Der Mann, der ein Jahr lang nachhaltig gelebt hat

Dialog zum Thema Humor

von  Dart

Ja, einen schönen guten Abend, hier bei "Menschen um Mitternacht", bei uns zu Gast ist heute Herr Görmann, der Mann, der ein Jahr lang nachhaltig gelebt hat. Herr Görmann, die Frage, die uns nun natürlich alle interessiert ist - Was machen sie dann jetzt?

Nun, mir gehören jetzt acht Braunkohlekraftwerke. 1300 sind in Bau und vier Millionen weitere sind in Planung. Und das nur in Spandau.

Herr Görmann, so viele braucht man doch aber gar nicht, oder?

Sagen sie das mal dem Wachstumsgedanken. Aber davon abgesehen schafft es ja auch neue Arbeitsplätze.

Herr Görmann, das ist ja fantastisch! Handelt es sich dabei um vollwertige Arbeitsplätze, von denen man würdevoll leben kann oder sind die mehr nach dem deutschen Sozialmodell?

Also...Ich kann von deren Arbeit leben, ja.

Das ist ja wunderbar. Wie viele neue Arbeitsplätze haben sie denn nun geschaffen, Herr Görmann?

Fünf. Aber keine Sorge, zwei weitere werden demnächst strukturreformiert.

Aha. Diese fünf Mitarbeiter, Herr Görmann...

Mitarbeiterinnen. Ich lege sehr viel Wert darauf, dass ich ausschließlich Frauen beschäftige.

Herr Görmann, ich bewundere ihr Verhältnis zur Gleichberechtigung!

Ja ja, es ist wesentlich, dass Männer mindestens genauso niedrig bezahlt wie Frauen. Im Prinzip wie bei einem Hundeschlitten. Es kommt nicht darauf an, welche Hunde ziehen. Es ist nur wichtig zu wissen, dass sie sich ohne den Mann mit der Peitsche nie bewegen würden. In ihrem ganzen Leben nicht.

Ein interessantes Bild, Herr Görmann. Wie sieht denn der allgemeine Arbeitstag ihrer Mitarbeiterinnen aus? Fünf Angestellte für acht Kraftwerke - das sollte doch etwas stressig sein.

Nun, es sind etwa 35 Stunden...

Eine 35-Stunden-Woche, Herr Görmann? Von solchen Fieberträumen habe ich ja seit den Neunzigern nichts mehr gehört!

Wieso in der Woche? Am Tag.

Am Tag? Aber Herr Görmann, wann schlafen ihre Mitarbeiterinnen denn dann?

Also, sehen sie, ich habe als Arbeitgeber nun wirklich nicht das Recht, mich um die Privatangelegenheiten meiner Angestellten zu kümmern. Was jeder in seiner halbstündigen Arbeitspause macht, sollte mich doch nichts angehen.

Das ist ja alles richtig, Herr Görmann, aber irgendwie müssen ihre Angestellten doch einmal Gelegenheit zu Erholung haben.

Ja, was glauben sie denn, warum bei uns sonntags nur halbtags gearbeitet wird? Verstehen sie das doch auch als Freizeitausgleichsmaßnahme. Anstatt solchen Unfug wie das Lesen von Piketty oder dem Freitag machen sie dann halt was Nützliches für die Gesellschaft. Turnschuhe zum Beispiel.

Turnschuhe? Ich denke, sie leiten Braunkohlekraftwerke, Herr Görmann?

Ja schon, aber es handelt sich ja auch nur um eine kleine Nebentätigkeit im Rahmen des von mir entwickelten Systems zur Kollektivierung der Lohnabhängigen zur Allgemeinen Verbesserung der Einnahmen Rechtlich Emporgehobener Investoren. Wir entlasten damit nachhaltig ein wenig die Humanausbeutungen in der Volksrepublik China.

Ihr berühmtes S-K-L-A-V-E-R-E-I-Prinzip. Auch wenn viele meinen, es sei sehr konservativ und in weiten Teilen sozialdemokratisch vereinnahmt. Aber wo sie gerade das Wort nachhaltig erwähnten, Herr Görmann - sie sind ja der Mann, der ein Jahr lang nachhaltig gelebt hat. Warum eigentlich?

Nun, das war der Zeitraum, in dem ich auf die Genehmigung für meine Subventionen durch die EU warten musste.

Ihre Kraftwerke werden subventioniert, Herr Görmann?

Ja, jedes mit 100 Millionen. Aber keine Sorge, man hat mir gesagt, dass die Griechen noch etwas warten können.

Aber Herr Görmann, wir benötigen in Europa doch sowieso eine Unmenge an Strom, wieso brauchen sie da noch eine Subventionierung?

Sie sehen die Zusammenhänge nicht. Wissen sie, es gibt da in Honduras einen alten Kohleofen aus den 50er Jahren. Da kommt am Tag einer vorbei und wirft ein Holzkohlebrikett rein. Wie soll ich denn damit konkurrieren? Sehen sie, wir produzieren allein in Bremen eine Billion Gigawatt und vier Millionen Nike-Kopien pro Stunde, die geschürften Blutdiamanten noch gar nicht mitgezählt. Meine Mitarbeiterinnen üben 100%igen Lohnverzicht. Ich selbst kaufe nur noch einmal eine neue Yacht. Dieser Ofen steht damit einfach in keinem Verhältnis zu uns. Eine Konkurrenz ist einfach unmöglich!

Das ist in der Tat logisch, Herr Görmann, aber eine Frage drängt sich mir da schon auf. Wie bekommt man denn 100%igen Lohnverzicht hin?

Ja, wenn man uns die Möglichkeit gibt, statt den eigentlichen Arbeitnehmerinnen deren ungeborene Enkel, die ja noch nichts erwirtschaften und damit auch nicht entlohnt werden können, für den Mindestlohn zu verpflichten...das will man doch wenigstens einmal ausprobiert haben.

Erstaunlich zu sehen, wie dieses Wirtschaftsmodell funktioniert, Herr Görmann.

Naja...es gibt da schon eine kleine Schwierigkeit. Aus irgendeinem Grund, der uns momentan noch völlig schleierhaft ist, gibt es niemanden, der unsere Produkte kaufen kann. Und was macht da die Politik? Verhandelt Freihandelsabkommen und ermöglicht diesem Kohleofen bald einen gefährlichen Spielraum. Es tut mir leid, aber wenn es dann soweit gekommen ist, werde ich wohl schweren Herzens vor Gericht klagen müssen!

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Kommentare zu diesem Text


 BrigitteG (30.03.15)
Wunderbar gnadenlos bissig in seiner Nüchternheit!!
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