Auf dem Wasser

Kurzprosa zum Thema Reinkarnation

von  Regina

Lange musste ich geschlafen haben, und ich erinnerte mich nicht mehr genau an das Leben, das ich zuvor geführt hatte. Ich fühlte mich aber müde und wollte gähnen. Dabei versuchte ich gewohnheitsmäßig, mir die Hand vor den Mund zu halten. Erschrocken stellte ich fest, dass weder Hand noch Mund so richtig vorhanden waren. Meine Oberlippe hatte sich stark verhärtet und ragte wie eine überlange Nase aus dem Gesicht, vorne in einer Spitze endend. Die Unterlippe war so ähnlich gestaltet, hatte aber einen dünnen Hautsack, der nach unten hing und enorm viel Wasser aufnehmen konnte. Nun nahm ich neben mir eine Schar gleichartiger Wesen wahr, die fast alle weiße Kleider trugen, meines jedoch war leicht rosenblütenfarbig eingefärbt, und an den Ärmeln ausgefranst. Hände fehlten mir, das Kleid schien mit dem Körper fest verbunden. Anschließend bemerkte ich auch, dass ich und meine Kameraden im Wasser schwammen, aber es war weder Brust- noch Rückenschwimmen, was uns an der Oberfläche des Sees dahingleiten ließ, sondern wir saßen im Wasser und ruderten nur leicht mit den Füßen. „Ich habe Hunger“, wollte ich gerade zu meiner Nachbarin sagen, aber die Fähigkeit, zu sprechen, war mir abhanden gekommen, so dass ich nur einen dumpf krächzenden Laut hervorbrachte. Die Community bedeutete mir alsbald durch Flügelschlagen, gemeinsam einen Kreis zu bilden, um die Fische, die sich unter unseren Füßen befanden, zusammenzutreiben, so dass wir sie mit dem Wasser in unsere übergroßen Schnäbel aufnehmen konnten. Bald hatte ich eine Sardine erwischt und schluckte sie lebendig hinunter. Die Erinnerung an eine andere Art der Nahrungsaufnahme blieb für mein Gedächtnis irgendwie im Dunklen, der gemeinsame Fischfang erschien mir auf einmal logisch und ganz natürlich, als hätte ich es schon immer so gemacht. Wir ernährten uns ausschließlich von Fisch, und als ich meinen Mann traf, blähte er seinen Hautsack am unteren Teil seines Schnabels zu ansehnlicher Größe auf. Das fand ich sehr attraktiv, denn ich meinte, wer einen so großen Unterschnabel hat, kann mich bei der Ernährung unserer Kinder bestens unterstützen, weil er mehrere Fische gleichzeitig in seinem gigantischen Mundwerk unterbringt. Bei uns läuft das Zusammenleben immer nach festen Regeln ab. Keiner schert aus, um es auf individuelle Weise ganz anders zu machen. Obwohl es uns niemals einfallen würde, Verhütungsmittel einzunehmen, ist unsere Bevölkerungsstatistik rückläufig. Davon verstehe ich aber nicht viel. Was allerdings auf keinen Fall stimmt, ist, dass wir unsere Brust aufpicken, um unsere Kinder mit dem eigenen Blut zu ernähren. Vielmehr füttern wir sie mit Fischbrei, bis sie sich an der Jagd beteiligen können. Nur in der Fantasie der Menschen ähneln wir dem selbstlosen Jesusbild. In Wirklichkeit sind wir ganz normale Pelikane.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(19.03.15)
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 Regina meinte dazu am 20.03.15:
Bei der Betrachtung von Tieren im Zoo stellte ich mir die Frage: "Wie würde ich mich in diesem Tierkörper fühlen?"
Graeculus (69) antwortete darauf am 20.03.15:
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 Regina schrieb daraufhin am 20.03.15:
Ja, Empathie hat ihre Grenzen. Oft gelingt es einem ja nicht einmal, sich in einen anderen Menschen hineinzuversetzen.
Fabi (50) äußerte darauf am 26.03.15:
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 Regina ergänzte dazu am 27.03.15:
An Reinkarnation in ein Tier glauben wirklich nur noch Hindus. Rudolf Steiner hat es, woweit ich weiß, nicht bearbeitet, weil er doch an eine Höher- und Höherentwicklung glaubte. Auch für mich ist es schwer zu denken.

 LotharAtzert meinte dazu am 31.03.15:
Da bin ich, wie's auf neudeutsch heißt, ganz bei Graeculus.

Die Reinkarnnation in ein Tier ist dann möglich, wenn man als Mensch zum Tier degeneriert. (Bitte nicht falsch verstehen - ich sage damit nichts gegen Tiere, sondern gegen den, der wider alle Menschlichkeit handelt)
Das, was vom buddhistischen Standpunkt eine Geburt im Tierreich bewirkt, ist das Geistesgift Unwissenheit. Das, was in den Höllenbereich zieht, ist das Geistesgift Hass, Eifersucht erwirkt Geburt bei den Titanen usw. - habs ausführlich beschrieben, wahrscheinlich bei "Bhavachakra - Rad des Lebens" - da gehört's jedenfalls hin.
Graeculus (69) meinte dazu am 31.03.15:
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 LotharAtzert meinte dazu am 31.03.15:
Bin nicht ganz sicher. Ich hatte auch so ein Spiel, habs schon lange nicht mehr. Aber Hölle, jaja, wer kennt sie nicht ... gabs da nicht einen Himmel der 33 Götter? Da war ich oft ... Stolz führt übrigens zu den Göttern. Genauer: Stolz auf barmherzige Werke. Jaja ...
Graeculus (69) meinte dazu am 31.03.15:
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 LotharAtzert meinte dazu am 31.03.15:
Jaja, das ist es ja, was den Buddhismus von anderen Systemen unterscheidet. Ziel ist, vom Lebensrad, als da sind - Götter, Titanen, Menschen, Tiere, Hungergeister, Höllenbewohner - gänzlich frei zu werden. Ansonsten verschlägts dich bald hier hin und bald dort hin - Weltzeitalter für Weltzeitalter ... ohne Anfang, ohne Ende ...

 Regina meinte dazu am 01.04.15:
Ihr habt ja lustige Spiele, vielleicht Wiedergeburtsmonopoly oder was? Gehen Sie nicht über "LOs", sondern gleich ins Nirwana!

 LotharAtzert meinte dazu am 02.04.15:
Och, wir gehen nur hin und wieder mal übers Wasser, Regina, um junge Pelikaninnen zu erschrecken ;)))
Fabi (50)
(26.03.15)
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 Regina meinte dazu am 01.04.15:
Danke, Fabi, für die Anerkennung.

 franky (31.03.15)
Hi liebe Regina,

Da bin ich gleicher Meinung wie Fabi.
Meisterlich geschrieben.

Herzliche Grüße

von Franky

 Regina meinte dazu am 01.04.15:
Danke dir.
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