Die Nadelschublade

Kurzgeschichte zum Thema Abendstimmung

von  Muuuzi

„Stürz doch nicht, ich bitte dich! Geh, geh doch endlich und bleib in deinem vollgestellten Zimmer, damit dir bloß nichts passiert!“ , rufe ich mit wahnsinnigen Blicken, die ich direkt auf meine alte Uroma richte, die ihren Verstand erfolgreich verdrängt hat.

„Ich weiß schon was ich tue, ich brauche dich nicht!“
„Natürlich brauchst du mich!“, herrsche ich sie an „spätestens dann, wenn du deine Inkontinenzversorgung benötigst. Oder willst du das die Leute über dich reden, wenn du mit nassem Röckchen herumläufst?“
„Das ist mir egal. Schon längst ist es mir egal, hörst du?“
„Früher war es dir wichtig, nicht dumm dazustehen!“
„Ja, weil ich noch dumm war, damals!“
„Jetzt setz dich hin und sei still. Ich kann es nicht mehr ertragen! Jeden Tag muss ich mir erneut deine Hiobsbotschaften anhören! Gestern verlangtest du, dass du auf einen Elefantenrücken tanzen möchtest! Heute willst du angepisst durch die Stadt rennen? Was kommt morgen?“
„Naja, wenn ich es denn so will. Lass mir doch noch den letzten Freiheitsfunken, den ich noch besitze!“
„Nein, das geht so nicht. Ich kann nicht mehr. Du gehörst ins Bett. Hör endlich auf, dass du dich blamierst und benimm dich wie eine vernünftige Erwachsene!“
„Vernunft ist tot. Vernunft wurde schon längst lebendig begraben!“
„Leg dich endlich hin. Du raubst mir meine Geduld.“
„Du raubst sie dir selbst, dumme Nuss! Lass uns lieber ausgehen und in einem Tanzkäfig das Leben feiern, so wie die jungen Nackten es tun, die sich wild um die Stange räkeln. Die wissen, dass man in jede Minute das machen muss, was man begehrt!“
„Bitte lege dich hin. Du willst doch nicht ernsthaft...? Du kannst doch nicht wirklich...? Die Leute werden... Warum sprichst du so verwirrende Gedanken aus? Sie tun das doch, damit sie Geld verdienen. Glaubst du wirklich, dass sie das immer genießen?“
„Zumindest besteht die Möglichkeit, es zu lassen. Doch sie nehmen diesen Weg, weil es ihnen gefällt. Sie tun das, was sie wählen dürfen!“
„Ich bitte dich Oma!“
„Ich sage nur, dass Leben einer Seifenoper gleicht. Man soll das tun, was unsere Freuden sind. Das sagen uns sogar seichte und oberflächliche Serien und Filme, die vom Menschen nur besserwissend angelächelt werden. Die wirklich Dummen aber... sind sie selbst, die Zuschauer. Sie zwängen sich in ein Korsett, in das sie nicht passen! Selbst die Schauspieler spielen Rollen, die sie ausleben können, weil sie sich in Wirklichkeit ebenfalls nach solchen Taten und Handlungen sehnen! So tun sie, als ob..., um den Schein ihrer Existenz aufrecht erhalten zu können, ohne ihren Ruf schaden zu müssen.“
„Soll ich den Pfarrer anrufen? Vielleicht möchtest du mit ihm sprechen? Er wird mir Recht geben. Du bist verwirrt und senil, Oma! Der Geistliche weiß immer, was zu tun ist!“
„Nicht einmal der Papst kann mich von meiner Meinung abbringen!“
„Oma, bitte!“
„Nein, Schluss mit Scheinfürsorge und Scheinhaftigkeit! Ich will leben! Zumindest ein einziges Mal, bevor ich sterbe! Meine Apokalypse naht. Ich spüre es!“
„Oma, beruhige dich doch und lege den Stock weg!“
„Die Menschen sind doch alle gleich. Alles sind sie in Schubladen zu werfen, nur dass sie stechen... wie spitze Nadeln, wenn man sie berühren und befreien möchte. Sie wehren sich wie Zinnsoldaten und benehmen sich wie Unholde, die glauben, bessere Wahrheit zu kennen als man selbst. Ihr seid die Irren! Du, meine Liebe, wirst es spätestens dann merken, wenn du die letzte Sekunde deines Lebens, an Werte und Normen vergeudet hast, die du nicht brauchst.“
„Oma! Leg den Stock hin, es ist zu gefährlich. Ich will nicht, dass dir was passiert!“
„Mir ist doch schon längst was passiert! Gesellschaft und Gefängnis- das ist mir passiert!“
„Ich liebe dich Oma und will nur das Beste für dich, kannst du das nicht verstehen?“
„Nein! Du tust nicht das Beste für mich!“
„Was soll ich denn tun?“

„Beschaff mir einen robusten Elefantenrücken und dann reite zusammen mit mir durch die Stadt bis die Sonne für immer untergeht...

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Kommentare zu diesem Text


 Kontrastspiegelung (11.10.14)
Also, ich finde es flüßig geschrieben.
Und die Kurzgeschichte anregend/ nachdenklich, zumal ich beide Parteien verstehen kann. Wiederum die Oma nach meinem Geschmack die Oberhand gewinnt. Meine, wie oft lässt man sich was von "Regelungen/ Normen" sagen anstatt zu leben? Wobei ich meine Oma auch nicht angepisst in die Freiheit los ziehen würde.
Insofern ist es ein kritische(r) Punkt/ Geschichte.

Liebe Grüße, Kathi
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