburtsort, dem schrecklich-
barbarischen - schon merkwürdig.

Kommunikationszentrum

Linke Buchmesse hier. Durch’s
KOMM wanken graue Herren
im Zentralsaal. Wo einst Ton-
Stein-Scherben krächzten, wartet
der Schläger auf ’ne falsche Be-
wegung von mir; ich fühl’ mich
unwohl. Jüngst auf ner Poetry-
Slam-Show: die Poetin mit der
rechten erhobenen Faust unter-
lag der mit den Elogen aufs Ko-
masaufen, hieß Shiva; als ich
fragte, wer nur gewonnen habe,
kam’s zurück: wie nur kann man
so etwas fragen – eigenartig schon.

Epidemischer Ausbruch hier:
am selben Ort vor zwei Tagen:
Apotheose des Komasaufens;
heute Agonie: schlapp, schwach,
besinnungslos, ideologiefrei, a-
ber toxiert, keine starken Posen,
sondern Kinn aufs Schlüsselbein
gefallen, möglichst geschmeidig
zu sein, keine Glieder strecken,
sich gehen lassen in Glocke,
Kokon, Aura verschiedenster
Betäubungsmittel, wovor nur halt? –
zu fragen, verstärkte nur dies!

Nach brauner B e w e g u n g
in den 20+30iger Jahren und
der grünen vor einer Dekade
diese neue: kein Muskelzucken,
nur Flasche-zum-Mund-Führen;
die Bewegung findet von all-
eine statt im Darm, im Verdau-
ungs-Trakt; sie liegen "träge wie
im Schatten die Kuh", tun nichts,
nichts dazu, bis, bis zum Tropf?
Die noch Jüngeren, heute Kinder,
können ihnen nicht helfen und
die Älteren werden einen Teufel
tun und was, was der Bürger? –
zu fragen, verstärkte dies nur!

Einst wehten hier Runen,
dann an grauen Mauern
prangte in schwarze Lettern
die irrwitzig-sinnige Frage:
„Gibt es ein Leben nach
dem Tod?“, und heute:
“Und was kaufst Du?“,
meint das: schau, kaufst
Du nichts, dass Du bald
feststellst, ob es ein Leben
danach gibt? ---------------
Von den oberen Stockwerken
überschwemmt mittlerweile
Strick-, Bastel- + Klebefirlefanz
die nach Alkoholika + Fäkalien
riechenden unteren Räume und
im Paterre antwortet mir mein
Bekannter, wie es ihm gehe,
aufstoßend:„3 zu 1 steht’s“.

Bibliothek

In den Heiligen Sälen der
Öffentlichen Bibliothek,
ehemalige Klosterräume
ein kontemplativer Platz,
wo man meditieren kann über
ein Schild: „Konsumzwang“.
„Staatliche Gerechtigkeit“ soll
heißen: zahlen musst Du
für nen Kaffee als Tribut,
kommt aber jemand, der will
mehr, zum Beispiel Essen,
dann wirst Du dezent hinaus-
komplimentiert, logo, oder?
Bald wird man von Besuchern
pro Blick auf einen Dürer
einen Euro verlangen, ergo!

Hauptmarkt

Alljährlich Weihnachten pilgern
Tausende aus aller Herren Länder
hierher und angesichts epidemisch-
gefährlicher hygienischer und zeit-
geistig hochschwangerner Zustände,
die einem weiß Gott Angst machen,
schlage ich einen Propaganda- und
Trailer-Song für diese Stadt vor,
prophylaktisch + gesundheitsbewusst,
zudem gedenkend der neuen Jugend-
bewegungslosigkeit an seligeren
Zeiten nahtlos anknüpfen würde:
„If you come to Sankt Nuerneberg
Be aware of appropiate Pampers...
(Die Melodie „If you come to San Franscisco” von ... )

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Kommentare zu diesem Text


 Regina (23.07.14)
Außerhalb der musealen Aufarbeitung rühmlicher wie unrühmlicher Vergangenheiten und der touristischen Vermarktung gotischer Rekonstruktionen entwickelt sich die Stadt immer mehr zur durchschnittseuropäischen Globalbusinessmetropole. McDo, der Einkaufsbahnhof, das Cineplexkino oder das neueste Zementrieseneinkaufszentrum könnten eben auch in Krakau, Dijon, Dresden oder Düsseldorf platziert sein.
holzköpfchen (31)
(23.07.14)
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Metulskie (32) meinte dazu am 23.07.14:
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 pentz antwortete darauf am 23.07.14:
leider weiß ich nicht, was görli ist?

bezüglich der heimkehr nach nürnberg, verweise ich auch auf den text, die amerikanerin, wo gleichfalls eine heimkehr stattgefunden hat, nur unter anderen vorzeichen.

ich glaube, es ist klar, dass dieser geburtsort keinesfalls verniedlicht wird, sondern so beschrieben steht unter dem gesichtspunkt der heimgekehrten. das lyrische ich steht hier außen vor.

grüße

wernerpentz
Metulskie (32) schrieb daraufhin am 25.07.14:
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