Der Langweiler

Glosse zum Thema Langeweile

von  EkkehartMittelberg

Schon beim ersten Blick in den Spiegel am Morgen langweilt er sich. Sein apathischer Blick starrt ihm entgegen und seine herabgezogenen Mundwinkel verderben ihm die Laune.

Das war nicht immer so. Es gab Zeiten, in denen er erfolgreich schrieb. Die Massenmedien brachten Rezensionen. Nicht alle waren positiv. Aber er wurde wahrgenommen. Die zustimmenden Besprechungen machten Mut, und die ablehnenden setzten neue Kräfte zur Verteidigung oder Selbstkritik frei.

Dies änderte sich, als er sich nicht mehr damit begnügte, zu den anregenden Guten zu zählen, sondern einmalig sein wollte.

Er kreierte einen Stil, der mit allen Traditionen brechen sollte, mit dem er so hermetische Inhalte hervorbrachte, dass er sie selbst nicht mehr enträtseln konnte. Das gestand er natürlich nie ein.

Die anfangs noch wohlwollenden Kritiker  registrierten den Wandel der Autorenpersönlichkeit, verstummten aber allmählich. Die einen hatten keine Lust, sich mit Sinnfreiem herumzuschlagen, die anderen waren vorsichtig, weil sie sich nicht sicher waren, ob sich hinter den rätselhaften Texten eine Genialität verbarg, die ihnen entging.

So wurde es einsam um ihn, und er überlegte, wie er dieser Leere entkommen konnte. Er dachte einen Moment daran, zu dem Stil zurückzukehren, mit dem er Erfolg gehabt hatte. Aber das kam ihm wie ein Verrat an seiner Persönlichkeit vor. Er wäre mit opportunem Denken ins Mittelmaß zurückgefallen.

Er beschloss nun, Zuwendung und Aufmerksamkeit dadurch zu gewinnen, dass er sich mit den Werken seiner früheren Kritiker auseinandersetzte. Dabei brauchte er gar nicht ins Detail zu gehen; denn gemessen an dem Niveau, das er erreicht hatte, waren sie alle grenzenlos langweilig. Das bescheinigte er allen in aller Deutlichkeit.

Man hörte ihm für kurze Zeit wieder zu. Welches Argument kann man gegen jemanden vorbringen, der sich langweilt? Einige Dichter und Philosophen waren doch damit bekannt geworden, dass sie ihre Langeweile bekundet hatten. Man las noch einmal seine letzten Veröffentlichungen, um abermals festzustellen, dass man sie nicht verstand.

Schließlich begriff man, dass das vorgebliche Leiden an der Langeweile nichts anderes als die Marotte eines Hilflosen war, der sich langweilte, weil er keinen Weg fand, sich zu ändern. Man ignorierte ihn also.

Der Langweiler hat sich vorerst mit seiner Langeweile arrangiert. Er ärgert sich zwar über ausbleibende Resonanz. Aber Genies werden meistens lange Zeit verkannt.

© Ekkehart Mittelberg, Juli 2014

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (01.08.14)
Ich strenge mich an, aber ich finde die Satire nicht. Ich sehe da nur gut Beobachtetes. Das macht das von dir Beschriebene wohl zu einer Realsatire, aber die ist bei nähere Betrachtung eher tragisch. Auf der anderen Seite hat die von dir angesprochene - natürlich völlig fiktive - Figur sich ihren Käfig ja selbst gebaut. Und darum ist ihr Schicksal fast schon langweilig!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.08.14:
Danke,Trekan. Vielleicht gibt es doch ein paar Formulierungen, die die Bezeichnung "Satire" rechtfertigen. Aber ich kann mit deiner Einordnung als tragische Realsatire gut leben.
Gattungsbezeichnungen sind manchmal problematisch. Wichtiger ist mir, dass der Text nicht langweilt.

 Dieter Wal (01.08.14)
Von verkanntem Genie zu verkanntem Genie: Bruder, ich leide mit dir! Im Gegensatz zu dir finde ich dich jedoch gar nicht langweilig.
(Kommentar korrigiert am 01.08.2014)

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 01.08.14:
Das nenne ich einen aufrichtenden empathischen Kommentar!
Raven (42)
(01.08.14)
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 01.08.14:
Merci, Raven, ja, es geht insbesondere um die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung.
Du bist die zweite, die den Text nicht als Satire empfindet. Dann will ich auch nicht weiter behaupten, dass es eine sei, und ändere in Glosse.

LG
Ekki
HermaPhrodita (49)
(01.08.14)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 01.08.14:
"Kleingeistigkeit auf Gefälligkeitskurs". Das gefällt mir sehr. Danke!

 loslosch (01.08.14)
marin walser, günter grass? oder selbstreferentiell?

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 01.08.14:
Es gibt viele Möglichkeiten. Der Leser ist souverän. Danke.
Scheester (80)
(01.08.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.08.14:
Merci, Detlef. Es gibt sicher Leser, die sich trotz deiner Schlussfolgerung, die mir gefällt, noch langweilen würden. Denen ist nicht zu helfen.

LG
Ekki
Graeculus (69)
(01.08.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.08.14:
Danke der Nachfrage, Graeculus. Mag sein, dass meine Schilderung auch im größeren Rahmen zutrifft, larmoyantes Jammern über Langeweile findet sich jedoch auch immer wieder bei kV.
(Antwort korrigiert am 01.08.2014)
alpeko (69)
(02.08.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.08.14:
Nein, Alpeko, autobiografische Züge hat die Glosse nicht. Ich habe auf Internetforen immer sehr genau hingesehen, wenn sich jemand über die langweiligen Artikel anderer mokierte und entdeckt, dass es sich um Ablenkungsmanöver handelte, weil die Langeweilekritiker selbst nicht in der Lage waren, kurzweilig zu schreiben. Es handelte sich bei ihrer Kritik meistens um eine eitle Attitude, die überlegene Intellektualität vortäuschen sollte.

LG
Ekki

 Regina (02.08.14)
Spannend an diesem Text ist vor allem die Frage: Welchen herabgezogenen, genialen, unverstandenen Mundwinkelkünstler meinst du?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.08.14:
Regina, ich könnte jetzt zum Beispiel bei kV namentlich Autoren nennen, die anderen vorwerfen, Langeweile zu verbreiten, um von ihrer eigenen verkümmernden Kreativität abzulenken. Aber das führt nur zu einer Polemik, bei der nichts Konstrukuktives herauskommt.
Wenn in Zukunft hier wieder jemand seine eigene Leere und Langeweile auf amdere zu projezieren versucht, wird man hoffentlich genau hinsehen, was der Kritiker selbst zur Beseitigung der Langeweile beizutragen in der Lage ist.

 Regina meinte dazu am 02.08.14:
Wegen diesem Kommentar zu einem Text von Vaga fühle ich mich betroffen:
Kommentar von Regina (27.07.2014) diesen Kommentar melden
Die körperlichen Ausscheidungen, oben wie unten, gehören hier zu den langweiligsten, weil zu oft benutzten Bildern. Sie entsprechen dem "Gefällt-mir-nicht"-Button.
Vaga meinte dazu am 27.07.2014: Liest man den Text auf diese Weise, stört sich demnach an
zu oft benutzten Bildern
ist deine Kritik durchaus einleuchtend.

 Fuchsiberlin (02.08.14)
Ein Autor, der nur für den Mainstream schreibt, und dabei sein Autoren-Ich verliert, der verliert mehr als er glaubt ...

Und wer als sog. "Langweiler" angesehen wird, dies bleibt eine subjektive Einschätzung. Sich selbst treu zu bleiben, das ist wichtig, denke ich: Als Mensch und als Autor. Sonst wirkt der Spiegelblick eines Tages verzerrt.

Liebe Grüsse
Jörg

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.08.14:
"Und wer als sog. "Langweiler" angesehen wird, dies bleibt eine subjektive Einschätzung. Sich selbst treu zu bleiben, das ist wichtig, denke ich: Als Mensch und als Autor. Sonst wirkt der Spiegelblick eines Tages verzerrt."
Dem stimme ich zu. Es ist ein alter rethorischer Trick, jemanden als Langweiler zu diskreditieren. Man erhebt sich mit diesem Vorwurf über ihn und versucht zu signalisieren, dass man es nicht nötig habe, sich mit den langweiligen Argumenten eines Langweilers auseinanderzusetzen.
Die Etikettierung "Langweiler" ist, wie du schreibst, tatsächlich subjektiv. Was dem einen als langweilig erscheint, ist für den anderen aufregend und umgekehrt.

Liebe Grüße
Ekki
Fabi (50)
(02.08.14)
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 Regina meinte dazu am 02.08.14:
Ja, er lässt Lösungen offen und gibt keine Denkwege vor, so dass der Leser sich angeregt fühlt, zum Thema das Seine beizutragen. Das macht Ekki zu einem geschickten Kommunikator.
Fabi (50) meinte dazu am 02.08.14:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 02.08.14:
@Fabi und Regina: Ich danke euch beiden. Ja, man kommentiert dort gerne, wo keine Lösungen vorgegeben werden und wo der Kommentator vor Besserwisserei geschützt ist.

Liebe Grüße
Ekki
Pocahontas (54)
(03.08.14)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 03.08.14:
Grazie, Sigi, Selbstmitleid ist ein schlechter Ratgeber für einen Autor, Selbstkritik ein besserer.

Liebe Grüße
Ekki

 TassoTuwas (04.08.14)
Lieber Ekki,
wie sagte jemand, wichtig ist, was am Ende raus kommt.
Und das ist in diesem Fall Trost.
Hab dafür Dank.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 04.08.14:
Merci, Tasso, ich freue mich, dass du das erkannt hast.

Herzliche Grüße
Ekki
CoffeeTin (34)
(17.02.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 19.02.15:
Ja, danke Coffee, Langeweile ist ein Mysterium. Ich werde es nie ergründen.

 harzgebirgler (05.11.17)
das, was sich in der langeweile zeigt,
ist zeit, die zu vertreiben meist geneigt
seit langem ja fast alle weltweit sind
dabei vergeht sie letztlich so geschwind...

herzliche abendgrüße
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 05.11.17:
Merci, Henning, ja, man sollte lieber die Zeit nutzen statt sie zu vertreiben.
Herzliche Grüße
Ekki
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