Der fröhliche Atheist - Wanderungen (1)

Erzählung

von  autoralexanderschwarz

Einmal trug es sich zu, dass der fröhliche Atheist auf einer Wanderung eine Gruppe von Wartenden überholte. "Worauf wartet ihr?", rief er ihnen zu und blieb erst stehen, als er in den unzähligen verlegenen Entgegnungen den gleichen traurigen Unterton heraushörte, der ungeachtet aller Worte die eigentliche Antwort war. "Wir wissen nicht mehr, worauf wir warten", sagte der Ton, "wir warten schon zu lange, um uns zu erinnern."

"Wir fühlen wohl so manches Unbehagen", sagte einer der Wartenden später, weil er sich erklären wollte, "es ist nicht so, dass wir keine Gefühle kennen, wir spüren schon manchmal, dass da etwas falsch ist, dass da vielleicht etwas nicht stimmt, aber aus Angst enttäuscht zu werden, sind wir mit den Jahren sehr milde geworden. Warten ist auch Hoffnung, vielleicht kommt ja noch der Moment, denkt man sich, vielleicht, wir glauben ja nicht mehr an Gott, aber wir sind auch alle noch zu schwach, um an den ganzen Menschen glauben zu können, die Welt ist so schrecklich kompliziert geworden, überall wuchern die Widersprüche, alles ist ein einziger pluralistischer Strom, der an uns vorbeirauscht, alles mit sich zieht, wer wagt es da schon die Hand auszustrecken und wirklich und entschieden zuzugreifen, unwissend, ob man etwas bekommt, oder ob es einen nur mit hinein in den stumpfen Sog der Geschichte reißt, irgendwo zerschäumt in all dem, was keine Form mehr hat, was wissen wir überhaupt noch?", fragte der sich erklärende Wartende rhetorisch und dann, als er anhob, um das Warten mit neuen und bunteren Bildern zu beschreiben, hörte auf einmal auch er jenen kleinen traurigen Unterton und verstummte sofort.

"Du denkst, dass wir auf den Tod warten", sagte er, schließlich, halb zu sich selbst, halb zu dem fröhlichen Atheisten, der sich abwandte, um noch entlegenere Gefilde zu besuchen. Der Wartende blieb noch einen Moment stehen, blickte ihm nach und wärmte sich versuchsweise an seiner kleinen Erkenntnis. Dann ging er seltsam frei hinüber zu den anderen Wartenden.

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(22.07.17)
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