Von Werksbussen, Callcentern und Fischdosen oder Frau Müller bei der Jobvermittlung

Groteske zum Thema Arbeit und Beruf

von  Regina

„Nun, Frau Müller, ich hätte da eine schöne Arbeitsstelle für Sie in einem Callcenter. Modernste Technik, Sie arbeiten im Sitzen, Ihre Kollegen sind fortschrittliche, aufgeschlossene Menschen. Wie? Was heißt hier Geld verdienen? Also, Frau Müller, Sie werden einsehen müssen, dass das Callcenter nicht gerade unerhebliche Kosten bestreitet, Kopfhörer, Computer und ein funktionierendes Fernmeldesystem müssen instand gehalten und nötigenfalls von Fachleuten repariert werden. Der Raum, wo es sich befindet, wird selbstverständlich gereinigt und geheizt. Der Arbeitgeber muss Versicherungen und Steuern abführen und, was häufig übersehen wird, er trägt das Risiko für Auftragsausfälle. Aus diesen Gründen kann er keine großartigen Gewinne verteilen, und Sie werden zum Dank für einen so komfortablen Arbeitsplatz monatlich etwas Geld mitbringen müssen. Wie bitte, Sie müssen Miete zahlen. Also, Frau Müller, kennen Sie denn niemanden, der Sie mitwohnen lässt? Aber warten Sie, ich hätte da noch ein sehr soziales Immobilienbüro, das seinen Mitarbeitern kostenlos Toiletten zur Verfügung stellt. Das Clopapier müssten Sie dann aber schon selber kaufen, Frau Müller, dasselbe gilt für das Schreibpapier. Und falls Ihr Interessent die Wohnung oder das Haus, das sie ihm vermitteln wollen, besichtigen möchte, gehen freilich sämtliche Fahrkosten zu Ihren Lasten. Da sollten Sie Ihr eigenes Auto ins Spiel bringen, sofern das dem Ansehen des Arbeitgebers nicht schadet. Dafür dürfen Sie sich dann Arbeitsplatzbesitzerin nennen, was ja heutzutage nicht jeder von sich sagen kann. Wie meinen Sie das, Sie möchten essen? Na, hören Sie mal, wie steht es denn mit Ihren Sozialkontakten, Frau Müller? Haben Sie überhaupt keine Verwandten oder Freunde, wo Sie mal eingeladen werden? Einen Moment mal. Da hätte ich noch einen Job als Pizzafahrer, eigener Kleinwagen und Übernahme der Benzinkosten durch Sie tun es in diesem Fall. Und bei jeder hundertsten Pizza, die Sie in den fünften oder sechsten Stock hinaufgetragen haben, spendiert Ihnen der Betreiber einen Spaghetto, ja Sie hören richtig, auf italienisch uno spaghetto, den Sie sich einverleiben dürfen. Sagen sie bloß nicht, dass das kein faires Angebot ist. Was heißt das, die Familie muss auch essen? Sie können doch vom Arbeitgeber nicht verlangen, dass er auch noch Ihre gefräßige Verwandtschaft miternährt.  Einen Augenblick, bitte, da gibt es noch ein sehr großzügiges Restaurant, wo man Ihnen erlaubt, die Reste zu verspeisen, und wenn Sie Überstunden machen, können Sie auch Ihre Kinder mitbringen. Als Gegenleistung für diese kostenlose Rundumversorgung erwartet der Wirt allerdings im Voraus eine Investitionsbeteiligung in Höhe des halben Wiederverkaufswertes der Location. Da müssten Sie schon etwas Kapital investieren. Wie meinen? Geld verdienen, in der heutigen Zeit? Nein, das läuft unter Nachbarschaftshilfe und Abwendung einer gravierenden Notlage. Sie und Ihre Kinder bekommen da Essen und Schluss. Frau Müller, ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie verpflichtet sind, jede zumutbare Arbeit anzunehmen. Für besonders renitente Arbeitslose wie Sie habe ich als letzten Ausweg nur noch die Fischfabrik. Da fährt ein Werksbus hin, der holt Sie um 4 Uhr morgens ab, dann holt er alle anderen Arbeiter ab, Sie arbeiten acht Stunden und werden wieder zurückgefahren. So gegen 22 Uhr sind Sie dann wieder zu Hause. Was wollten Sie da eigentlich mit Geld anfangen, Sie haben bei diesem Projekt ja gar keine Zeit, welches auszugeben. Aber zum Mittagessen spendiert Ihnen der Fabrikbesitzer eine Dose Fisch. Sie sehen, unsere Arbeitgeber machen sich viele Gedanken und kommen doch auch in dieser schwierigen Zeit zu humanen Ergebnissen.“

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(02.03.15)
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 Regina meinte dazu am 02.03.15:
Danke, ja, ich habe eine Verbesserung versucht.
Graeculus (69)
(02.03.15)
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 Regina antwortete darauf am 03.03.15:
Nahe an der Realität.

 AZU20 (03.03.15)
Herrlich überspitzt trifft. LG
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