Meine Universitätszeit. Verbindung ade

Erzählung zum Thema Trennung

von  EkkehartMittelberg

Meine Universitätszeit. Verbindung ade

In den ersten sechs Semestern meines Studiums von 1958-1961 konnte von einem kontinuierlichen Studium nicht die Rede sein, weil ich genötigt war, den größeren Teil Teil meiner Studienkosten als Werkstudent zu verdienen. Dennoch nahm ich mir Zeit für Entspannung in einer Farben tragenden, jedoch nicht schlagenden studentischen Verbindung.

Ich wäre dieser wohl nie beigetreten, wenn mich nicht ein Jugendfreund mit nachdrücklicher Werbung überredet und „gekeilt“ hätte.

Meine Skepsis wurde bestätigt, denn es wurde auf Kommando getrunken und ich stellte fest, dass Sprüche wie „Darf ich Herrn Fuchsmajor zuprosten?“ nicht böswillige Satire von Verbindungsgegnern waren. Oft musste ich mir diesen Spruch aber nicht anhören, weil ich die meisten Fuchsenstunden (Vorbereitung auf die Ideologie und den Comment einer Verbindung) schwänzte. Zu meiner Überraschung wurde ich trotz dieser Versäumnisse in die Verbindung aufgenommen.

Meine Corporation war wie die meisten anderen politisch konservativ. Ich nehme aber an, dass das  nicht allen meiner Verbindungsbrüder bewusst war, denn wir redeten bei unseren Treffen in den politisch windstillen 50er Jahren nur sehr selten über Politik. Doch meine Kommilitonen hätten es besser wissen müssen, denn unser Verbindungslied begann so:

„Das Käuzlein laß ich trauern
im Astloch Tag und Nacht
ich renn aus Schanz und Mauern
ins offne Feld zur Schlacht
Ich pflüge mit dem Schwerte
und schatze Stadt und Land
Das Glück ist mein Gefährte
und reicht mir treu die Hand
La la la la la la...“

Ich brachte das militante Lied auf die Tagesordnung und beantragte, es durch ein anderes zu ersetzen. Mein Anliegen wurde verstanden und wohlwollend diskutiert. Ich konnte mich aber nicht durchsetzen, weil man den Alten Herren (so nennt man die aus dem aktiven Verbindungsleben Ausgeschiedenen) ihre mutmaßlich schönen Erinnerungen an dieses Lied nicht nehmen wollte.
Möglicherweise war das Verständnis für meine Argumentation von einigen auch nur vorgeschoben, und man versteckte sich hinter den Alten Herren.

Wie auch immer, ich hielt das Argument, man dürfe den Alten Herren ihre Erinnerungen nicht zerstören, für das, was es war, nämlich für inakzeptable Sentimentalität und trat aus der Verbindung aus.

Gestern habe ich nach Jahrzehnten, in denen ich nichts mehr von der Korporation gehört hatte, ihre Internetseite aufgerufen. Unter dem Stichwort „Bundeslied“ steht nichts mehr. Ich möchte es nicht ganz ausschließen, dass meine Kritik später doch noch erfolgreich war.

© Ekkehart Mittelberg, Oktober 2014

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 loslosch (28.10.14)
... und schatze Stadt und Land

schatzen für brandschatzen. ist doch nett!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.10.14:
Wir müssten die Geschatzten mal fragen, wie nett, Lothar, aber die leben ja nicht mehr.

 Jorge antwortete darauf am 28.10.14:
Lothar, wie kannst du so kommentieren?
Ekkis Antwort sagt alles!!!

 TrekanBelluvitsh (28.10.14)
Ich danke dir, dass du meine Vorurteile gegenüber Verbindungen als Urteile entlarvst... :D

und schatze Stadt und Land(...)
Das ist schon ein ganz schöner Hammer. Erinnert mich irgendwie an den - schon zu meiner Soldatenzeit 1989/90 nicht mehr so angesehenen - Soldatendreikampf: Rauben, Brandschatzen, Vergewaltigen.

Hach ja, die gute alte Zeit...

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 28.10.14:
Danke, Trekan, ich meine ja auch, dass es sich um Urteile handelt, aber da werden korporierte Studenten sicher widersprechen.
michaelkoehn (76)
(28.10.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 28.10.14:
Ja, danke Michael, wahrscheinlich bin ich zu optimistisch.

LG
Ekki

 TassoTuwas (28.10.14)
Waren die Verbindungen in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens eine treibende Kraft der Demokratisierung und deutschen Vereinigung, so verloren sie danach doch immer mehr an Bedeutung. Heute sind sie bestenfalls noch Netzwerke, die ihren Mitgliedern Karrierevorteile bieten kann.
Auch Traditionen haben eine begrenzte Lebensdauer. Deine Erzählung hat meinen Blick auf diesen Teil der deutschen Geschichte gelenkt.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 28.10.14:
Merci, Tasso, du hast Recht: Von den demokratischen Idealen ist wenig geblieben; die Netzwerke aber halten sich zäh und effizient.

Herzliche Grüße
Ekki
Graeculus (69)
(28.10.14)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.10.14:
Danke, Graeculus, dein Ausruf bedeutet wohl, dass die schlagenden Verbindungen noch aggressiver sind. Ich kenne ihre Bundeslieder nicht, vermute aber, dass sie die Militanz der vorgestellten ersten Strophe nicht toppen können.
Graeculus (69) meinte dazu am 28.10.14:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Didi.Costaire (28.10.14)
Wenn man deinem Vorschlag hätte folgen wollen, hätte man analog zum großem Vorbild fortan die ausgesprochen friedliche dritte Strophe dieses Hoffmann-von-Fallersleben-Liedtextes singen können...
Liebe Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.10.14:
Grazie Didi, hier ist die ausgesprochen friedliche dritte Strophe:

"Wie Blümlein auf der Auen
schön wundersam erblüht
Liebäugeln uns die Frauen
ins Herz und ins Gemüt
Du schönster Schatz auf Erden
laß du dein Äugeln sein
ob ich dich lieben werde
das weiß nur Gott allein."

Ich vermute, dass sie wegen der Entschlusslosigkeit des Autors in den letzten beiden Versen durchgefallen wäre. )

Für Interessierte: Die zweite Strophe ist nicht weniger zimperlich als die erste:

"So Bruder, lasst uns wandern
die Kost ist hier zu schlecht
Bis wir dann auch den andern
geschatzt und abgezecht
und bin ich arm im Leben
so macht´s mir keine Pein
es wächst mein Gut am Reben.
und heißt mich fröhlich sein."

 AZU20 (28.10.14)
Ich habe auch tüchtig gewerkelt und keine Zeit für derlei Dinge gehabt. Ein Besuch mit einem Freund reichte mir. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.10.14:
Danke, Armin, ich hätte die Bremse wie du früher ziehen sollen.

 monalisa (28.10.14)
Lieber Ekki, gerade der vielleicht etwas naive Schlusssatz macht deine Erzählung in meinen Augen so besonders liebenswert. Dieser Rückblick 'vielleicht hats ja doch ein bisserl geholfen, auf keinen Fall aber geschadet' macht deinen LeserInnen Mut, gegen Missstände aller Art aufzustehen, aufmerksam zu machen, immer wieder - denn eine/r muss den Anfang machen! Und steter Tropfen höhlt den Stein :)!

Darüber hinaus zeigst du sehr schön, dass man in alles Mögliche hineinschlittern kann, es aber auch immer einen Weg herausgibt, wenn man sichs nicht passend machen kann.

Mit Studentenverbindungen bin ich nie wirklich in Berührunng gekommen (obwohls auch Studentinnenverbindungen und sogar gemischtgeschlechtliche geben soll!) Ein bisschen suspekt sind sie mir allesamt - (Vor-)Urteil?

Liebe Grüße,
mona

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 28.10.14:
Merci, Mona, du siehst mein Textchen recht wohlwollend, ich habe es ohne literarische Ambition geschrieben.
Zu der Frage, ob deine Sicht ein Voruteil enthält: Gerade machte mich Lluviagata in einer pN auf die satirische Schilderung einer schlagenden Vervindung von Heinrich Mann in seinerm "Untertan" aufmerksam. Gegen dessen bissige Ironie ist meine Kritik soft und sanft. Im Ernst: Inzwischen ist die Skepsis gegenüber Verbindungen berechtigt, nachdem die ersten zugleich vaterländisch und demokratisch gesinnten Korporationen (siehe Tasso oben) durchaus damals (nach dem Habsburger Treffen 1832) progressive Ziele verfolgten.

Liebe Grüße
Ekki

 Bergmann (31.10.14)
Es betrübt mich, dass immer noch Schüler von mir Verbindungen beitreten - und mich sogar auffordern, zu ihren Veranstaltungen zu kommen. Sie haben mir also gar nicht zugehört im Geschichts- und Deutschunterricht.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.14:
Lieber Uli,
in meinem näheren Bekanntenkreis gibt es zwei Menschen, die gute Demokraten sind und durchaus nicht das fragwürdig elitäre Gebaren mancher Verbindungsstudenten verkörpern.
So kritisch sie auch sonst sind, stehen sie immer noch zu der überholten Ideologie ihrer Verbindungen. Bei meinem Versuch, sie darauf anzusprechen, ließen sie mich liebenswürdig leerlaufen.
Von daher wundern mich deine Erfahrungen mit beratungsresistenten Schülern nicht. Das heißt aber nicht, dass mich diese Tatsache weniger betrübt als dich.

 Dieter Wal (31.10.14)
Dass außer dir sich niemand der Studenten am Brandschatzen störte, spricht für meine Vermutung, dass Verbindungsstudenten eher selten denken. Intelligenz ist auch unter Studenten leider nicht durchgängig verbreitet. Studentenverbindungen pauschal in der rechten Ecke anzusiedeln, halte ich für Unsinn. Ein Blick in den Verfassungsschutzbericht kann manchmal helfen. Auch ein Telefonat mit dem BfV, falls Fragen bestehen, welche "Alten Herren" sich in manchen Verbindungen betätigen, kann aufschlussreich sein. Generell nicht alles ungeprüft zu glauben, was einem Verbindungsstudenten erzählen, ist nicht verkehrt.
(Kommentar korrigiert am 31.10.2014)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 31.10.14:
Vielen Dank für deine Tipps, Dieter. Ja, man sollte Studentenverbindungen nicht pauschal in die rechte Ecke stellen. Ich habe aber noch keine kennengelernt, die ich als links oder linksliberal bezeichnen würde. Die Frage ist, warum sie fast alle konservativ bis reaktionär sind. Die Antwort ist relativ einfach. Sie pflegen alle die Tradition, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass man nur das bewahren kann, was man im Hinblick auf berechtigten Wandel zu erneuern bereit ist.

 Dieter Wal meinte dazu am 01.11.14:
Die Tipps galten, wie dir sicher bewusst war, nicht dir. ;) Nicht alle sind Dumpfbacken, was ich selbst noch bei manchen Nazis mit Bedauern feststellen muss. Hab in meiner Studienzeit auch sogen. "liberale Studentenverbindungen" kennengelernt, deren Mitglieder man vereinzelt als links bezeichnen könnte. Insgesamt teile ich deine Einschätzung. Viele sind konservativ bis reaktionär bzw. offen rechtsradikal wie zB der Dachverband der "Deutschen Burschenschaft".
(Antwort korrigiert am 01.11.2014)
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram