verschluckt

Text zum Thema Transzendenz

von  deflyn23

I.
"Wir gehen ins Museum für Kommu-nika-tion."
Die kleine Anna schaut frech mit halbverdrehtem Kopf, ein Tropfen klarer Rotz schimmert auf ihrer Nasenspitze und ihre Wangen glühen zartrosa, während sie an ihrem linken Handschuh nestelt, den sie sich mühsam abgestreift hat. Ihr fragender Blick bringt die Mutter in Verlegenheit. Sie stöhnt entnervt.
"Kommu-nika-tion... Das ist, wenn man miteinander redet."
Anna wirft sich herum. "Aber im Museum darf man nicht laut sein!", brüllt sie und pfeffert den Handschuh um sich. Die Mutter will dem Textil habhaft werden. Sie schiebt Anna behutsam nach vorn und greift danach, verfehlt es aber knapp. Anna brabbelt vor sich hin.
"Kommikazion, Kommi-ka-zion..."
"Kommu! Nika! Tion!"
Der Handschuh ist wieder interessanter. Mutter und Tochter bewegen sich langsam durch den zähflüssigen Sonntagnachmittag, unter Flaneuren am Flußufer in der klaren Luft eines sonnigen Wintertages.
"Die Exponate beinhalten eine Sammlung interkultureller Missverständnisse und verschiedene Zeittafeln zur Entwicklung sprachlicher Codes..."
Anna schaut von ihrem Handschuh auf, der Rotz ist mittlerweile zu einem dünnen, durchsichtigen Film verrieben, der sich über ihre gesamte untere Gesichtshälfte verteilt.
"Waaas?"
"Naja, wenn ich dir etwas erzähle, dann ist das eine verschlüsselte Botschaft, die als Worte meinen Mund verlassen. In deinen Ohren werden sie wieder zu einem Sinn zusammengesetzt."
Anna ist ganz baff: "Waaas?", fassungslos. Der Handschuh baumelt unbeachtet an der Seite ihrer Jacke.
"So funktioniert Sprache eben. Kommu-nika-tion!"
Anna blinzelt in die Sonne und leckt sich über die Lippen. Sie stolpert vorwärts und knickt dabei leicht ein. Ihre Stiefelchen sind ihr etwas zu groß.
"Aber wiiieee?", ungeduldig.
Ihre Mutter lächelt: "Das bekommst du gleich im Museum erklärt."
Anna schnauft und wirft Bläschen. Die Mutter zückt ein Taschentuch und befreit das Kind, bevor sie die Stufen zum Museum erklimmen. Über dem Fluss krächzen die Möwen, als der riesige Eingang aus Beton und Glas die beiden verschluckt.


II.
Ich hatte mir die Situation vollkommen anders vorgestellt. Interrogativer. Interaktiver.
Stattdessen starre ich nun schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf die Muskeln seines Unterarmes, während er damit beschäftigt ist, Datenmüll über eine Tastatur in einen Rechner zu hacken, dessen Bildschirm von mir abgewandt ist. Zwischen uns herrscht distanzierte Kälte, er ist zwar verdammt gut gebaut, aber nicht mein Typ. Viel lieber hätte ich mit den beiden Schränken gefickt, die mich reingelassen haben. Der größere von beiden war ein richtiges Tier, beim Gedanken daran, ihm und seinem Schwanz ausgeliefert zu sein, durchfährt mich ein Schauer.
Ich stütze den rechten Ellenbogen auf die Lehne meines unbequemen Stuhles und beginne, mit dem Zeigefinger meine Haare zu drehen. Der Typ starrt nur in den Bildschirm, das Radio dröhnt leise auf dem Schrank in der Ecke, der Gilb sammelt sich zusehends auf den Landkarten, die überall verteilt hängen. Karten der Stadt, Karten des Landes, eine Weltkarte. Eine verkümmerte Topfpflanze siecht auf dem Fensterbrett vor sich hin, ich schlage die Augen gen Himmel.
Schon beim Eintreten habe ich ihm alles gesagt, ohne ein Wort. Er hat sofort verstanden und war erleichtert, was er sich nicht anmerken lassen wollte. Ich nahm Platz und gab ihm meine Papiere, nun fickt mir sein Kollege in Gedanken die Seele aus dem Leib, während er mich zu Tode langweilt.
Er schlägt auf die Eingabetaste und schaut triumphierend auf. Jetzt seien wir auch schon so weit, sagt er und fängt an, seine lustlosen Fragen zu stellen. Ich verneine sie alle, genauso lustlos. Meine bloße Anwesenheit muss genug guter Wille sein. Glücklicherweise sind seine Anforderungen nicht besonders hoch und er hakt nicht ein einziges Mal nach. Ich bin ein Routinejob, der Fall eigentlich schon geklärt, ab ins Archiv damit.
Als er mir das Protokoll vorlegt, finde ich mich darin nicht wieder. Kein einziges meiner Worte taucht auf, alles ist verdreht. Ich unterschreibe bereitwillig und füge an der entsprechenden Stelle das Wort "selbst" ein, dann stempelt mein Gegenüber fleißig und steht hastig auf, um mich zu verabschieden. Ich stammele etwas und gehe, auf dem Flur sind seine Kollegen nicht mehr zu sehen.
Draußen sehe ich mein Rad nicht mehr. Ich hatte es an eine eigens dafür installierte Stange in der Nähe eines Baumes gebunden, aber der tiefgraue Nebel hat die ganze Stadt verschluckt.


III.
Der Raum macht mir Angst. Alles, was ich darüber weiß, ist, dass er komplett dunkel ist und still. Kein Licht und kein Geräusch existiert darin, nichts dringt hinein oder heraus. An der Schwelle fasse ich mir ein Herz, aber ich versage zwei Mal. Meine Augen spielen mir Streiche, vermuten bedrohliche Schemen in der Dunkelheit. Ich setze meinen Fuß nach vorne und mein Herz beschleunigt seinen Puls. Mein Atem - geräuschlos - geht schwer. Orientierungslosigkeit lässt rasende Panik in mir aufsteigen, meine Hände werden feucht und ein zunehmender Druck legt sich auf meinen Brustkorb. Mein Geist versucht den Körper und seine nutzlosen Sinne zu fliehen, prallt aber doch immer wieder darauf zurück. Der ganze Raum zittert. Sein schwarzes Zwielicht ist einer nervösen Röte gewichen, gleißend und mit demselben betäubenden Effekt auf meine Wahrnehmung. Mein eigener Atem klingt seltsam dumpf. Als ich an mir herunter sehe, kann ich meinen Körper nicht mehr ausmachen. Der Sog der Leere erfasst mich und zieht mich vorwärts, doch ich widerstehe und trotze der unnachgiebigen Härte. Mein Widerstand ist aber Spiel, hat keinen Bestand. Nach und nach löse ich mich aus meiner Verfasstheit und beginne, zu lächeln. Alles und Nichts tauschen ihre Rollen im ewigen Karussell des Seins. Ich mache einen weiteren Schritt und werde vom Raum verschluckt.


Anmerkung von deflyn23:

01.2014 - 04.2015

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