Karlas erster One-Night-Stand

Text zum Thema Alltag

von  modernwoman

Karla hat nach der Trennung von ihrem Mann mal wieder richtig Bock auf göttlichen Sex. Also geht sie zu Facebook, schaut sich dort bei einigen Männern um und ihre Fotos an. Da ist ein Typ, der sieht unheimlich maskulin aus, hat ne knackige Figur auf dem Bild und ein wirklich sympathisches Gesicht. Die auf der Infoseite zu lesende Vita tut ein Übriges, ihr den Mund wässrig zu machen.

Zuerst stellt sie also mal eine Freundschaftsanfrage, die auch sofort(!) bestätigt wird. Als hätte John - so nennt er sich in seinem Profil - nur darauf gewartet. Sie bedankt sich artig für die Annahme und schon entspinnt sich im Privatchat ein angeregtes Gespräch. Ihr Gegenüber scheint ziemlich eloquent zu sein, was Karla nicht unbedingt als Nachteil ansieht.

So nimmt es nicht weiter wunder, dass die Beiden sich zu einem Date verabreden. Karla meint, das könnte bei ihr zu Hause sein und dort könnten sie ja weiter über Einsteins Relativitätstheorie bei einer Tasse Kaffee diskutieren.

Theorien sind meist relativ und so kommt es, wie es kommen muss - John wird sie um 19:00 Uhr besuchen. Pünktlich um diese Zeit klingelt es an der Tür und als Karla öffnet, steht ein riesiger Blumenstrauss vor ihr. Eine sonore Stimme grüsst und eine unsichtbare Hand streckt ihr den Blumenstrauss entgegen, den Karla einigermassen verlegen, entgegen nimmt.

Karla zu John:
"Bist Du John?"

Ihre Gedanken wirbeln durcheinander. John scheint sich in der kurzen Zeit mächtig verändert zu haben. Sein Six-Pack hat sich zu einer Art Melone verformt, während die vollen Haare von FB-Profil einer schütteren Halbglatze Platz gemacht haben. Karla versucht ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Schliesslich zählt doch nur der Mensch mit allen seinen guten Eigenschaften. Da sollte das Aussehen wirklich sekundärer Natur sein. Sie tritt also etwas zur Seite und bittet John einzutreten.

John zu Karla:
Eine hübsche Wohnung hast Du."

Während er sich scheinbar interessiert in Karlas Wohnung umschaut, betrachtet er sie heimlich aus den Augenwinkeln. Was er sieht, gefällt ihm ausnehmend gut. Da steht eine hübsche Mittdreissigerin mit einer tollen Figur und braunen, zu einem Pony geschnittenen Haaren.

Karla zu John:
"Komm doch erst mal ins Wohnzimmer. Setz Dich hin, wo Du magst."

John zu Karla:
"Danke."

Karla holt den frisch gebrühten Kaffee aus der Küche und stellt die Kanne, nachdem sie erst John, dann sich selbst eingegossen hat, auf den Wohnzimmertisch. Dann setzt sie sich ihm gegenüber und sieht ihn erwartungsvoll an. John knüpft an ihr Gespräch bei Facebook an und bald entwickelt sich eine angeregte Unterhaltung, die Karla vergessen lässt, dass Realität und Bild weit auseinander klaffen. Es ist schon ziemlich spät, als John aufsteht. Auch Karla erhebt sich und beide stehen sich einen Augenblick, der wie eine Ewigkeit scheint, gegenüber. Karla sieht die Begierde in Johns Augen und bemerkt, dass er sich krampfhaft zurückhält. Also macht sie entschlossen einen Schritt auf ihn zu und küsst ihn sacht auf den Mund. John erwidert ihn und im Rausch der Gefühle, reissen beide sich die Kleider vom Leibe und landen in Karlas breitem Bett, welches sich ihnen ausladend entgegenstreckt.

Der nächste Morgen: Karla wird wach, blickt auf den schlafenden John herunter und zündet sich eine Zigarette an. Dieser wird vom Aroma des Zigarettenrauchs wach und setzt sich auf.

Karla zu John:
"Du John, was bist Du eigentlich von Beruf. Darüber haben wir gestern abend ja gar nicht gesprochen."

John zu Karla:
"Ich bin Anästhesist."

Karla zu John:
"Das hätte ich mir denken können, ich habe überhaupt nichts gemerkt..."

John wird rot, räuspert sich und formt schliesslich seine Lippen zu einer Frage.

John zu Karla:
"Sag mal, wärst Du gerne manchmal ein Mann?

Karla betrachtet ihn amüsiert, lupft ein wenig die Bettdecke und schaut darunter.

Karla zu John:
"Nein, und Du ?..."

Cornelia Warnke

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