Selbsthilfe

Kurzgeschichte zum Thema Ideologie

von  Jericho

Ich liebe Sommernächte. Besonders die schwülen, heißen, in denen der Schlaf unruhig ist und man sich am Morgen keineswegs erholt fühlt. Dieses Gefühl was sich dann in mir ausbreitet…ich wache noch früher auf als sonst, steige aus den durchgeschwitzten Laken und gehe ins Bad. Meine Umgebung nehme ich wie durch einen Film vor den Augen wahr. Zum Frühstück reicht mir eine Tasse Kaffee und zum Wachwerden gibt es statt leichter Klassik wie sonst üblich hasserfüllten Metal.
Mit dem Porsche Cayenne (ein Geschenk meiner Exfrau Tina) fahre ich in die Stadt in meine Praxis. Normalerweise liebe ich meinen Beruf, ja man kann sagen meine Berufung, die Leute gesund zu machen, aber an Tagen wie heute bin ich einfach nicht in der Lage mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Im Schnelldurchlauf fertige ich die Patienten ab.. Spätestens um 14 Uhr sage ich Chantal, das sie alle meine Termine für heute absagen soll. Sie guckt mich dann mit ihren großen, braunen Augen an. Chantal vergöttert mich, für sie ist jede Stunde mit mir in der Praxis wie eine Offenbarung, sie würde alles dafür geben um die neue Frau Doktor zu werden…aber Tina ist die einzige Frau, die ich jemals lieben werde, auch wenn sie nicht bei mir bleiben konnte.
Zuhause drehe ich die Anlage auf, irgendwas brutales, als Einstimmung auf heute Abend…Wenn die Dämmerung heran bricht beginne ich mich anzukleiden, ganz in schwarz, enganliegend, Ninja-Style. Sorgsam suche ich mein Werkzeug zusammen und packe es in die eigens dafür angefertigte schwarze Umhängetasche, die perfekt am Körper anliegt.
Zum zweiten Male fahre ich heute in die Stadt, diesmal allerdings nicht mit dem Cayenne sondern mit meinem schwarzen Dodge Viper, der nur zu besonderen Anlässen benutzt wird. Während der Fahrt denke ich an die Stadt…dort bin ich aufgewachsen. Dort kenne ich alles, jede Ecke und würde mich im Schlaf zurechtfinden. Doch schließlich musste ich ihr den Rücken zukehren und aufs Land ziehen, weil sie mich angewidert hat, mit ihrer Bosheit, ihren Drogensüchtigen, Obdachlosen, Prostituierten, Zuhältern, Jugendgangs, ihrer Korruption, ihrem Schmutz…
Irgendwann ging mir jedoch auf, das die Stadt nicht böse ist, sondern krank. Sehr, sehr krank. Sicher, das Land ist krank, die ganze Welt ist krank und man kann nicht allen helfen doch ich helfe meiner Stadt von der ich nicht lassen kann. Tagsüber mache ich die Menschen frei von Krankheit, nachts helfe ich meiner Stadt gesund zu werden. Denn das ist sie noch, für jetzt und für immer. Meine Stadt.
Nachdem ich die Stadtgrenze passiert habe, führt mich die Fahrt erst durch ruhige Viertel mit Einfamilienhäusern. Hier ist kein Bedarf für eine helfende Hand. Langsam nähere ich mich dem Zentrum. High Life. Ich stelle den Wagen in einem Parkhaus in Citynähe ab und begebe mich ins Freie.
In einer Szenekneipe trinke ich ein Wasser. Für das feierbereite Partyvolk um mich herum habe ich nur Verachtung übrig.
Ich verlasse die Kneipe und bin mitten auf dem Kiez zur Prime time, höchste Zeit mit meiner Operation zu beginnen. Ich greife in die Umhängetasche und hole mein Werkzeug heraus. Meine Mission beginnt…
Kurze Zeit später ist der erste Müllsack der Nacht voll und fröhlich pfeifend schultere ich meinen Abfallgreifer und mache mich daran, den zweiten zu füllen.


Anmerkung von Jericho:

schon etwas älter...

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Kommentare zu diesem Text


 Judas (14.07.15)
Creepy. Gut erzählt. Der Text besticht durch guten Aufbau, jede Zeile machte neugieriger auf das Ende. Hab jetzt irgendwie eine Film-Noir-Comic-Verfilmung vor'm inneren Auge und irgendwelche Anti-Helden wie bei Watchmen oder so...

 Jericho meinte dazu am 14.07.15:
Danke. Meine erste kurzgeschichte...
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