Dunkellicht

Kurzprosa zum Thema Engel

von  RainerMScholz

Diese Engel leben nicht und sterben nicht. Sie sind in einer Zwischenwelt, abseits der Wege und Städte und Länder. Wer den Drachen besiegte, kann nicht länger unter den Menschen verweilen, wer die Menschen aus dem Paradies vertrieb oder ihnen das Licht brachte, ist nicht von ihrer Art. Allein an den dunklen und unbekannten Orten dieser Welt sind sie dem Vergessen überantwortet, der Verachtung und dem Unglauben. Vielleicht sind sie nicht einmal von einem Gott gesandt. Haben sie es nicht gewagt, diesem Gott die Stirn zu bieten? Und hat jener die gefallenen Engel nicht beauftragt, das Böse in der Welt zu schultern?
Das sind keine geflügelten Lichtgestalten, das sind Berserker, Wilde und Totschläger, grobschlächtige Mohndrachenreiter mit der Axt in der Faust, die überirdische Taten begehen, bevor sie wieder in der Inexistenz verschwinden, dem Vergessen überantwortet, Aussätzige und Ausgegrenzte, die uns in einem Moment der Geschichte an der Hand nehmen, um uns im nächsten in die Dunkelheit zu stoßen. Sie schlagen uns und bringen die Menschen um. Sie verheeren ganze Landstriche und verneinen unser Dasein. Und sie retten unsere Kinder vor dem Übel, führen sie über die unsichere Furt und lassen das Leben weiter gehen.
Engel hören Black Metal in schwarzen Katakomben, trinken zuviel Alkohol und rauchen Tabak wie die Schlote; Engel sind dickbäuchige, unrasierte Chaoten, die Häuser besetzen und Steine gegen Polizisten werfen; Engel liegen auf der Straße und wir sehen sie nicht; Engel begehen Banküberfälle und werden von der Justiz verfolgt. Engel sind furchtbar schlechte Menschen. Deswegen sind sie Engel. Lichte und dunkle Engel. Oder beides. Aber sie sind nicht von unserer Art. Manchmal können sie fliegen, auch ohne Flügel, und die Gravitation kann ihnen eine zeitlang nichts anhaben.
Nun nimm mich an der Hand, Engel, und lass mich noch ein wenig fliegen mit dir, in diesem klaren Wodkahimmel, und ewig leben für diesen einen niedergeschriebenen Moment, mein Engel mit den ausgerissenen Flügeln, nackt und blutig und starr vor Angst vor dem Leben wie es ist in dieser Welt.



© Rainer M. Scholz

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