Nie

Gedicht zum Thema Abschied

von  Isaban

Ich greife sonntags immer noch zum Hörer
und wähl die Nummer, die ich immer wähle,
und hab‘s gewusst, gewusst, dass ich dir fehle,
und wähle nicht zu Ende. Du fehlst mir.

In meinem Kopf sitzt du in deinem Zimmer,
du sitzt wie immer da, im warmen, gelben Licht,
du lächelst und erkennst mich manchmal nicht;
in meinem Kopf belächelst du mich immer.

Da ist noch diese Lehne von dem Stuhl,
den ich dir reparieren sollte.
Ich wollte, glaub mir, ernsthaft, ja, ich wollte.

Ich war nicht schnell genug in meiner, deiner Zeit.
Noch so viel Liebes wollte ich dir sagen.
Was bleibt, sind diese viel zu späten Fragen
und der Beweis: Ich war noch nicht so weit.

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Kommentare zu diesem Text

Fabi (50)
(19.08.14)
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B-Site (30)
(19.08.14)
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 Irma (19.08.14)
Ich habe hier einen Enkel und seine verstorbene Großmutter vor Augen. Das kurze "Nie" des Titels ist klasse gewählt. Ein Abschied, der nie stattgefunden hat, weil plötzlich keine Zeit mehr dafür war. Ein immer wieder aufgeschobener Besuch, der nie erfolgt ist, der aus den verschiedensten Gründen immer weiter hinausgeschoben wurde.

Vermeintlicher Zeitmangel, man meint, so unglaublich viel zu erledigen zu haben im hektischen Alltagsleben, dass man Oma immer wieder auf morgen vertröstet und dabei vergisst, dass es dieses Morgen für sie vielleicht gar nicht mehr gibt. ("Ich war nicht schnell genug in meiner, deiner Zeit." S.4, Z.1) Aber vielleicht auch Unbehagen, eine gewisse Furcht vor der Begegnung mit diesem alten, kränklichen Menschen. ("Ich war noch nicht so weit." S.4, Z.4)

Was bleibt, ist Reue und ein schlechtes Gewissen, weil man weiß, wie sehr sich der alte Mensch über den Besuch und die Hilfeleistung (Stuhlreparatur) gefreut hätte. (Schön ist hier der fehlende vierte Vers in S.3 und der damit (reim-)verwaiste Stuhl.) Leider merkt man ja oft erst, was einem fehlt, wenn es nicht mehr da ist.

Besonders gut gefällt mir auch die Ambivalenz des fünften Verses: "In meinem Kopf sitzt du in deinem Zimmer", womit einmal die Erinnerung an eine tatsächliche Beobachtung bei einem Besuch gemeint sein kann, zum anderen aber auch die Schaffung von Erinnerungszimmern im eigenen Bewusstsein eine schöne Bebilderung gefunden hat. Die Oma, die vorher vielleicht in einem Heim leben musste, wird nun post mortem aufgenommen und bekommt ein eigenes Zimmer im Kopf des Enkels.

Die Sache mit dem Telefon ist wohl tatsächlich eine Erfahrung, die fast jeder irgendwie schon gemacht hat. Die Finger sind schneller als der Verstand, der gerne mal den Tod verdrängt. Zeile 3 ist allerdings auch die einzige Stelle, die mir ein wenig Probleme bereitet: "und hab‘s gewusst und weiß, dass ich dir fehle". Das "(ich) weiß, dass ich dir fehle" (Präsens) würde in meinen Augen bedeuten, dass die Oma doch noch am Leben ist. Für mich wäre die Sache weit logischer, wenn hier das Präteritum stünde - "fehlte" - und dann eben passend dazu "wählte" im Vers davor.

Sehr berührend. LG Irma

 Isaban meinte dazu am 19.08.14:
Danke für die tolle Rückmeldung, du!
Ich hab es mal ein ganz klein bissl verändert - vielleicht passt es ja jetzt so besser?

Liebe Grüße

Sabine

 Irma antwortete darauf am 19.08.14:
Jau! Viel besser!
Graeculus (69)
(19.08.14)
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P. Rofan (44)
(19.08.14)
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 Didi.Costaire (19.08.14)
LyrI macht es sich nicht leicht. Das fängt bereits beim manuellen Wählen der Telefonnummer an.
Liebe Grüße, Dirk
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