Phantastisches beim Alm-Aufstieg.

Erzählung zum Thema Nachdenkliches

von  Orion

Auch Sie haben sicherlich schon einmal unglaubliche Geschichten gelesen oder gehört, die von ihren Urhebern als absolut wahr und eventuell sogar selbsterlebt, wenn auch eigentlich fast nicht zu glauben, zum Besten gegeben werden und die leider schon nach kurzer Einwirkzeit erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt des Dargebotenen oder sogar der Ehrlichkeit des Darbieters aufkommen lassen.
Eben weil doch zu fantastisch oder auch schlicht unmöglich.

Auf die Gefahr hin, dass es mir jetzt ähnlich ergeht kann ich nicht umhin, hier ein mich seit vielen Jahren belastendes Erlebnis zu veröffentlichen, welches mir auch heute noch so unwirklich vorkommt, dass ich mehr als einmal um göttlichen Beistand flehte auf dass mich endlich die gesicherte Erkenntnis überkommen möge, alles sei lediglich die Folge eines Sturzes mit anschließender, glücklicherweise vorübergehender Totalverwirrung.
Aber eine innere Stimme sagt wieder und wieder: „Genauso ist es passiert! Alles ist wahr! Du hast Dir das nicht eingebildet! Erzähl es unbedingt weiter, alle sollen es erfahren!“

Daher also:
Es war mein erster Urlaub nach der schmerzlichen Trennung von meiner langjährigen Lebensgefährtin.
Schmerzlich insofern, weil der Trennungswunsch ausschließlich von ihr ausging und meine Ex-Gefährtin darüber hinaus der festen Überzeugung war, auf allerschlimmste Demütigungen und Schmähungen, meine Person betreffend, während und auch noch geraume Zeit nach dem Trennungsprozess nicht verzichten zu können.
Um den Grad der charakterlichen Schieflage dieser Person darzulegen sei erwähnt, dass der erwählte neue Lebens- und (mit Sicherheit) auch Sexualpartner –die (schmelz) größte Liebe ihres Lebens!!- aufgrund eben dieses –ich kann es nicht anders bezeichnen- wahnhaften Verhaltens nach kurzer Zeit schockiert das Weite suchte.
Der gute Mann hat sich bei mir mit einem handgeschriebenen Brief dafür bedankt, dass ich quasi rechtzeitig den finsteren Teil der Seele dieser Person hervorgezerrt habe und dieser Teil sich -zu seinem riesengroßen Glück- auf mich gestürzt hat und er dadurch vor dem schrecklichen Schicksal bewahrt wurde, irgendwann so dazustehen wie ich, nämlich als ein Bild des bemitleidenswerten Jammers.
Nun ja.
Die raue Schönheit und kalte Einsamkeit der Alpen schien mir damals –neben Island im Spätherbst- ein geeignetes Plätzchen für einen Jahresurlaub  zu sein.     

Doch zum Wesentlichen:
Während eines Aufstiegs auf die Jodolioha-Alm, kurz nach dem Passieren des Miriä-Verkündungskreuzes, verschlechterte sich das Wetter innerhalb von Sekunden so extrem, wie ich es noch nie erlebt hatte.
Wo eben noch strahlendes Sommerwetter war peitschte ein plötzlich aufheulender, eiskalter Sturm sintflutartig dicktropfigen Regen durch die Luft. Innerhalb eines Sekundenbruchteils wurde mir die Sicht komplett genommen.
Während meiner panischen Suche nach einem sicheren Unterschlupf brandete durch das Regenstakkato ein infernalisches Heulen, welches unvermittelt mit einem krachenden Aufschlag irgendwo rechts neben mir endete.
Ohne nachzudenken lief ich, gebückt und die platschnasse Jacke schützend über den Kopf gezogen, in diese Richtung.

Wenige Augenblicke später stand ich staunend in einer kreisrunden, regenfreien Kuppel vor einem abgestürzten, auf der Seite liegenden, zuckenden(!) dunkelgrauen Hubschrauber, dessen uniformierter Pilot sich grunzend aus dem geborstenen Seitenfenster zu zwängen versuchte.
Kleine blaue Flammen im Inneren der Pilotenkabine erzeugten ein knisterndes Geräusch wie ein Holzfeuer, waren aber wohl nicht heiß genug, um die Inneneinrichtung des Helikopters zu entzünden.

„Guten Tag!“ rief ich dem sich aalartig windenden Piloten zu.
„Ihnen auch einen guten Tag!“ rief dieser fröhlich zurück.
In meine Überlegungen hinein, wie ich dieses Gespräch sinnvoll fortsetzen könnte, sagte der Pilot: „Sie werden nicht glauben, was hier passiert ist.“
„Sehr wahrscheinlich doch.“ erwiderte ich spontan.

Überraschend geschwind hatte sich der arme Mann aus dem knisternden Hubschrauberwrack befreit, platschte ächzend auf den harten Felsboden, rappelte sich hurtig wieder auf und kam, die rechte Hand zum Gruß ausgestreckt, locker tänzelnd auf mich zu.
„Wie wirkt diese Szene auf Sie?“ fragte er mich während des Händeschüttelns und beschrieb mit dem linken Arm einen Bogen über den Hubschrauber und die uns umgebende kreisförmige Regenschutzkuppel.
„Sie sind in eine Wetteranomalie geraten, mit dem Hubschrauber abgestürzt und blieben –welch großes Glück- unverletzt?“ fragte ich vorsichtig.
„Das ist also tatsächlich Ihre Wahrnehmung?“
„Ja, etwas anderes vermag ich dieser Szenerie im Augenblick nicht zu entnehmen.“ antwortete ich.
Mein Gesprächspartner schwieg, sah in den Himmel über sich und schien in sich selbst zu versinken.

„Nun, dann will ich mal wieder.“ sagte ich so selbstsicher wie es mir möglich war. „Die Alm macht über Mittag zu und bei diesem Wetter draußen stehen und warten … Lieber nicht!“
„Da haben Sie wahrscheinlich Recht. Wir könnten aber auch in meinem –äh- Hubschrauber bleiben und den Regen um uns herum abwarten.“ bot der Pilot an. „Mittlerweile sollte die Tür schon wieder funktionieren. Da müssen wir uns nicht unbequem durchs Fenster zwängen.“
Krachend stellte sich der Hubschrauber in diesem Augenblick wieder auf seine Kufen, die Seitentür öffnete sich einladend.
„Na, sehen Sie, klappt ja alles hervorragend“, sagte der Mann und führte mich am Arm zum immer noch knisternden Hubschrauber. „Wissen Sie, ich bin wirklich gern in menschlicher Gesellschaft, auch wenn das nicht überall positiv gesehen wird.“

Ich versuchte, während wir auf der gepolsterten Sitzbank im Inneren des blitzenden, knisternden Hubschraubers Platz nahmen, einen Satz zu formulieren, der meine beunruhigenden Beobachtungen präzise darlegte, mein Gegenüber jedoch nicht zu unüberlegten Handlungen gegen meine Person  verleiten würde.
„Ist es eventuell möglich, Herr Pilot, dass sich dieser Hubschrauber von selbst repariert? Ich verstehe natürlich nicht sehr viel von moderner Hubschraubertechnik, möchte ich vorausschicken, aber die Beulen ringsum sind jetzt alle weg, die geborstenen Scheiben sind wieder heil und die Propellerflügel sind auch wieder ordentlich lang gewachsen.“ sagte ich betont lässig.
„Wobei ‚Hubschrauber‘ eigentlich die falsche Bezeichnung ist.“ lautete die Antwort.
„Hätte ich Helikopter sagen sollen?“ warf ich ein.
„Wäre genauso falsch.“
„Was ist es dann?“
Der Pilot lehnte sich zurück: „Sie sind mir sympathisch, daher sollen Sie von Dingen erfahren, die nur wenigen Personen auf diesem Planeten bekannt sind. Wo fange ich nur an?“ Er rieb sich das Kinn. „Sie kennen doch bestimmt einige … nun … Verschwörungstheorien?“

„Ja, wenn Sie damit die Mondlandung meinen oder Ufos oder die Hallmann-Verschwörung. Da ist mir so einiges bekannt.“
„Äh, Hallmann-Verschwörung? Nie gehört.“ fragte mein Gegenüber erstaunt. „Worum geht es da?“

„Soweit ich weiß –habe ich im Internet gelesen- geht es um Forschungsergebnisse eines Prof. Dr. Hallmann, die, wenn sie in die falschen Hände geraten würden, in relativ kurzer Zeit das Ende der Menschheit herbeiführen könnten. Mehr ist dazu nicht bekannt. Prof. Dr. Hallmann soll  –lt. Internet- Zuflucht bei geheim hier auf der Erde wohnenden Aliens gefunden haben, aus Angst, dass seine Forschungen von Menschen missbraucht werden könnten.“
Der Pilot sah mich erheitert an: “Der Mann heißt übrigens Holzmann und er ist keinesfalls Professor oder hat einen Doktortitel, sondern ist ein hochgradig verhaltensauffälliger Chemielaborant.
Seine Erfindung –die er rein zufällig durch wahlloses Zusammenpanschen von Resten aus Reagenzgläsern machte- hat es allerdings in sich.
Der Wirrkopf hat tatsächlich einen Hormoncocktail zusammengebraut, der jedes atmende Wesen, egal wie alt, gebrechlich, welchen Geschlechts oder Glaubens, dazu zwingt, sich sofort paaren zu müssen. Mit wem oder was, völlig egal!
Das Zeug muss einfach nur in die Luft gesprüht werden, ein paar eingeatmete Moleküle reichen schon.
Die Wirkung hält stundenlang an, ein Gegenmittel gibt es bis heute nicht.
Während er im Labor damals –zu seinem Glück- vorschriftsmäßig eine Atemschutzmaske trug waren die armen Labortiere der gerade entdeckten Substanz hilflos ausgeliefert.
Was sich da abspielte –besonders schlimm ging es in den Massenkäfigen zu- machte ihm klar, dass bei dieser Suppe ab sofort die höchsten Sicherheitsstandards einzuhalten waren.
Andernfalls: Stellen Sie sich das nur vor: Die Menschheit vögelt sich und einen erheblichen Teil ihrer Haus- und Nutztiere zu Tode. Beziehungsweise umgekehrt.“
Er grinste vor sich hin. „Wissen Sie, wie wir ihm draufgekommen sind, diesem Holzmann?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Um die Wirkung seines Mittelchens auf Menschen zu testen hat er nachts im Zoo von Zürich ganz mutig einen Selbstversuch gemacht, sehr kompetent und umsichtig in kompletter Industrie-Tauchermontur.
Das Teufelsgemisch war sicher in seinen Luftflaschen untergebracht, aus heutiger Sicht ein absoluter Glücksfall, was bei der damals vorherrschenden Windrichtung Mittel- und Westeuropa betrifft.
Als er entschlossen das Atemventil aufdrehte und sich der Wirkung aussetzte stand er direkt vor den Schimpansenkäfigen.
Die Gitter haben gehalten, aber die armen Primaten drehten völlig durch, rasten hysterisch schreiend durch die Käfige und so. Was bei dem, was sie zu sehen kriegten, eigentlich auch kein Wunder war.
Das gellende Affengeschrei hat uns dann alarmiert, per Abnormitäts-Meldesensor. Wir mussten ihn regelrecht vom Gitter abreißen. Mann, stellen Sie sich bloß mal vor, er wäre bei den Elefanten oder –schlimmer noch- bei den Gorillas gewesen …“

Ich sah ihn fassungslos an. Er schien in Form zu kommen, denn er fragte mich: „Ich hätte da noch mehr unglaubliche Sachen auf Lager. Wollen Sie sie hören? Der Regen wird garantiert noch ein Weilchen dauern, nehme ich an.“

Beklommen stellte ich die Frage: „Bin ich evtl. in Dreharbeiten hineingeraten und werde jetzt kräftig zum Besten gehalten –vorsichtig ausgedrückt?“
„Aber Nein! Sie können da ganz beruhigt sein. Oh, einen kleinen Augenblick bitte, ich erhalte da einen wichtigen Anruf.“ sagte der uniformierte Pilot, sich der Instrumententafel zuwendend, auf der ein orangefarbenes Licht rhythmisch blinkte.
Die folgende Unterhaltung wurde in einer mir gänzlich unbekannten Sprache geführt, aus der sich mir nur einige unsinnige Silben wie „Schrooonfrch“ oder „Gnnnuhurrnooo“ eingeprägt haben, da sie sehr häufig vorkamen.
Einen heftigen Tritt des Piloten gegen das orangefarbene Lämpchen deutete ich zutreffend als Gesprächsende.

Er wandte sich an mich: „Tut mir leid, das war die Sektorenzentrale. Die haben unser Gespräch dummerweise mitgehört und mir mal wieder die Hölle heißgemacht. Von wegen Geheimnisverrat und so. Naja, vielleicht plappere ich wirklich zuviel. Dann also das übliche Procedere: Gehirn-Reset bei Ihnen, Umgebungs-Reset und Abflug.“
Während ich mich um vollständiges Verstehen des soeben gehörten Satzes bemühte stülpte mir der Pilot blitzschnell einen weichen, feuchten Sack über den Kopf, ich hörte noch einen Satzfetzen: … Mist, nur 96% … und fand mich inmitten einer neugierigen Menschenansammlung auf dem Wanderweg beim Mariä-Verkündigungskreuz auf dem Boden liegend wieder.
Meine Fragen: „Wo ist der Pilot?“ bzw. „Warum ist das Gras nicht nass?“ wurden mit wissenden Blicken und „Hat sich wahrscheinlich ordentlich den Kopf gestoßen.“ beantwortet.
Aber glauben Sie mir bitte: Was Sie soeben gelesen haben ist wirklich passiert. Zu 4% jedenfalls.

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