Würger, Drogen und kosmische Klänge

Dokumentation zum Thema Revolution

von  Nachtpoet

Die schmerzhafte Geburt des Punk (Teil1)


Zu der Entstehungsgeschichte des Punkrock gilt es zuallererst zwei fundamentale Irrtümer aus dem Weg zu räumen, die seit zig Jahren immer noch die Runde machen. 1. Der Punk entstand nicht, wie allgemein behauptet wird, in England, sondern in den USA, genauer gesagt in New York (Wo auch sonst) 2. Der Punk ist nicht als gesellschaftskritische Musik geboren, sondern, wenn überhaupt deswegen, weil der Jugend die Gesellschaftskritik eher zum Hals heraus hing. Es wäre sogar vermessen, den frühen Punk als  politkritisch anzusehen, weil er mit Politik ungefähr so viel zu tun hat, wie ein Dieter Bohlen mit experimenteller Avantgarde-Musik.

Avantgarde-Musik war aber das Stichwort für junge Leute, die Anfang der 70er Jahre mit den großen Rock-Gurus wie Robert Plant oder Gruppen wie: "Amerika" nicht mehr viel anfangen konnten, weil diese sich unheimlich wichtig und ernst nahmen und mit dem Privat-Jet von Stadion zu Stadion hetzten. Der Autor Legs McNeil sprach einmal von religiösem Gehabe und prätentiösem Quark. "Ich ritt mit einem namenlosen Pferd durch die Wüste, es war schön draußen im Regen zu sein." "Das hatte mit meinem Leben absolut nichts zu tun. Rock' n Roll hatte sich vom wirklichen Leben entfernt." Erklärte er in einem Dokumentarfilm.

Das 1967 erschienene Debütalbum "The Velvet Underground & Nico" von der gleichnamigen Band, unter maßgeblicher Mitwirkung von Andy Warhol gilt unter Kennern heute als das erste Punk-Album überhaupt. Ich persönlich halte die Scheibe für einen Hauch zu melancholisch für Punkrock, wenn es auch von so außergewöhnlichen Klängen durchzogen ist, dass man es beim ersten Anhören niemals in diese Zeit, sondern eher 10 Jahre später einordnen würde. Ein Meisterwerk ist es allemal!

1969 brachten dann "The Stooges" ihr erstes Studioalbum heraus, die sich hinterher in anderer Besetzung Iggy & The Stooges nannten. Gemeint ist hier: Iggy Pop. Das Album zeigt klanglich Parallelen zum Velvet Underground-Album, besticht aber durch eine etwas härtere Gangart und die äußerst schlüpfrigen Texte: "I wanna be your dog ..." Danny Fields, der damalige Manager der Band umschrieb die ersten zwei Alben der Stooges 25 Jahre später in einem Interview mit den Worten: "Musik von kosmischer Schönheit." Das stand - zumindest für einige Betrachter - im krassen Gegensatz zu ihren Live-Auftritten. Denn Iggy Pop suchte immer das Extreme, die Provokation. Er überschritt regelmäßig die Grenzen des Konventionellen und schien den "Kick" als Überlebenstrank zu brauchen.

So wie er sich einmal in einem frühen Konzert splitternd eine Flasche auf der Brust zerschlug, heißes Wasser auf seine Hose goss und blutend von der Bühne taumelte. Gern hechtete er auch mal ohne Vorwarnung in die Zuschauer, ließ sich von ihnen durch die Halle tragen oder stellte sich aufrecht hin, nur getragen von Publikumshänden, um sich Erdnussbutter auf seinen immer nackten Oberkörper zu schmieren, wonach er sich wieder in die Menge warf. Später spielte er auch oft nackt Gitarre, die sein Gemächt verdeckte, aber nur bis zum Schlussakkord von "No Fun", wo er die Klampfe hochhielt um zum Schrecken der Mädchen mit seinem gutbestückten Körper rumzuwedeln. Als ihm das auch nicht mehr reichte, zeigte er der Menge gerne sein Arschloch oder machte Bumsbewegungen an der Marschallbox. Im Zuschauerraum der Clubs warf er Tische um, leckte Mädchen das Gesicht mit schwarz bemalten Lippen ab oder beschimpfte die ganze Mischpoke mit: "Ihr kotzt mich an", oder ähnliches mehr. Überflüssig zu betonen, dass dies alles unter gehörigem Einfluss von allerlei bunten Drogen geschah, was auch schnell das Ende der ursprünglichen Band bedeutete.

Iggy machte ab 1972 immer wieder Entziehungskuren, nahm weiter Platten auf und hatte mit "The Passenger" 1977 einen unerwarteten Welterfolg. "Ich weiß nicht wie ich es geschafft habe, nicht zu sterben. Ich war dem Tod schon einige male sehr nahe. Einmal lasen mich zwei Mitglieder von MC5 (*1) auf, warfen mich in die Badewanne, bedeckten mich mit Eiswürfeln (*2) und spritzten mir Salz in die Vene, um mich zurückzuholen. Ich war schon ganz lila, aber ich kam zurück." Lächelte Iggy mal in einem Interview zu seinem 60. Geburtstag in die Kamera.

Tote Katzen und Hunde, Kotze- und Pissegestank, Graffiti an allen Wänden und Einrichtungsgegenständen, Penner, Rocker, und New Yorks Undergroundszene. So sah es 1974 im "CBGBs" aus. Einem Club für Bluegrass- und Bluesfans. Sehr bald konnte man den Besitzer Hilly Kristall jedoch davon überzeugen, dass er mit jungen Bands, die mal was ganz neues ausprobieren, mehr Geld machen kann, da es damals in New York keinen Laden gab, in dem man solche Gitarrenklänge sonst geduldet hätte. Und so entwickelte sich das CBGBs zu einer geeigneten Startrampe für Bandkarrieren von: Patti Smith Group, Talking Heads, Blondie, Ramones, The Stooges, Johnny Thunders und vielen anderen, heute eher unbekannteren Bands wie: Television, The Heartbreakers, Richard Hell & the Voidoids oder The New York Dolls, die sich schon 1970 extra tuntig kleideten, Lippenstift und Make-up auftrugen und sich die Haare toupierten, dabei jedoch sehr männlichen, kernigen Hardrock spielten. Auch den New York Dolls wurde der Drogenkonsum zum Verhängnis. Bevor sie richtig berühmt wurden - und sie wären bestimmt berühmt geworden, weil sie verdammt gut waren - zerfiel die Band 1975 wieder, nachdem bereits 1972 der Drummer Bill Murica an einer Überdosis Heroin gestorben war. Die New York Dolls inspirierten die gesamte Glam Rock-Szene Mitte der 70er und waren auch noch Impulsgeber für spätere Bands wie Mötley Crüe oder Twisted Sister.

Die Bands, die damals im CBGBs auftraten, waren so schillernd verschieden wie ihre Namen und trugen alle dazu bei, ein völlig neues Musikverständnis aufzubauen. Nämlich, dass man einfach anarchisch an die Sache herangeht, völlig ohne Regeln oder Schubladendenken. Eine Band, die dabei trotzdem immer noch ein krasser Außenseiter blieb, nannte sich: Suicide! Sie bestand lediglich aus Martin Rev am Synthesizer und Alan Vega am Gesang. Suicide wollte nicht unterhalten, sondern das genaue Gegenteil! Martin Rev trug immer eine überdimensionale Sonnenbrille und erzeugte irrsinnig laute, elektronische Endzeitklänge. Alan Vega, der oft mit abgewetztem Jackett, einer irrwitzigen, schwarzen Perücke und angeklebter Narbe im weißgeschminkten Gesicht auftrat, stieß unkontrollierte, spastische Laute aus, schlug sich gegen den Kopf, jaulte und schrie, als wenn es ihm an den Kragen ginge. "Die Leute sollten zu uns hereinkommen und was ihnen hier blühte, war schlimmer als alles da draußen." erklärte Alan Vega später in einem Interview.

Die Auftritte von Suicide waren auch tatsächlich unberechenbar! Manchmal, wenn Alan Vega einen Typen im Publikum sah, der ihn nicht beachtete, marschierte er durch die Menge auf ihn zu, schlang ihm das Mikrofonkabel um den Hals bis der keine Luft mehr kriegte, schrie ihn an oder riss ihn zu Boden und zerrte ihn unter immer mehr anschwellenden Drohungen seiner Kumpels an den Haaren. Durch Provokationen dieser Art kam es regelmäßig zu Massenschlägereien, wobei man oft die Tische in der ersten Reihe als Barrikaden umschmeißen musste, um keine fliegenden Bierdosen oder Aschenbecher an den Kopf zu kriegen. "

"Damals tobte gerade der Vietnamkrieg. Wir hatten den Eindruck, dass Amerika seine Jugend tötet, also sich selbst, deswegen der Name Suicide. Wir hätten uns keinen schlechteren Namen geben können, kein Radiosender hat uns je gespielt." Ergänzte Alan Vega seine Erinnerungen an die Anfangszeit. Heute ist die Band, die  in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder auftritt, kult und ihr Debütalbum wurde sogar vom Rolling Stone Magazine in die Liste der 500 besten Alben aller Zeiten aufgenommen. Wer sich jedoch mal ihre Konzertauftritte in den 2000er Jahren bei YouTube anguckt, merkt, dass das Konzept der Band eigentlich nur damals funktionierte.

Eine auch sehr außergewöhnliche Bühnenshow gab es bei der Band: Jayne County & The Elektric Chairs zu bestaunen. Jayne, die vorher Wayne hieß, war vielleicht einer der ersten Travestiekünstler auf der Rock-Bühne, auf jeden Fall die erste in der Punkszene! Sie trat in irrwitzigen Kostümen auf, an denen überall Dildos herunterhingen und wedelte mit einem dieser Gummischwengel - gefüllt mit Milch - in der Gegend herum, bis es spritzte. Sie selbst erinnerte sich, dass sie bei einem Song, in dem es darum ging, dass alle scheißen müssten, ob der Papst oder der Müllmann, auf einem Klo saß, das auf der Bühne stand. Nach dem Song habe sie in das Klo gegriffen, die Scheiße herausgeholt, sich ins Gesicht geschmiert und den Rest schneeballartig in die Menge geworfen, während sich die Verzerrungen der Gitarren immer lauter hochschaukelten. Die Zuschauer, die nicht wussten, dass es keine richtige Scheiße, sondern nur Billighundefutter aus der Dose war, das wie Scheiße aussah, seien komplett ausgeflippt! Bei einem anderen Song schleppte man einen Sarg auf die Bühne, in den Jayne dann hineinstieg um die Leiche zu ficken. "Die Leute hielten es für große Kunst, aber wir wollten eigentlich nur Spaß haben". Fügte sie lachend in einem Interview 1998 hinzu. Trotzdem sollte sich Jayne County aber später noch als bildende Künstlerin, Aktivistin und Schauspielerin einen Namen machen.


Anmerkung von Nachtpoet:

*1 MC5: Eine Band, die auch als einer der Vorreiter des Punk gilt und die The Stooges in ihrer Anfangszeit mit ins Schlepptau nahmen und so beide voneinander profitierten.

*2 Einen Drogensüchtigen mit Überdosis in eine Eiswanne zu legen, war damals gängige Praxis unter Fixern. Weil eine Einlieferung ins Krankenhaus zwar für den Patienten besser, aber auch ein strafrechtliches Problem für alle Beteiligten gewesen wäre. Eine zu hohe Menge von Alkaloiden wie zum Beispiel: LSD oder Kokain bewirkt nämlich neben einer Bewusstlosigkeit, dass sich der Körper immer mehr aufheizt. Wird dieser Prozess nicht gestoppt, kann die Überdosis zum Tode führen. Iggys Angaben zufolge, er wäre schon lila angelaufen, spräche in diesem Fall für die typischen Anzeichen einer Kokainvergiftung

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Kommentare zu diesem Text

Ecnal (50)
(26.04.15)
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 Nachtpoet meinte dazu am 27.04.15:
Kommt!
Danke
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