Verbotene Liebe.

Erzählung zum Thema Biographisches/ Personen

von  franky

Es war in den Jahren Neunundvierzig – Fünfzig, da hatte unsere Knabenschwester Kolianna mit einem Philosophiestudent erbarmen, der in der Stadt Zeitungen verkaufte. Sie bot ihm in unserem Trakt eine Schlafstelle an. Diese Barmherzigkeit musste auf jeden Fall geheim gehalten werden, die Obrigkeit würde so was nicht dulden. Wir größeren Schüler konnten beobachten, wie der Student mit Kolianna im Stiegenhaus geheimnisvoll flüsterten. Daraus hatten wir bald eine verbotene Liebesbeziehung gebastelt. Wenn einer von uns oder sonst wer näher kam, stoben sie wie ertappte Schulkinder auseinander. Das erhärtete unsere gewissermaßen aufgestellte Theorie von verbotener Liebe.
Uns das Lügen und Fluchen verbieten und selber treck am Stecken haben, das kratzte an der Unfehlbarkeit unserer so kompromisslosen Schwester.

In dieser Zeit tobte in Sizilien ein furchtbarer Kampf mit der Mafia. Ein gewisser „Giuliano“ Schrieb ein Tagebuch, welches in kleinen Heften wöchentlich auf den Markt kam.
Der Student Simon schob Kolianna solche Hefte zu, aus denen Schwester Kolianna uns vor dem Schlafengehen vorlas. Da wurde unbarmherzig gemordet und wieder Rache geübt bis am Schluss nur mehr Ein Zwei Gestalten übrig blieben. Diese Geschichten verschlangen wir mit offenen Mündern und Ohren. Mein Puls stieg hoch, dass es mir im den Ohren dröhnte. 

Wenn wir von den Sommerferien im September wieder im Otilienheim eintrudelten, wurde mancher kleiner Knirps vom Heimweh übermannt und schluchzte in das Kissen. Ich war da auch keine Ausnahme. Aber an diesen Tagen überkam mich bei dem Gedanken an Luzia ein eigenartig herrliches Gefühl und Heimweh war wie weggeblasen, für mich kein Thema mehr. Ich schlief mit einem wunderschönen Lichttempel über meiner Seele entspannt ein. Das Otilienheim war ab jetzt ein buntes großes rätsel, das es zu lösen gab. 
Das Spielen mit den anderen Schülern fand ich bald kindisch, viel wichtiger war nun das neue Leben mit Luzia. Sie wusste es zwar noch nicht, würde es vielleicht auch nie erfahren.

Der explodierende Hormonhaushalt ließ meine unbändigen Gefühle stark durcheinander flattern.
Die Schamhaare wuchsen und wurden zu einem prächtigen Urwald. Auch die sprießende Männlichkeit hatte mich fest im Griff!
Pubertät wurde sang und klanglos übersprungen. Ich landete unsanft vom Kind zum Mann.

Wenn Die fröhliche Stimme von Luzia durch die hohen Gänge schallte, wurde mein Schritt automatisch etwas schneller und mein Herz vollführte kleine Freudensprünge.
Als im Klassenzimmer die Sitzordnung für das neue Schuljahr von unserer Schulschwester erstellt wurde, kam ich mit Luzia, Tisch an Tisch zu sitzen. Jeder Schultag wurde zu einem Freudentaumel, der sich auch zur Steigerung meiner schulischen Leistung auswirkte.
Fast täglich erwachte ich zwischen Ein und Zwei Ur nachts, schwelgte in einem Himmlischen Gefühl von Maßloser Liebe zu Luzia. Diese liebe War so ein herrliches Gebilde, ich musste sie vor jeglichem feindlichem Luftzug bewahren. Kurz vor Sechs schlief ich dann wieder ein, bis die erbarmungslose Glocke von Schwester Kolianna mich aus einem tiefem, bewusstlosen Schlaf weckte. Die Prothese angeschnallt und ab geht’s in die Hauskapelle zur Morgenmesse, die ich als erklärtes Wunderkind schon spielen durfte. Hier hörte ich deutlich die glockenhelle Singstimme von Luzia aus den anderen Stimmen heraus. 
Von einem auf den anderen Tag wurde ich innerlich ruhig und abgeklärter, was Schwester Kolianna zur Frage veranlasste: „Was hast du Franzi? Warum bist du so Still und spielst nicht mehr mit den anderen Kindern?“
Meine große Liebe durfte ich nicht einfach verraten. Sie blieb in meinem Kopf in meiner Seele und in meinem Herzen. Ich konnte Kolianna keine glaubwürdige Antwort auf ihre Fragen geben. Meine Wesensveränderung war so gravierend, dass sie von meiner Umwelt aufmerksam registriert wurde.

In den Jahren 49 bis 51 fuhren wir auf vier Wochen im Sommer Nach Oberösterreich, nach Waxenberg in ein Schloss der Grafen Stahenberg. Wir Kriegsblinden konnten für wenig Geld dort vier Wochen Urlaub verbringen. 
Schlossverwalter Herr Knoblauch nahm auch unsere Schwestern Kolianna und Schwester Juvitta von der Mädchenabteilung und sogar unseren neuen, jungen Direktor des Otilienheims mit auf in das Erholungszentrum. Diese Konstellation hatte schon gewissen Sprengstoff ins sich. Beide, Knabenschwester Kolianna und Mädchenschwester Juvitta waren noch hungrig und empfänglich für die Liebe.

Schwester Juvitta hatte aus der reichlichen Schloss-Bibliothek uns von Karl May interessante Geschichten ausgesucht, die sie uns während der langen Spaziergänge in der Hochebene von Waxenberg vorlas. So unternahmen wir unvermerkt umfangreiche Halbtagesausflüge, die durch die Kirchenglocke zu Mittag um zwölf je von Schwester Juvitta durch das Kreuzzeichen und dreimalige Avemaria-beten unterbrochen wurden. Man hatte fast das Gefühl, dass Karl May es so geschrieben haben könnte. Winnetou und Old Shatterhand mussten da wohl oder übel kurz pausieren und andächtig die Daumen kreuzen. 
Für Schwester Kolianna Als geborene Slowenin hatte die Deutsche Sprache kleine Zungenbrecher versteckt, über die wir jedoch gerne hinweg sahen, Hauptsache es wird gelesen. 

Unser junger Direktor vom Otilienheim ließ dieseliebevollen  Angebote von Kolianna und Juvitta nicht ungerührt an sich vorüberziehen, er trank vom löblichen Kelch kräftige Züge, ohne sich zu verschlucken. Aber zwischen den beiden geschwisterlichen Schwestern entbrannte sehr bald ein heißer Eifersuchtskrieg. Juvitta mit ihrem Wiener Charme hatte wohl die Oberhand erkämpft. Sie schlüpfte nach dem Abendgebet klamm heimlich ins Zimmer des frommen Kirchenmannes. Da wurde zusammengefügt was Gott so nicht vorgesehen hatte.

Kolianna schlich auf Zehenspitzen die Treppen vom Obergeschoss hinunter zum  Badre. Hier sieht sie Juvitta wie ein Wiesel von einem Zimmer ins andere verschwinden. „Das darf nicht wahr sein!“ Auf dem letzten Absatz der Treppe blieb Kolianna stehen und griff mit beiden händen an ihr Herz, an ihr Herz, das so glühend für ihren Kirchenherren schlug.

© by F. J. Puschnik

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