Die Essenz des Geistes

Essay zum Thema Erwachen

von  LotharAtzert

Meinen Lehrern in Dankbarkeit gewidmet

Der Geist sei so und so, mutmaßt einer; der nächste nennt das Gegenteil richtig und der dritte resümiert, alles sei relativ - so meinen Unwissende gern, was einen vierten zur Aussage nötigt, niemand könne das so genau wissen; man wendet ein, das hätte der und der bereits wissenschaftlich entkräftet. "Stimmt nicht" sagt der nächste unter Hinweise auf  Wittgenstein, während der fromme Christ vom "heiligen" Geist spricht, der angeblich NACH dem Sohn käme. Die meisten aber interessiert das alles wenig bis gar nicht ...

Alle Äußerungen lassen darauf schließen, daß sie vom Geist kommen, denn ohne dessen Vorhandensein könnte sich kein Gedanke jemals aus ihm erheben.
Unsere Lehrer fordern uns Schüler daher immer wieder auf, direkt in die Natur des Geistes zu schauen, was jedoch einiges an Vertrautheit mit der Vorgehensweise voraussetzt, welche hier jetzt zur Sprache kommen soll:

End- und ruhelos ist der Strom der Gedanken. Einer jagt den nächsten, ob gewollt, oder nicht und wir, ihre Denker oder Ausbrüter, greifen danach, binden sie zu Konzepten, wie eingangs beschrieben, meist ohne den Vorgang als solchen zu bemerken. Das wiederholt sich gewohnheitsmäßig seit undenkbaren Zeiten.

Der vergangene Gedanke ist nicht mehr auffindbar, der zukünftige noch nicht in die Bewußtheit eingegangen und nur der gegenwärtige scheint anwesend zu sein. Bemerken wir ihn schließlich, ist er auch schon wieder vergangen, bzw. das Bemerken des alten ist seinerseits der neue Gedanke. So weben sie sich eng aneinander, fast lückenlos.
Sind sie greifbar im substanziellen Sinn? - Das ist leicht zu verneinen, sonst müsste dem Denkenden bald der Schädel platzen. Was keine Substanz hat, ist leer von einer Eigennatur. Nur deshalb können oder besser müssen wir pausenlos denken, pausenlos Lücken füllen, wobei sich der Geist in den Denkvorgängen verliert.

"Ich denke" - Das irrende Ich, bestehend aus den fünf Aggregaten Form, Empfindung, Wahrnehmung, Bildekräfte und Bewußtsein, erhält sich selbst durch ununterbrochenes Denken, wobei die drei Geistesgifte Gier, Haß und Unwissenheit für die Auslese sorgen: Am Gewünschten wird gehaftet, Ungewünschtes zurückgewiesen bzw. verdrängt und Indifferentes schwankt bald hier hin, bald dort hin. All das geschieht die ganze Zeit, ohne daß wir etwas davon bemerken müssen - ein bewußtes Sein ist sogar eher die Ausnahme. Selbst nach dem Tod ist das Energiegeflecht weiter wirksam.

Wenn es - durch Übung - gelingt, unsere Gedanken als Unbeteiligte distanziert vorbeiziehen zu lassen, ohne danach zu greifen, ( -das läßt sich im Gehen, Liegen und Sitzen üben - wobei es im Liegen naturgemäß etwas schwieriger ist) entstehen Lücken zwischen dem Vergangenen und dem Kommenden, die sich je nach Übungsumfang vergrößern. Und wie die Wolken, sobald sie verschwinden, einen ungetrübten Blick auf den Himmelsraum gestatten, so schaut der Schauende in die Natur des ungetrübten Geistes, solange der Zugriff auf Gedachtes unterbleibt.
Weil wir aber, wie gesagt, seit unendlichen Zeiten so konditioniert sind, pausenlos zu denken und Konzepte herzustellen, wird dieser Zustand nie lange währen und das diskursive Denken wird wieder die Herrschaft übernehmen.

Die größte Schwierigkeit für den Anfänger besteht darin, daß er zu forciert vorgeht: "Ich denke jetzt nichts."  - was ja wieder ein Gedanke ist. Sich darüber ärgern oder amüsieren zieht weitere nach sich ... Auch das ist loszulassen, natürlich und unverkrampft einfach nur schauen, nicht nach innen, nicht nach außen, weder hier hin, noch dort hin, nur das Sein sein lassen, wie es ist ...

Die Essenz des Geistes ist die Leerheit des Dharmakaya - der wolkenlose Zustand ohne Kommen und Gehen.
Seine Natur ist Sambhogakaya - die ursprüngliche Dimension des Lichts und der freudvollen Bewußtheit.
Seine Energie - Nirmanakaya - der Zustand der Untrennbarkeit von Essenz und Bewußtheit.

Im verdunkelten Zustand des Denkens (-Eigendünkel) erscheinen die drei Kayas als Gier, Hass und Unwissenheit, respektive Anhaftung, Abneigung und Diffusion. Solange sie unbereinigt bzw. nicht abgegolten sind, wird man gemäß dem in der Lebenszeit Verursachten auf einer  entsprechenden Seinsebene wiedergeboren.

Möge der Leidensozean durch die Dharmapraxis austrocknen. Mögen alle Wesen nach ihrem Tod in die glückliche Sphäre des Nirmanakaya gelangen.

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Kommentare zu diesem Text

BabetteDalüge (67)
(26.02.15)
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 LotharAtzert meinte dazu am 26.02.15:
Danke fürs Interesse, für den einzigen Kommentar und die zweite Empfehlung.
Ja, ich weiß, daß Du so denkst. Wie du aber selbst sagst: "... wenn man das umgeht, hält man sich meist schon für heilig" - ein solches Denken wäre die Fortsetzung des gewöhnlichen Zugriffs auf die Gedanken und ist zu verwerfen.

Mit dem letzten Satz von der schwarzen Zauberer hast du vollkommen recht. Um das garnicht erst aufkommen zu lassen, wird von den Lehrern das Mitgefühl in den Vordergrund gerückt. Ich weiß nicht, ob Dir das bekannt ist, daß der Schützer von Tibet der Bodhisattva Chenresig ist, der Allbarmherzige, der mit tausend Armen und vielen Köpfen bis in die unterste aller Höllen hinabsteigt, um die Wesen dort zu erlösen. Chenresig ist ein Urbild, das in uns allen steckt (auch wenn es für den Christen eher Christus oder Maria sein wird - die Essenz ist ja immer dieselbe.)
Gruß
Lothar

 Regina (26.02.15)
Für mich ein Text, den ich mit großem Interesse gelesen habe.

 LotharAtzert antwortete darauf am 28.02.15:
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Danke, Regina. Das freut mich sehr.
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