Oktobersonne

Kurzprosa zum Thema Jahreszeiten

von  Regina

„Was wie ein Sommertag aussieht, ist in Wirklichkeit keiner“, behauptete die alte Frau, die neben mir ihren Cappucino genoss. „Ja, morgens weiß man nicht, was man anziehen soll“, nahm ich das Gespräch nach Art der üblichen Wetterkonversationen auf. In diesen Tagen hielt uns die morgendliche Kühle davon ab, uns in unsere luftigen Sommerkleider zu schwingen, die zur Wärme am Mittag passen würden, wenn uns Strumpfhosen und Jacken lästig fallen. „Die Oktobersonne“, fuhr sie fort, „hat an unserem Körper kein Interesse.“ Dieser Ausspruch nun verließ das normale Wettergejammer, so dass ich einen Augenblick darüber nachdachte, ob die Sonne jemals Interesse an meiner Leiblichkeit gezeigt habe.  Die Alte fuhr fort: „Sehen Sie, jetzt, um zwölf Uhr, bekommen manche Kopfweh, weil sie uns direkt auf den Kopf scheint. Im Absteigen wird sie zuletzt unseren Hals berühren, dann geht sie unter. Nur die Sommersonne hat Interesse, das Herz zu erwärmen. Anders gesagt, im Oktober wird der Kehlkopf mit Energie geladen.“  Sie verließ das Straßencafé, mich nachdenklich zurücklassend. Ringsum boten Bauern und Bäuerinnen Feldfrüchte, Kräuter und Obst an. Oktober, die natürliche Zeit des Handelns und der Geschäfte. Handelte die Sonne wirklich so zielgerichtet, dass sie just zu diesem Zeitpunkt Stimme und Sprache energetisierte? So hatte ich sie noch nie betrachtet.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (29.09.14)
Interessante neue Aspekte. LG
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