Norbert Sternmut: Sonnwend

Rezension zum Thema Literatur

von  Hans

Norbert Sternmut: SONNWEND

„Der Raubfisch schwimmt im Hirn
eines jeden.“ (S.8)

Automarkt, Möbelmarkt, Schnäppchenmarkt, Wochenmarkt, Supermarkt: wir sind umstellt von „Angeboten“ aller Art. Ständig suggeriert uns die Werbung, welche Produkte und Dienstleistungen uns fehlen zum Erfolg, zum Glück –
Kurz vor der Kasse die günstigen Angebote, die wir prüfend in der Hand halten. Kaufen wir sie oder nicht, was bleibt ist das fade Gefühl, wenn wir später nachhause kommen.
Norbert Sternmut findet Worte für die bekannte Gemütslage. Unter dem merkwürdigen Titel „Solidarität der Kreaturen“ steht: … im Fadenkreuz der Schlange/ krümmt sich das Dunkel an den Kassen.“
Das Gedicht endet nach den eingangs erwähnten Raubfischversen so:
„Du stehst in der Masse
zwischen den Jahren, dem hingerichteten
Sortiment, im Verkauf
des letzten Funkens Verstand,

zweifelst am Zustand des Geistes,
vertagst die Wut weltauswärts.“  (S.8)

Das „hingerichtete Sortiment“ – von wem ist es hingerichtet und für wen?  Zweifel entstehen und Wut, die wir vertagen. Was vertagen wir nicht noch alles? Aber:„weltauswärts“?
Wo soll das denn sein?
Bündelt sich dort die Energie, die es braucht zur Solidarität, zur „Solidarität der Kreaturen“? Wie könnte die aussehen in einer bunt lackierten Warenwelt, in der alles käuflich ist. Der Preis bestimmt den Wert, das Übrige spielt keine Rolle.
Gibt es  gar keinen Ausweg? Die Ortlosigkeit des Schlusses kann doch nicht das letzte Wort sein.
Ich mache mich auf die Suche, blättere weiter, suche Halt. Den finde ich zunächst nicht. Weder „Fernreise“ (S. 41), noch „Wanderschaft“ (S. 47), noch „Also geh“ (S. 51), noch „Land unter“ (S. 53) zeigen, wo es langgeht.
Ab Seite 59 gibt es Liebesgedichte, beginnend mit „Sonnwend“.
Auf Seite 79 steht:
„Du lebst und bist gut,
wie Quelle und Glut.

Das Auge, es sieht
tausend Sonnen.“

Der Dichter preist die Geliebte. Das Gedicht trägt den Titel „An den Rand“.
Karl-Heinz Schreiber, der verstorbene Edelrezensent von Norbert hätte vielleicht geschrieben, dass er gerade das so bemerkenswert findet, dass Sternmut sich an traditionelle Themen traut und ihnen Neues entlockt.
Er beschwört die Macht der Liebe. Widersteht sie den Zumutungen und Verlockungen der Konsumgesellschaft? Was für eine konservative Fragestellung! Man könnte „Leuchtkäfer“ (S. 123) und das „Nachwort“ (S. 133) lesen und darauf eine Antwort finden.
Die Identität des Subjekts bröckelt jedenfalls schon seit geraumer Zeit. Seite 69: „der Strohhalm,/ und alles andere,/ was ich tue, verschweige/ und scheinbar bin.“ (Auch das Meer).
Gewissheiten und vermeintlichen Eindeutigkeiten schwinden, vielleicht trügt der Schein. Wie könnte man herausfinden, was dahinter steckt, und ob nicht das eigene Gesicht auch nur eine Charaktermaske ist? Unklare Konstellationen, wie lassen die sich darstellen?
Endlich: Halt (S.81)
Wieder das Spiel mit der Mehrfachbedeutung und dann das zentrale statement: „ Halt mir die täuschende / Welt vom  Leib.“
Wieder Flucht, Rückzug in das Idyll der Zweisamkeit gegen die böse Welt?
Man kann den neuen Gedichtband von Sternmut so lesen, möglicherweise liegt gerade darin seine Aktualität. Was bleibt uns anderes als der Entwurf oder der Traum von einer anderen Gesellschaft, und seien sie noch so versponnen und privat? Immerhin verspricht die Liebe einen anderen  Umgang miteinander. Einerseits. Andererseits ist lange bekannt, dass die Liebe diese Erwartungen nicht erfüllt. Die Arme ist immer weniger und zugleich mehr, als man erwartet und bleibt eines der Geheimnisse, in deren Umlaufbahn wir kreisen.
Norbert Sternmuts Liebesgedichte sind kein Protest. Wann waren Liebesgedichte das je? So naiv kann niemand sein, dass er das erwartet. Einerseits. Andererseits: wann waren sie es nicht? War die Minnelyrik  schon damals nicht auch ein Protest gegen die mittelalterliche Feudalgesellschaft, gegen das brutale Rittertum, gegen das ausgrenzende Standesdenken?
Das ist lange her.
Während ich hin und her blättere und stutze, wenn Norbert von „den Schluchten meines Wunsches“ (S. 85) schreibt, überkommt mich ein Gefühl der Eifersucht – oder ist es Neid? Wie viel Kraft liegt doch in der Geborgenheit dieser Liebe, in der er sich sonnt! Entgrenzt wie im Rausch und doch so nüchtern, dass sie die sogenannte Wirklichkeit ohne einen Hauch von Spott oder Ironie erträgt, sogar mit einem kaum merklichen Nicken des Einverständnisses. „Es ist, wie es ist, sagt die Liebe“, heißt das bei Erich Fried treffend.
Liebe nimmt die Welt, wie sie ist. Sie ist ein Fest, das uns verzaubert. Manche Gedichte schwelgen darin, wie glücktrunkene Gäste. Niemals soll die Party zu Ende gehen. Jede Liebe sehnt sich nach Ewigkeit, denn was bleibt, wenn dieses spezielle Gefühl fehlt? Nichts weiter als ein mickriges Dasein! Diese message ist bekannt seit Urzeiten. Norbert erinnert uns daran auf seine unverwechselbare Art. Dafür sei er gepriesen.



Norbert Sternmut: Sonnwend, Pop Verlag, Ludwigsburg 2014, 138 Seiten, 15,99 €,  ISBN 978-3-86356-092-8

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