Offene Weite - Nichts von heilig, Teil 3

Beschreibung zum Thema Lebensweg

von  LotharAtzert

3. Bitterstoff
Wohin ich auch sah, wohin ich auch ging: flüchtig waren die Dinge in einer flüchtigen Welt, in der jeder auf vielerlei Art etwas festzuhalten trachtet und doch am Ende immer der Tod den irdischen Schlußstrich zieht. Flüchtig, aber wohin zieht alle Flucht? Ins Nirgendwo? In die Nachkommen? In bloßen Nihilismus, in Eternalismus?
Fast zwangsläufig fand ich damals in den orientalischen Schriften erste Anhaltspunkte im Geist: Alles ist ewig im Wandel - vom Chaos zur Ordnung des Stetigen, von wo aus es sich in den Sternenhimmel entzieht. Und wer losläßt, kann um den Grad an Losgelassenem dem Losgelösten folgen.
Kreisten die Gedanken als Kind um Schuld und den unerreichbaren Bruder, so wuchs dem Heranwachsenden genau daraus ein Sehnen nach der Geistesbruderschaft. Dh. ich erwog schon früh den Eintritt in eine Ordensgemeinschaft, namentlich der buddhistischen.

Es war bei einer "Tschöd-Einweihung" im Rodgau, als ich meiner zukünftigen ersten Frau das erste mal begegnete. Weil das ursächlich zusammenhängt, seien ein paar Worte über die Tschöd-Praxis gestattet, soweit es nicht der Geheimhaltung unterliegt.
In Tibet wird dieses Jahrtausende alte Ritual einstiger Bön-Zauberer, das der Buddhismus nur übernahm, traditionell auf Friedhöfen oder in Einöden fern menschlicher Behausungen abgehalten. Der Grund liegt auf der Hand: Es geht darum, den eigenen Körper, die eigenen Emotionen, den Geist, kurz alles, was uns an die phänomenale Welt bindet, abzutrennen, bzw. an die sogenannten hungrigen Geister zu verfüttern. Die - unser Verdrängtes - werden angerufen, ja mehr noch: förmlich eingeladen mittelst rhythmischer Gesänge, Handtrommel und Knochentrompete, am magischen Gastmahl der eigenen Person in mehreren Gängen teilzunehmen - alles Lockungen, die auf das Unterbewußte abzielen, welches auch bald antwortet; will heißen die unter den Etiketten des moralischen Lebens verdrängten Dämonen lassen nicht lange auf sich warten.  (Normalerweise geschieht das erst nach dem Tod, wenn Herz und Gehirn ihre Tätigkeiten bereits einstellten.)
Sinn der Fütterung ist also die bewußte Begleichung jener Schulden, die durch das Verspeisen und Töten von Lebewesen im Laufe vieler Lebenszeiten entstanden. Dh. man erstattet symbolisch zurück, was man den Verblichenen einst  nahm.
Die Einweihung, eine Kraftübertragung durch den Tschöd-Meister, ist nicht zwangsläufig an ein Praktizieren des Ritus gebunden - aber ganz umsonst gibt es praktisch ... nichts, da die übertragene Energie ihre eigene Dynamik im sinne des Austreibens entwickelt.

Wir schliefen zusammen. Schon war sie schwanger, schon zog sie mich dorthin, wo wir Ja zum Bund der Ehe sagten. Eigentlich brüllte und schrie alles Nein in mir, laß los, laß los. Aber ich war schwach beim Anblick erwartungsvoller Augen, hörte mich kleinlaut Ja sagen und wußte augenblicklich: Das wird schief gehen.
Verantwortung übernehmen müsse ich jetzt. Da kommt ein Büßer wie ich schnell auf abenteuerliche Dinge: ich entdeckte eine Zeitungsannonce im Wirtschaftsteil einer Zeitung: Da verkaufte ein H.K. sein traditionsreiches Teegeschäft zu einem fairen Preis.

Tee - das wars! Ich war sowieso schon immer Teefreak - Darjeeling, der feineren Bitterstoffe wegen. Tee bedeutet zuallererst Indien, Meditation, Lebenskunst, Poesie, ja, so sollte es sein, wenn so die Familie ernährt werden konnte! Heureka! Ein Teemeister, sagt John Blofeld, schmeckt am Getränk, aus welcher Quelle sein Wasser kommt...
Um es kurz zu machen, die Schwiegereltern bürgten mit 60 000 DM und ... ich war der neue Teeladeninhaber. Man hätte auch sagen können, der Bock war ab da Gärtner. Vielleicht hoffte der Vegetarier so, einer drohenden Notschlachtung zu entgehen.

H.K. sprach, nachdem wir unsere Unterschriften beim Notar geleistet hatten: "Laß uns zur Feier des Tages einen Rotwein trinken. Ich bin übrigens der Helmut. ..."


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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(03.08.14)
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 LotharAtzert meinte dazu am 03.08.14:
Jetzt machst du mir angst.
- Nein, war ein Spaß!
Danke!

 Caracaira antwortete darauf am 04.08.14:
Autsch!
BabetteDalüge (67)
(03.08.14)
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 LotharAtzert schrieb daraufhin am 04.08.14:
Der "springende Punkt" ist das Ich, welches behalten will.
Weil es aber eine Illusion ist und nur von wechselhaften Aggregaten zusammengehalten wird, ist alles Denken letztlich ohne Bestand.
Das rituelle Opfern ist also "nur" das Opfern von Illusionen.
In Wirklichkeit ändert sich nichts - offene Weite!

Beispiel (statt Beischlaf;-))
Von Bewußtsein läßt sich nur reden, solange es noch irgendetwas unbewußtes gibt. Im Moment des Allbewußtseins hebt sich Begrifflichkeit auf. Noch anders ausgedrückt: Ein Buddha, der die Buddhaschaft verwirklicht hat, wird nicht sagen können, er hätte sie oder irgendetwas verwirklicht - offene Weite - Nichts von heilig.
Gruß
Lothar

 Caracaira äußerte darauf am 04.08.14:
Im Bewusstsein sind hungrige Geister im Leben, im Schlafen, im Tode ferngehalten. Und das ist unser Leben.
(Antwort korrigiert am 04.08.2014)

 LotharAtzert ergänzte dazu am 04.08.14:
A bisserl wenig, oder?
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