Der Gartentisch, der am Fenster vorüber flog und verschwand

Groteske zum Thema Absurdes

von  tastifix

Bereits seit Wochen war es unerträglich schwül und immer noch kein Gewitter in Sicht.
"Wenn das noch länger so bleibt, werd ich bekloppt!", stöhnte Michaela.
Aber zum Glück zeigten sich dafür bislang noch keinerlei Anzeichen - im Gegenteil.

Ein paar Tage darauf betrachtete Michaela erleichtert den Himmel, der innerhalb kürzester Zeit von einer schweren, blauschwarzen Wolkendecke verhüllt wurde. Die Sechzigjährige beschlich ein beklemmendes Gefühl, denn was sich dort oben ankündigte, wirkte mehr als bedrohlich.

Sehr bald bestätigte sich dann ihre Vorahnung. Es war erst früher Abend, aber draußen stockfinster, so, wie man es selbst in tiefer Nacht nicht oft erlebt.
"Weltuntergang!", durchfuhr es Michalea gerade, als bereits der erste Blitz aufleuchtete. Einen solchen Zickzack-Blitz hatte Michaela noch nie gesehen. Senkrecht niederfahrend schien er den Himmel in zwei Hälften zu spalten. Ihm folgte ein dröhnender Donner, der das Haus erzittern ließ.
"Oh nein, direkt über uns!"
Michaela gruselte es und doch vermochte sie den Blick nicht von dem beinahe höllischen Schauspiel zu abzuwenden.

Diesem ersten Blitz folgte der nächste, dann der übernächste. Es toste in einem fort, pausenlos. Gespenstisch sah es aus, das urplötzlich aufflammende, grelle Licht in dem Todesdunkel. Wind kam auf, wurde zum Sturm und gar zum Orkan. Die Schleusen des Himmels öffneten sich und wahre Sturzfluten ergossen sich zur Erde. Im drohenden Licht der Blitze verwandelte der Orkan die sich unter ihm ächzend knarrend beugenden Bäume in mystische Scherenschnittwesen. Sie schienen grausame Fratzen zu tragen und mit ihren weit ausladenden Ästenarmen
nach allem Umliegenden und Umstehenden zu greifen - auch nach Michaela. Doch fühlte sich diese in ihrem Haus geschützt und empfand keine Furcht. Diese Wesen der Unbezähmbarkeit würden ihr nichts anhaben können.

Weiterhin wütete das Unwetter in unverminderter Wildheit. Zäune barsten, Sträucher wurden aus dem aufgewühlten Erdreich entwurzelt und umher geschleudert oder knallten gegeneinander. Vom Nachbarhaus löste sich ein erster Dachziegel und krachte zu Boden. Steinen polterten gegen die Hauswand und der Regen peitschte die Dachfenster.
"Der Garten!!"
Michaela starrte fassungslos auf die vom Blitz erhellten zerfetzten Pflanzen und die umherliegenden Zaunstücke. Verstört wandte sie sich vom Fenster ab. Doch ihre Gedanken konnte sie nicht bezwingen und sah sich in Gummistiefeln durch eine verwüstete Trümmerlandschaft stapfen, die zuvor einmal ihr Garten gewesen war. Krampfhaft riss sie sich zusammen und lenkte sich notdürftig mit Haushaltsarbeiten ab, stets dabei das unheimliche Tosen im Hintergrund.

Plötzlich drang ein schriller Schrei zu ihr:
"Mamaaa!"
Entsetzt eilte Michaela ins Zimmer ihrer Tochter. Das Mädchen stand am Fenster und stierte entgeistert nach draußen. 
"Jetzt ists soweit. Ich dreh durch!!"
Was dort geschah, konnte nur Einbildung sein, eingegeben vom Schock, unter dem sie stand. Sie schaute auf ein langgestrecktes, grauschwarzes Etwas. Vom Sturm geschoben, flog es wackelnd langsam am Fenster vorüber. Ein Blitz erhellte es. Die Umrisse verrieten das Etwas als den den Beiden so sehr vertrauten Gartentisch. Seine breiten Seitenplatten waren wie zwei Flügel ausgeklappt und Böe nach Böe trieb ihn vorwärts - Zentimeter für Zentimeter. So, als ob eine Reise durch die Luft für ein solches Möbel total üblich wäre.

Michaela und ihrer Tochter verschlug es die Sprache. Hilflos verfolgten sie, wie der Tisch höher und höher stieg und schließlich von der Wolkendecke verschluckt wurde. Erst einige Minuten später fanden die Beiden die Sprache wieder.
"Mamaa?", kam zweifelnd.
"Ja, mein Kind!", antwortete Michaela fast tonlos bestätigend.
Mehr der Worte benötigte es nicht. Sie waren nicht etwa verrückt geworden, sondern hatten etwas so Extremes beobachtet wie vielleicht kaum mehr ein anderer Mensch.
"Hoffentlich nur nicht!!"

Derweil überquerte der Gartentisch die Stadt mit ihren zerstörten Gärten und abgedeckten Häusern. Überall sah es aus wie nach einem Krieg. Nichts schien mehr so zu sein wie vor diesem Jahrhundert-Unwetter. Aber ganz allmählich beruhigten sich die Naturgewalten. Die Blitze wurden weniger, die Donner leiser und der Orkan ließ merklich nach. Zunächst wackelte der Gartentisch nur etwas heftiger, dann aber verlor er an Höhe und sank schneller und schneller, bis er in einem rasenden Tempo mit einem fürchterlichen Getöse irgendwo aufkrachte. Seine Platten brachen aus den Halterungen und wurden durch die Wucht des Aufpralls ein paar Meter weit geschleudert und die zerbrochenen Beine lagen verstreut herum. Von dem einstmals so hübschen Gartentisch blieben nichts als hässliche Bruchstücke zurück.

Aber in Michaelas Erinnerung blieb er der einzige Gartentisch, der überhaupt jemals an einem Fenster vorbei geflogen und dann für immer verschwunden war ...

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Kommentare zu diesem Text

Inis (48)
(16.10.14)
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 tastifix meinte dazu am 24.10.14:
Hallo Iris!

Texte sind immer Geschmackssache.
Doch ich finde, die Weltuntergangsstimmung kann man sehr wohl nachempfinden.
Gruss
Gaby
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