Anna oder die Ersetzung der Außenwelt durch Applaus

Sozialdrama zum Thema Literatur

von  toltec-head

Anna schreibt jetzt ihre Gedanken und Gefühle in einem Internetliteraturforum und ersetzt auf diese Weise die Außenwelt durch Applaus.

Die Außenwelt hat 30 Jahre oder länger Anna versucht klar zu machen, dass sie aufgrund konstitutioneller Gegebenheit nur dazu da ist, Essen für andere herbeizuschaffen oder in bescheidener Form mittels Sexualität Essen für andere zu sein. Immer, wenn sie an die Außenwelt stieß, fühlte sie sich auf ihr Anna-Sein reduziert und auf die Unmöglichkeit, jemals Teil von etwas größerem als sie selbst zu werden. Schon seit langem hatte sie daher ihr Sensorium für die Außenwelt mittels sentimentaler Gedanken, die zwischen Selbstmitleid und Anna-Pushing changierten, wattiert.

Da die Außenwelt aber doch immer wieder durch die Watte drang, machte die kakophone Situation Anna auf Dauer krank und sie wäre immer kränker geworden, wenn sie nicht schließlich auf eine neue technologische Erfindung gestoßen wäre: Internetliteraturforen. Jetzt schreibt sie ihre Gedanken und Gefühle dort auf und ersetzt auf diese Weise die Außenwelt durch Applaus. Bequemer als für einen Dschihadisten, der dafür sein Leben lassen muss, werden für Anna ihre Gedanken und Gefühle durch das Aufzeichnen in einem Internetliteraturforum ihrem Gefühl nach Teil von etwas größerem als sie selbst.

Niemand muss heute mehr Dschihadist, Politiker, Professor oder Schriftsteller sein und die Außenwelt vergewaltigen, um ständigen Applaus wie aus einer Zitrone aus ihr herauszupressen. Obwohl man nur Anna ist und auch vollkommen unfähig, jemals mehr als nur Anna zu sein, kann man heute den selben Effekt erzielen wie Dschihadisten, Politiker, Professoren oder Schriftsteller: durch Internetlieraturforen oder andere soziale Medien nämlich.

Für die alten Zitronen-Presser mag das ein Rückschritt sein. Aber wie sollte man leugnen, dass dies aus der Sicht von Anna ein Fortschritt ist?

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (15.01.15)
Eine Erweiterung des Begriffs der Menstruationslyrik?

Der Text ruft vermutlich Feministinnen auf den Plan und bringt Dir den Vorwurf der Misogynie ein, aber die Beschreibung gilt auch für männliche Literaturforenbenutzer, denke ich.

 toltec-head meinte dazu am 15.01.15:
Absolut, Dieter, Anna bin ich!
parkfüralteprofs (57) antwortete darauf am 15.01.15:
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Sätzer (77)
(15.01.15)
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 Regina (15.01.15)
Noch besser. Anna wird bekannt durch Aufsätze wie diesen hier.
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