Trittbrettfahrer

Sonett zum Thema Täter/Opfer

von  Irma

Penetrant ist der Gestank,
widerlich nach Schnaps und Kotze.
Lautes Schnarchen und Gerotze
dringt hindurch zur letzten Bank.

Auf dem Boden liegt ein Mann
in uringetränkten Lumpen;
aggressiv springt dieser Klumpen
unschuldige Nasen an.

Um den Angriff abzuwenden,
schlägt man schnell den Mantelkragen
hoch - betreten, hinter Händen,

schaut man: Einmal und dann noch einmal
tritt ein Springerstiefelpaar brutal
zu, dem Penner in den Magen.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (03.01.15)
Erinnerte mich an "Clockwerk orange". LG

 Irma meinte dazu am 06.01.15:
Der Täter wird zum Opfer und umgekehrt, ja das stimmt. Ich danke dir herzlich, Armin. LG Irma

 niemand (03.01.15)
Das ist ein harter Brocken, liebes Irmchen, den Du hier
verdichtet hast, gut verdichtet hast. Man kann es fast körperlich riechen und fühlen. Mit herzlichen Grüßen, Irene

 Irma antwortete darauf am 06.01.15:
Ich entschuldige mich für diese olfaktorische Belästigung, Irene, und bedanke mich herzlich. LG Irma
Hengstenberg (52)
(03.01.15)
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 Irma schrieb daraufhin am 06.01.15:
Ja, das ist wohl wahr. LG und Dank, Irma

 Didi.Costaire (03.01.15)
Hallo Irma,
das ist aus der Realität gegriffen und knallt gerade deshalb besonders rein, und das in dreifacher Hinsicht.
Die Zeilen und der Aufbau gefallen mir grundsätzlich gut. Etwas seltsam klingen für mich die "letzte Bank" (erinnert mich zu sehr ans Klassenzimmer), das unvermittelte "dieser" vorm Klumpen und der Plural für hier nur eine Nase.
holzköpfchen (31) äußerte darauf am 03.01.15:
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 Irma ergänzte dazu am 06.01.15:
Abgesehen von den letzen zwei Zeilen ist es aus dem Leben gegriffen, Didi. Als ich im Spätsommer nach einem Konzert mit der S-Bahn nach Hause fuhr, hatten wir so einen Fahrgast im Abteil, den man schon beim Einsteigen roch, lange bevor man ihn sehen konnte. Der Gestank nach Urin wurde immer unerträglicher, alle vermummten sich hinter ihren Tüchern, und ich war auch nahe daran, freiwillig auszusteigen.

Deine Kritik an der "Bank" wundert mich auch, denn bei uns in Berlin haben wir wirklich nur einfache Bänke in der S-Bahn. (Ich schreibe gerade an einem Sonett über Schule, wo mir die von mir genannten Bänke viel seltsamer, irgendwie antiquiert, erscheinen. Wer drückt denn heute noch die Schulbank? Die Schüler sitzen doch heute auf hochmodernen, ergonomisch geformten Freischwingern ...)

Zum "dieser Klumpen" hat Holzköpfchen bereits alles gesagt. Bei den "Nasen" habe ich überlegt, ob du das singularisch aufgefasst hast, weil du es auf das LyrIch allein bezogst? Oder vielleicht auf die Person mit den Springerstiefeln? Ich meinte aber tatsächlich die Fahrgäste insgesamt, die unbestimmt im Hintergrund bleiben ("man") und damit dem "Mann" am Boden gegenüberstehen.

Ich bedanke mich in jedem Fall für die Schilderung deines Eindrucks. Das ist wie bei einer Zeugenbefragung: Jeder nimmt das Geschehen ganz individuell wahr. LG Irma
(Antwort korrigiert am 07.01.2015)
holzköpfchen (31)
(03.01.15)
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 Irma meinte dazu am 06.01.15:
Nein, Holzköpfchen, es ging mir nicht in erster Linie um Mitleid. Das hatte ich auch nicht, als ich in der Situation war. Es ging mir um das Thema Gewalt und Schuld. Der Penner liegt ruhig da und tut vermeintlich nichts. Vermutlich wird er nicht einmal eine Fahrkarte gezahlt haben ("Trittbrettfahrer"). Trotzdem wird sein Geruch als Bedrohung empfunden, macht die anderen Fahrgäste aggressiv. Ich habe versucht, die "Springerstiefel" als eine logische Antwort auf das "springt an" darzustellen. Dabei bleibt die Frage nach der Schuld der Gaffer im Raum. Mehrfaches betretenes Zuischauen auf der einen, mehrfaches Zutreten auf der anderen Seite. Macht man sich durch Nichtstun auch des Verbrechens schuldig ("Trittbrettfahrer")?

Der Betonungswechsel bei "EINmal UND dann NOCH einMAL" finde ich eigentlich nicht verwirrend, weil er nicht irgendwie erzwungen wurde, sondern ganz natürlich in dieser Weise vorkommt. Die Tritte gewinnen an Härte und Intensität. So wie der intensive Gestank immer durchdriingender wurde. Insofern erschein mir der Betonungswechsel passend, um die von dir genannte "Verlagerung der Agression" zu unterstützen.

Mit den Tritten in den Magen am Schluss wollte ich im hohen Bogen zum "pen(n)e(r)tranten" Geruch der Kotze am Anfang hinüberreihern. Aber da habe ich wohl nicht offensichtlich genug gebrochen. )

Vielen Dank für deine intensive Beschäftigung mit dem Text und deine eingehende Analyse. Ich werde noch weiter über die Terzette nachdenken (bzw. nehme auch gerne Anregungen entgegen). LG Irma
(Antwort korrigiert am 07.01.2015)

 EkkehartMittelberg (03.01.15)
Mir wird zunehmend bewusst, wie sich gerade die edle Form des Sonetts zur Gesellschaftskritik eignet.

LG
Ekki

 Irma meinte dazu am 06.01.15:
Ich glaube, in dieses kleidsame Mäntelchen kann man sehr viel stecken, Ekki. Lieben Gruß und Dank, Irma
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