50 Tönungen von Grau

Short Story zum Thema Abendstimmung

von  AndreasG

Fünfundzwanzig Paare bewegen sich auf der Tanzfläche, einige zucken nur, andere schwingen oder zappeln heftig. Manch eine Tanzpaarhälfte wippt nur mit dem Fuß, während das Gegenüber die Hüften wiegt. Drei Paare spulen stur die Figuren ihres Disko-Fox ab, egal welche Musik gerade spielt.
Auf den Tischen rund herum stehen Kaffeetassen, angetrunkene Gläser mit Orangensaft und Flaschen mit Mineralwasser. Dazwischen kleine Schalen mit blauen und rosafarbenen Pillen und Teller mit halb aufgegessenen Kuchenstücken. Auch einige Glasschalen mit Pralinen und Keksen sind zu sehen.
In der Ecke, gleich neben der Theke, hüpft Schwester Heidi in ihrer Nonnentracht auf und ab. Sie ist der Disc-Jockey, der DJ, dieser Veranstaltung. Sie legt die Musik auf. Sie gibt den Rhythmus vor.
Eine Stunde später ist die Party schon zu Ende. Schwester Heidi räumt die Tische ab, während Lukas und Lennard um sie herum scharwenzeln. Sie helfen halbherzig mit, tragen mal ein leeres Glas zur Theke, mal wischen sie einen Tisch ohne große Begeisterung ab. Meist sind sie nur damit beschäftigt Schwester Heidi zu beobachten.
Der Rest der Partygäste hat sich längst in die erste Etage verzogen.
In Zimmer 10 sind Emma und Lina beschäftigt. Nur leises Summen ist hinter der Tür zu hören.
Aus Zimmer 11 ist das regelmäßige Klatschen einer Peitsche zu vernehmen, dem jedes Mal ein verschwommenes Stöhnen folgt.
An der Tür zu Zimmer 12 wird es noch lauter: ungestümes Lachen und ausgelassenes Quietschen von mehr als zwei Personen.
Zimmer 13 gibt es nicht.
Alinas Zimmer, Zimmer 14, liegt in einer Aura der Stille, während es hinter der Zimmertür 15 metallisch klickt. Leises Wimmern folgt.
„Ja, gib's mir, gib's mir“, ruft jemand hinter Tür 16.
Durch Tür 17 dringt das typische Stöhnen eines Porno-Films. Was zusätzlich passiert, ist nicht festzustellen.
Paula, Kim und Karolin sind hinter Tür 18 beschäftigt. Nur geräuschvolles Seufzen und schweres Atmen sind zu vernehmen.
Nicht viel anders geht es hinter Tür 19 zu, nur halt zwischen Marvin, Julian und Felix. Die Töne sind etwas tiefer und kehliger, aber weitaus lebendiger, als das mehrstimmige Schnarchen aus Zimmer 20.
„Knie Dich nieder,“ kommt es herrisch aus Zimmer 21 und aus Zimmer 22 schallt eine männliche Stimme aufgebracht: „Den kletternden Affen? - Janina, den konnte ich nicht einmal mit zwanzig!“
Unten im Ballsaal muss sich Schwester Heidi inzwischen gegen die Attacken von Lukas und Lennard verteidigen. Ihre braune Ordenstracht ist schon unglücklich verrutscht, die Kaputze sitzt schief und der Gürtel liegt irgendwo auf dem Boden. Ab und an blitzen ihre Netzstrümpfe hervor, wenn sie einen Haken schlägt oder mit wenigen schnellen Schritten auf Abstand geht. Das Ausweichen verläuft jedes Mal erfolgreich, weil Lukas und Lennard mit herunter gelassenen Hosen nicht sehr beweglich sind.

Rettungssanitäterin Gina schreckt aus ihrem Schlummer, als der Alarm losgeht. Etwas desorientiert zuckt ihr Blick zwischen der Anzeige des Alarms und ihrer Partnerin hin und her.
„Was?“ bringt sie mühsam heraus. Dann wird sie klarer. Sanft reibt sie sich die Augen und schüttelt einmal den Kopf durch.
„Aufstehen, Tanja,“ sagt sie und startet mit einem schnellen Kommando die Systeme des Rettungswagens. „Kollaps im Seniorenzentrum 'Spätes Glück'. Wieder eine Orgie bei den Grauen, rufe Du schon mal Verstärkung.“

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Kommentare zu diesem Text


 Songline (16.02.15)
Na, da geht's ja heiß her. Kurzweilig geschrieben mit einem herrlichen Spiel in der Überschrift
Liebe Grüße
Song

 AndreasG meinte dazu am 19.02.15:
Die Idee entstand am Valentinstag bei meinen Valentins ... ;)

 Lluviagata (16.02.15)
Das musste sein. :D

Liebe Grüße
Llu ♡

 monalisa (16.02.15)
Da tun sich Abgründe auf in diesem bumsfidelen Altenheim ;). Man kommt ja beim bloßen Lesen ganz außer Atem.

Liebe Grüße,
mona
Silvi_B (48)
(16.02.15)
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Gringo (60)
(16.02.15)
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Sätzer (77) antwortete darauf am 16.02.15:
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 Dieter_Rotmund (16.02.15)
Gerne gelesen, einer "Abschlusspointe" hätte es jedoch nicht bedurft, wie ich finde.
HermaPhrodita (49)
(16.02.15)
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 AndreasG schrieb daraufhin am 19.02.15:
Ja, die Idee kam mir auch: "Grau ist das neue Blond. Heute habe ich 50 Grautönungen gemacht," sagte die Haarstylistin ...
In Deutschland ist die Zimmernummer 13 nur ein wenig schwierig, meist sind es ganz zufällig Wäschekammern, Abstellräume, Wirtschaftsräume oder Büros. In anderen Ländern verschwinden Sitzplätze in Flugzeugen, Zimmer, ganze Etagen und komplette Häuser.
Ich bin sehr gespannt, ob in zwanzig Jahren die hauteng sitzende Jeans als typische Rentnerkleidung gelten wird. Die Jugend trägt dann vielleicht braune Hosen aus Breit-Cord. *grusel*
HermaPhrodita (49) äußerte darauf am 19.02.15:
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 EkkehartMittelberg (16.02.15)
Am Fortschritt wird gearbeitet. Bald gibt es 100 Tönungen von Grau.

 BrigitteG (17.02.15)
Hui, ein neuer Text von Dir - klasse! Und wer hat den denn jetzt schon über 400 mal angeklickt? *g*.

Es ist ganz geschickt geschrieben - denn Schwester Heidi hätte ja eine Verkleidung sein können. Und selbst wenn sie es nicht wäre - dann dachte ich beim Lesen eher an einen netten Altennachmittag, anstatt an die heißen Sachen, die danach liefen.

Sehr hübsch die Beschreibung dessen, was passiert. Man hat einen deutlichen, sehr deutlichen Verdacht, aber es wird nichts direkt beschrieben. Das Ende gefällt mir auch, dass Du ganz raus aus der Situation gehst und es von außen beschreibst.

Was ich jetzt nicht optimal fand, war die Wahl der Namen - die waren mir zu aktuell. "Emma" ist ein alter Name, aber eine "Kim" ist nicht 80 Jahre alt, und Janina, Marvin und Julian auch nicht. Und in Deinem Altenheim ist der Männeranteil erstaunlich hoch *g*.

Herzliche Grüße, Brigitte.

 BrigitteG ergänzte dazu am 17.02.15:
P.S. das "ergreifend", "berührend" und "romantisch" ist von mir

 AndreasG meinte dazu am 17.02.15:
Und dabei habe ich mir so mühsam den "Kevin" verkniffen ...

Außer Heidi, Tanja und Gina sind alle Namen aus der Liste der beliebtesten Vornamen 2000, also aus dem Übergang ins 21. Jahrhundert und von heutigen Jugendlichen; - das ist schon Absicht. Aber ich gebe Dir Recht, dass ich vielleicht die zeitloseren Namen hätte nehmen sollen, um ein höheres Zeitspektrum abzudecken. Das überlege ich mir noch.

"Romantisch" finde ich übrigens besonders passend.
LottaManguetti (59)
(17.02.15)
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Teichhüpfer (56)
(08.12.15)
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 Dieter_Rotmund (05.12.18)
Jokey -> Jockey

 Cassandra (22.09.19)
Gut geschrieben - nur, dass ich jetzt etliche Bilder nicht mehr von meinem geistigen Auge entfernen kann :)

 Alazán (17.12.20)
Alles leider undenkbar in diesen Zeiten
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