Teil 27

Roman

von  AnastasiaCeléste

In einem ganz anderen Teil der Stadt, war die Aufregung an diesem Abend groß.
Sie hatten nach langer Zeit wieder jemanden erwischt. Eine neue Chance, auf die alles verändernde Lösung.
In dem kleinen, dunklen Raum drängten sich ein dutzend Menschen zusammen und beobachteten das Spektakel. Nur die Mitte des Raumes war spärlich beleuchtet. Im Lichtkegel saß ein junger, kräftiger Mann auf einem massiven Stuhl. Sein Körper war mit Gurten und Fesseln bis zur fast vollständigen Bewegungsfähigkeit fixiert. Er war bei Bewusstsein und extrem aufgebracht. Ein einfacher Knebel hinderte ihn daran, die Flüche und Schimpfworte auszusprechen, die er seinen Entführern entgegenschleudern wollte.
Einen Meter neben dem Gefangenen standen ein Tisch, auf dem ein Laptop aufgebaut war, sowie ein paar elektrische Geräte, die teilweise nach einer eigenen Konstruktion aussahen.
Vor dem Laptop saß ein sehr jugendlich wirkender Mann. Man hätte ihn vielleicht auf achtzehn, höchstens zwanzig Jahre geschätzt. Er tippte in Windeseile komplizierte Codes ein, klickte mal hier und da. Überlegte zwischendurch einen Moment. Dann Tippte er weiter.
So ging das schon eine ganze Weile, während der Junge Mann auf dem Stuhl durchgehend versuchte, sich von seinen Fesseln zu befreien. Um diese Szene herum standen Männer und Frauen jeglichen Alters. Und jeden von ihnen beschäftigte nur diese eine Frage. Wird es diesmal klappen?
Ein paar Minuten später erschien ein Ladebalken auf dem Monitor. Als der Vorgang beendet war, nahm der junge Computerspezialist eine Art Lesegerät in die Hand, das mit dem Laptop verbunden war. Es glich denen, mit denen die Wachposten kontrollierten, ob man geschippt ist.
„Es kann losgehen. Haltet Ihnen fest“, wies er seine beiden Kollegen an, die schon auf diesen Moment gewartet hatten. Sie drückten den Kopf des Gefesselten nach vorn, auf dessen Brust und hielten ihn in dieser Position fest.
Noch immer versuchte er zu zappeln, um ihnen ihr Vorgehen zu erschweren.
Der scheinbar Jüngste der drei, positionierte das Gerät an die Stelle im Nacken des Gefesselten, an der der Chip saß. Er drückte ein paar Knöpfe an dem Gerät und beobachtete was auf dem kleinen Display passierte.
Niemand sagte mehr ein Wort. Die Spannung im Raum war zum Greifen nahe. Nur das schnelle und hektische Atemgeräusch des Gefangenen war zu hören.
Nach schier endlosen Sekunden nahm er das Gerät wieder weg und setzte sich zurück an den Laptop. Sofort ließen die anderen den Gefangenen wieder los, was dieser ihnen mit einem gefährlich tiefen Grollen dankte. Der Jüngere öffnete ein neues Programm, klickte hier und tippte dort, bis er innehielt und den Blickkontakt zu seinen beiden Kollegen suchte.
Sie nickten einander zu und traten dann ein Stück von dem Stuhl in der Mitte zurück.
Nur ein paar Sekunden später fuhr ein Zucken durch den Körper des gefesselten Mannes. Sofort vernahm man ein enttäuschtes Stöhnen und Gemurmel in der ganzen Gruppe. Niemand störte sich daran, was dem Mann dort in der Mitte passierte. Resigniert zogen die ersten ab.
Sie hatten gesehen, was sie bislang immer gesehen hatten - Keinen Erfolg.
Der junge Mann vor dem Laptop probierte noch ein paar weitere Kombinationen. Doch entgegen aller Erwartungen, zogen sich die Muskeln des Versuchsobjektes nur noch mehr zusammen. Seine Gesichtszüge verkrampfen sich stärker. Es war sinnlos. Er brach die Tests ab.  Sofort sackte der Gefangene in sich zusammen, soweit seine Fesseln es zuließen. Keine Gegenwehr mehr. Mühsam blinzelte er und ließ den Kopf hängen, an der Schwelle zur Bewusstlosigkeit.
Vor dem Laptop war ein tiefes, verzweifeltes Seufzen zu hören.
Was war diesmal wieder schiefgelaufen? Wie konnten diese Chips nur so gut gesichert sein?
Etliche Fragen gingen dem jungen Mann durch den Kopf. Die gleichen, wie beim letzten missglückten Versuch und beim Vorletzten und eigentlich bei allen Versuchen bisher.
Es  machte sich unter den verbliebenden Zuschauern eine stille Ernüchterung breit.
Ein weiterer, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, kam auf den Jungen am Laptop zu und klopfte ihm aufmunternd die Schulter.
„Tut mir Leid, Kumpel. Mach dir keinen Stress deswegen. Du wirst das noch schaffen. Da bin ich mir sicher. Du bist der Beste hier auf diesem Gebiet.“ Der Jüngere seufzte wieder und starrte weiterhin verständnislos auf seinen Monitor.
Jetzt übernahm der Andere das Kommando. „Bringt ihn weg“, wies er die beiden Helfer an. „Wenn er ärger macht, willst ihr was zu tun ist.“ Die beiden nickten synchron und machten sich dann daran, die Gurte zu lösen, die den Gefangenen mit dem Stuhl verbunden hielten.
Sie  hievten den Mann, der noch ziemlich benommen war, aus dem Raum. Er wurde zurück in seine Zelle gebracht, bis sie einen weiteren Versuch starten könnten oder seine Frist ablief.
Der Ältere lehnte sich seinem jungen Freund gegenüber an die Wand. Er sah dessen Enttäuschung sofort. Er verschränkte die Arme vor der Brust und startete mit ruhigen Worten einen neuen Versuch, sein Gegenüber zu besänftigen: „Josh, bitte. Mach dir keine Vorwürfe. Niemand macht das hier. Natürlich wollen wir diesem Dreckskerl das Handwerk legen, lieber gestern als heute, aber wir können nichts erzwingen. Es ist noch ein hartes Stück Arbeit. Soviel, das wir berücksichtigen müssen. Wir hatten doch nicht wirklich erwartet, dass Corvin den Leuten irgendwelche Billig-Chips verpasst, die jeder mit ein bisschen Verstand austricksen kann. Es ist immerhin schon ein Durchbruch, dass wir in der Lage sind, einzelne Chips selbst zu kontrollieren, wenn wir sie anzapfen. Auch wenn das nicht unbedingt das ist, was wir wollen. Wir haben noch ein paar Stunden, in denen wir den Chip von diesem Kerl testen können, bevor sein dauerhafter Standort auffällig wird. Nutz die Zeit mit den anderen. Und wenn nichts klappt, haben wir immer noch die Chance auf eine Entnahme, die uns vielleicht weiterbringt.“
Josh nickte. Zum ersten Mal sah er wieder von seinem Monitor auf. „Was ist mit Ave?“
Der Andere strich sich eine Strähne seines langen Haares aus dem Gesicht.
„Er scheint das Ding wirklich durchzuziehen. Viele sprechen über ihn und das was er tut. Eine riskante Sache, aber das wird ihm natürlich bewusst sein. Er weiß, dass wir da sind. Ich habe dafür gesorgt, dass er unsere Anwesenheit ständig bemerkt. Er ist natürlich sehr aggressiv, wenn es um so etwas geht. Zu Recht, das werfe ich ihm gar nicht vor. Aber er hat mittlerweile auch gemerkt, dass man ihm nichts Böses will. Er ist also vorbereitet, wenn wir uns ihm zu zeigen geben und schießt hoffentlich nicht sofort alles kurz und klein.“
Der Ältere konnte sich bei seinen letzten Worten ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen.
„Hoffentlich“, sagte Josh und war ebenfalls amüsiert.
„Bis dahin müssen wir aber noch ein bisschen mehr erreichen. Sonst kriegen wir ihn nie davon überzeugt, dass wir zusammenarbeiten müssen. Sein Wissen und seine Möglichkeiten sind unabdingbar für unsere Pläne“, gab der Ältere zu.
Josh nickte. „Dann werde ich mal zusammenpacken und mit den anderen weiter an der Programmierung tüfteln.“ Er stand auf, packte seinen Laptop zusammen und ging.
Der Ältere blieb allein zurück.
Er sah sich gedankenversunken in dem kleinen, feuchten Raum um. Aus dem Inneren der dicken Rohre, die an der gegenüberliegenden Wand entlangliefen, gurgelte und gluckste es.
So oft waren sie hier gescheitert. So einige von Corvins Laufhunden hatten schon auf diesem Stuhl gesessen und waren nicht mehr als ein Versuchskaninchen. Keiner von Ihnen hatte je das Tageslicht wiedergesehen.
Ein notwendiges Übel, dass sie aber in Kauf nahmen, um ihre und die Sicherheit, der vielen anderen Menschen in der Stadt, zu garantieren.
Es wurde höchste Zeit, dass sie diese schützende, aber nicht sonderlich angenehme Zuflucht endlich wieder verlassen konnten.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (07.06.15)
Die Methoden, wenn man sich gegen ein autoritäres System zur Wehr setzt, sind nicht das, was man "den Guten" sonst zuschreibt.
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