Yin und Yang - Das Empfangende und das Schöpferische

Essay zum Thema Grenzen/ Grenzen überschreiten

von  LotharAtzert

Den Text "Über die Illusion" von Ganna - hier im kV - nannte ich einen Basistext, weil er Grundsätzliches zum Ausdruck brachte über die Natur des Geistes. (- er sei hiermit noch einmal allen am spirituellen Leben interessierten Lesern empfohlen)
Er brachte freilich auch damit die zu erwartende Skepsis vonseiten Einiger zum Vorschein. Vor allem die Frage: Ist ein Leben ohne Illusionen überhaupt möglich?
Eine solche Frage ist zu komplex, um sie mit einem Satz zu beantworten. Man kann sich ihr jedoch auf Umwegen nähern und wenn man es eilig hat, - das Leben ist kurz -, ist der Umweg immer die beste Option.

Zunächst muß, wenn die Aussage, es sei alles Illusion stimmen soll, bemerkt werden, daß sie nur dann stimmen kann, wenn es einen dazugehörigen unverrückbaren Standpunkt außerhalb gibt. Wenn alles Illusion ist, ist nämlich auch eine solche Aussage illusorisch, denn woher einen unverrückbaren Standpunkt nehmen?
Aus diesem Widerspruch ist das Madhyamaka und sein Begründer Nagarjuna hervorgegangen. (Ich schrieb darüber in "Aufbruch zur Juweleninsel") Da wird zunächst der sogenannte Eternalismus oder Ewigkeitsglaube betrachtet, der in der Aussage "Es ist!" gipfelt. Ihm gegenüber steht das nihilistisch-verneinende "Es ist nicht!" - wir kennen die beiden vielleicht eher von Shakespeares "Sein oder Nichtsein", das dem Engländer eine brennende Frage war.
Das Madhyamaka vermeidet Extreme und spricht vom mittleren Weg des Sowohl-als-auch. Das Bejahen des ewigen Seins wird verworfen, da naturgemäß alles Leben ein Ende hat und alles Zusammengesetzte auseinander fällt - und auch das Extrem des Nichtseins wird verworfen, denn es geschieht ja unleugbar etwas. Ebenso wird das Weder-noch verworfen -was ist, kann nicht zugleich nicht sein; was nicht ist, kann nicht im selben Moment sein - und so bleibt das Sowohl-als-auch übrig.
Diese mittlere Betrachtungsebene läßt allem einen Spielraum, ohne jedoch zum fadenscheinigen Kompromiss zu mutieren.

Der springende Punkt - im Gegensatz zum beharrenden "Stand-Punkt" - ist der, daß die Menschen eine unterschiedliche Entwicklung durchlaufen und damit verschieden ausgeprägtes Bewußtsein haben, wodurch wieder die Wahrnehmung ganz verschieden ausfällt. Was dem einen unmittelbar einleuchtet, ist für einen anderen unannehmbar und daraus folgt, daß die Art, wie Menschen für den Weg der Befreiung (Skt. Dharma) aus den Illusionen empfänglich werden, ebenfalls unterschiedlich ausfällt. Einfachstes Beispiel: einen Trägen muß man wachrütteln, den Choleriker eher beruhigen - eine mittlere Position als Treffpunkt bewußter Unaufgeregtheit ist immer erkenntnisfördernd.
Um auf der Erde lebensfähig zu sein, ist die Natur des Geistes unterteilt in Bewußtsein und Unbewußtsein, physisch in Symphatikus und Parasymphatikus. Während der Symphatikus die bewußten Vorgänge voran treibt, beherrscht der Parasymphatikus die unbewußten und instinktiven. So wird ua. gewährleistet, daß auch dann weiter geatmet wird, wenn wir uns dessen nicht bewußt sind.

Alles was im illusorischen Dasein erscheint, ist zweigeteilt - sonst könnte es nicht erscheinen. Wir kennen das Yin-Yang Symbol der Taoisten, welches diesen Gedanken perfekt zum Ausdruck bringt. Yin ist das Empfangende und Yang das Schöpferische. In beiden Teilen des Kreises ist ein kleinerer Kreis des jeweils anderen, der wiederum ... - im Einen ist immer schon das andere und sobald ein Wachstum den Zenit erreicht, wandelt  sich der stoffliche Teil wieder zur Erdmitte hin.
Um aber einen Nutzen aus der Symbolik zu ziehen, muß man den Wandel des Schöpferischen und des Empfangenden in sich selbst entdecken - um es hernach in allem und überall in seinem Fluß wahrzunehmen. Wie das geschehen kann, hierzu ein paar Beispiele:
Die beiden Beine - was wäre eines ohne das andere? Ein Einzelnes wäre kein Bein mehr, jedenfalls keines, das zur Fortbewegung taugte, wozu sie doch da sind.
Nur zu zweit und nur durch beständigen Wechsel können sie einen Weg beschreiten. Doch nicht genug damit, es bedarf auch des Übergeordneten, des Stetigen in allem Wandel, denn die Beine können von sich aus nicht einfach losgehen, bedürfen der Koordinierung. Wenn du es eilig hast, mache den Umweg ...
Über Sonnenauge und Mondauge schrieb ich bereits, nämlich daß das eine der Wahrnehmungsschärfe, das andere dem Raumempfinden dient und sie zusammen uns erst die äußere Welt so sehen lassen, wie wir sie für wahr halten. Zusammen - im Übergeordneten.
Alle Primärorgane sind zweigeteilt: Gehirn, Lunge, Nieren, Herz ...
Was das Hören angeht, so findet im Prinzip dasselbe statt, wie beim Sehvorgang. Auch hier fördert das Experiment Ungeahntes zutage - man höre zB. ein Musikwerk mit jeweils einem verschlossenen Ohr, um sich den zweigeteilten Vorgang im vereinigenden Dritten zu erschließen. ... wobei das Erschließen wiederum zweigeteilt  ...
Sprachlich setzt es sich fort - man hört mit dem linken Ohr, wem man an-gehört. Sehen ist dem haftenden Feuer-Element analog, Hören dem fliehenden Wasser.

Das größtmögliche Gegensatz-Paar dünken uns Menschen für gewöhnlich Leben und Tod zu sein. Sie bedingen sich natürlich ebenso - was stirbt, ist das sogenannte Ich, während das durch Anhaftung und Abneigung Erwirkte nachtodliche Schockzustände durchläuft, die es über die Bindung an ein kopulierendes Paar zur Wiedergeburt treiben - was sich solange wiederholt, bis alle Anhaftung und Abneigung als illusionär erkannt ist und die Energie ausschwingen kann, ihr KARMA erschöpft ist.
Ohne das eine kein anderes und man könnte immer weiter machen - ohne den kraftvollen Mythos wäre ein anschauliches Fügen im Logos undenkbar, oder wie sollte man mit nur einer Zahnreihe Nahrung zerkleinern und wie ohne Wellenberg ein Tal sein können?

Legt sich aber der aus dem Spiel von Feuer und Wasser hervorgegangene Wind, werden Berg und Tal eins und wer ins Geeinte schaut, erkennt in den beiden - Spiegel und Spiegelung - die allumfassende Nondualität.

Diese Schrift ist nicht zur Aufklärung gedacht. Geht die Sonne im Osten auf, wird es hell; geht sie im Westen unter, wird's dunkel. Ist ein Wasser aufgerührt, klärt es sich vonselbst wieder, sobald der Aufrührer davon abläßt.


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Kommentare zu diesem Text

BabetteDalüge (67)
(29.08.14)
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 LotharAtzert meinte dazu am 29.08.14:
Was kümmern Dich die Eier anderer Hühner?;-)))
Scheester (80) antwortete darauf am 29.08.14:
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 Regina (29.08.14)
Yin - Yang -taoistisch, Nagarjuna usw. - vermutlich tibetisch-buddhistisch, Karmalehre - hinduistisch, Temperamentenlehre - Renaissance, Logoslehre - Aristoteles. Ich finde hier wohl interessante Gedanken, die eben diesen Lehren entspringen, aber ich fühlte mich beim Lesen ein bisschen wie auf der spirituellen Achterbahn.

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 29.08.14:
Dafür bist du umsonst gefahren.
Aber ich verstehe die Kritik und werde den Text in eins zwei Tagen löschen. (Hab schon vor Deinem Kommentar damit gespielt.)

Hätte ich statt von Yin und Yang von Vater-Mutter-Tantra gesprochen, hätte kein Schwein was verstanden. Karma gibt's nicht bloß im Hindusmus und alle anderen Terminologien sollten jeweils der Vereinfachung dienen - ich wählte jedesmal den bekanntesten Begriff.
(Antwort korrigiert am 29.08.2014)

 Regina äußerte darauf am 30.08.14:
Nur, weil ich nichts kapiere, brauchst du deinen Text nicht zu löschen.

 LotharAtzert ergänzte dazu am 30.08.14:
Das ist wahr. Aber ich mache mir halt so meine Gedanken: einen Text, wie den obigen, schüttel auch ich nicht einfach aus dem Ärmel. Und während selbst kleinste Gefühlchen anderer Autoren, -will ja keinen Namen nennen ... hübsch in metaphernverschwommene Nichtssage-Wörtchen verpackt mit bis zu 25 Empfehlungen und lächerlichsten Lobhudeleien überfrachtet werden, empfängt die meinen zumeist eisiges Schweigen, oder, wie in Deinem Fall und auch Babettes, harsche Kritik. Für andere bin ich ein "naiver Fundamentalist."
Das ist zwar gut - Kritik ist immer gut und auch willkommen - aber das Ungleichgewicht ist doch immens.

Und irgendwann hab ich keinen Bock mehr.
Patroklos (36) meinte dazu am 30.08.14:
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 LotharAtzert meinte dazu am 30.08.14:
Ach das Kiffen, das hab ich mal bei B-Site geäußert - geschieht doch eher selten ...
Weniger beschreiben - ja. Mehr Farbe - darüber werde ich nachdenken, ja, vielleicht, wahrscheinlich sogar hast Du recht.

"Mittlerweile hat doch jede halbwegs gebildetete Person eine Grundausbildung in deinen Themen." - also da irrst Du, Patroklos. Alles nur Theorie, nur Information, keine Erfahrung mit Inhalten. Hier auf kV ist zB. keiner, der auch nur ansatzweise dazu etwas Fundiertes geäußert hätte. (Jetzt außer Ganna) Oder wer sollte das sein?
Die Form passt nicht zum Inhalt - ja dann hab ich ja noch einiges vor mir.
Danke Dir

Ach das hab ich noch vergessen: bekäme ich 25 Empfehlungen, müsste ich mich natürlich auch fragen, was ich verkehrt gemacht habe ...;-)
(Antwort korrigiert am 30.08.2014)
Patroklos (36) meinte dazu am 30.08.14:
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