Frau Eusebier und das letzte Abenteuer der Menschheit

Dialog zum Thema Bahnhof

von  Nachtpoet

Frau Eusebier sagte mir: Wenn sie jemals den Wunsch verspüren würde, einmal die Welt anzuhalten, dann würde sie sich einfach in ein Zugabteil hineinsetzen! Aber wenn ich jetzt mal wieder die Pupillen verdrehen würde, obwohl ich genau wüsste, dass sie mich doch sofort aufkläre, dann wolle sie mir eine dolle Abenteuergeschichte erzählen, die sie selbst erlebt habe. Also: Sie - Frau Eusebier - habe doch am Wochenende ihre Brieffreundin in Stuttgart besucht, die sie vorher noch nie getroffen hätte. Die Zeit mit ihrer Besten wäre wunderschön und sehr lustig gewesen. Für 13 Uhr 14 sei am Sonntagnachmittag die Heimfahrt im IC der Deutschen Bahn auf Gleis 9 geplant gewesen. Ihr Zug sei aber dieses mal von Gleis 5 abgefahren, und das sei natürlich generell nicht schlimm, aber es sei nur der schleichende Anfang von alledem gewesen ... Am Rhein entlang, da wo sich die Lorelei majestätisch aus den Weinbergen erhebt - so schwärmte jetzt Frau Eusebier -  da - und sofort fielen ihre Mundwinkel wieder herunter - musste der Zug plötzlich mitten in der Pampa halten - wie es Frau Eusebier ausdrückte.

"Wegen Pänz uff de Streck", wie der Schaffner es unverschämt aus dem Lautsprecher verlauten lies, ohne seine Begriffe auch nur ansatzweise zu erklären! "Pänz! Unverschämtheit!" Wiederholte Frau Eusebier mit ausgestrecken Fingern. Sie habe noch mit dem Handy googeln wollen, was das überhaupt sei, aber da wäre anscheinend die Strecke von diesem Was-auch-immer schon wieder befreit worden und der Zug habe wieder zu rollen begonnen und außerdem hätte sie zwischen den Bahnhöfen NIE ein Netz gehabt! Allerdings habe es da schon eine gehörige Verspätung gegeben. Als der Schaffner aber dann mit einem "Schlöcksche Wasser" bei der brütenden Hitze in diesem scheißmodernen Zug - so drückte sich Frau Eusebier jetzt wirklich aus - wo man noch nicht einmal ein Fenster zur Lüftung öffnen konnte, ins Abteil gekommen wäre, und jeder eine Flasche gratis zu trinken bekam, da wäre ihr dieser Rheinländer doch gleich sympathisch gewesen, der sich sogar noch freundlicherweise erkundigt hätte, ob auch niemand einen Kreislaufkollaps wegen der hohen Temperaturen bekommen hätte ...

Als der Rheinländer beim Kölner Bahnhof aber dann ins Mikro gebeichtet hätte, es wäre keine Ablösung des Zugpersonals zur Arbeit erschienenen und deswegen müssten sie alle, also ca. alle 90 Personen in diesem Zug auf den einen Kollegen warten, weil - so dichtete Frau Eusebier jetzt weiter - diesem Schluffi vielleicht nur die Weckerbatterie leer gegangen sei, oder er am Abend vorher womöglich noch einen gesüppelt hätte, da habe sie aber die Faxen langsam dicke gehabt von diesem Kölner Klüngel!

Nach einer gefühlten Ewigkeit - so formulierte es Frau Eusebier jetzt stöhnend - sei der Zug dann aber weiter gejuckelt und als sie sich gerade entspannen und ihren letzten Apfel essen wollte, da wurde sie über das jetzt schon angstmachende  Lautsprechergeräusch wieder aufgeschreckt und musste fassungslos mitanhören, dass dieser, ihr Zug nicht nur Verspätung hatte, sondern auch noch wegen umgestürzter Bäume umgeleitet werden musste, weil im Raum Bielefeld ein Unwetter getobt hätte! So hätte sie dann "nur unter Protest" - wie es Frau Eusebier laut betonte, nach Osnabrück fahren müssen. Und überhaupt - schob Frau Eusebier noch hinterher: Es würde ja wohl schon seit Milliarden von Jahren gewittern und die Bahn sei immer noch nicht darauf vorbereitet! Lächerlich sei das! Aber in Hamm, wo der Zug hielt und umgeleitet werden sollte, wäre es noch viel doller gekommen! Da fehlte jetzt der Zugführer!! Und das hätte eine weitere Verzögerung nach sich gezogen!

Erst - so meinte Frau Eusebier lächelnd - habe sie an einen Scherz mit der versteckten Kamera geglaubt und schon den ganzen Zug nach Spionkameras abgesucht, doch es war REALITÄT! ... Aber Frau Eusebier sei zu diesem  Zeitpunkt schon mit allen Mitreisenden auf Du und Du gewesen. Mit der Zeit hätte man sich halt gut kennen gelernt und wäre schon zu einer richtig kleinen Gemeinde zusammengewachsen, so ähnlich wie im Gefängnis oder so.

Irgendwann - es sei schon so dunkel gewesen, dass der Vollmond sie regelrecht geblendet hätte - sei sie doch noch in Osnabrück angekommen und habe gleich auf die Anzeigetafel gesehen, wann denn endlich IHR Zug nach Hause führe. An der Information habe man ihr gesagt, ihr Zug nach Hause sei der ICE sowieso, der schon 120 Min. Verspätung habe, aber da dieser auch umgeleitet wurde, könne man nicht sagen, auf welchen Gleis der ankäme. Dazu habe es - so hob Frau Eusebier jetzt den Finger - dann noch ein gewisses Problem gegeben: Auf der Anzeigetafel hätten natürlich nur Züge gestanden, die in näherer Zeit abgefahren wären, aber diese zeigten auch 60-120 Min. Verspätung an. Die Züge aber, die jetzt erst mit 60-120 Min. Verspätung ankamen, gerade die wären nicht auf der Tafel eingeblendet gewesen, weil sie ja laut Fahrplan schon längst weg gewesen wären und auch nur die Zuginformationen derer paar Züge überdeckt hätten, die zur richtigen Zeit an- und abfahren. Also sei Frau Eusebier mit ihren schweren Koffern von Gleis zu Gleis gehetzt um jeden Zug zu fragen: "Sind sie der ICE sowieso?" Aber alle Züge hätten nur mit dem Kopf geschüttelt und als sie alle Gleise durchgesucht  hatte, erfuhr sie, als sie noch einmal zur Bahn-Information zurückkehrte, dass der ICE sowieso, sowieso nicht mehr käme und in ihrem Heimatbahnhof wäre der Blitz eingeschlagen und nichts ginge dort mehr, worauf sie laut ausgerufen hätte: "Ja genau so komme ich mir jetzt auch vor!"

Gerade als sie - so erzählte mir Frau Eusebier jetzt mit traurigem Tonfall - sich resigniert irgend eine Tageszeitung aus dem Müll wühlen wollte, um wenigstens auf dem Bahnhof noch etwas Schlaf zu kriegen, da wurden auf einmal ihre Knie ganz weich und sie klappte vor lauter Schwäche vor dem Bahn-Schalter zusammen. Aber die freundliche Dame dahinter habe sich vorne über den Schalter gebeugt und ihr den Vorschlag unterbreitet, auf Kosten der Bahn in einem Hotel zu übernachten, welches sich direkt gegenüber dem Bahnhof befände. ... Da habe Frau Eusebier wieder Kraft geschöpft und plötzlich gedacht: Duschen! Essen! Trinken! Und nächsten Tag vielleicht noch SHOPPEN gehen! Das wäre ja super!

Und als Frau Eusebier spätabends nach einem erfrischendem Bad, bei einer Osnabrücker Käseplatte mit Baguette und einem schönen Glas Rotwein draußen vor dem Hotel im Freien genau die Bahn-Information im Blick gehabt hätte, da wäre sie immer wieder mal Zeuge gewesen, wie die eine oder andere Person vor dem Bahn-Schalter zusammengeklappt wäre, aber schon keine halbe Stunde später heiter neben ihr am Tisch gesessen hätte, um es sich ebenfalls bei einem netten Imbiss und einem Pläuschchen gemütlich zu machen. Und was solle sie mir sagen: Es wären ausnahmslos, die Damen und Herren aus ihrem Kölner-Zwangsgemeinden-Abteil der verkorksten IC-Fahrt gewesen! - Da klatschte Frau Eusebier schon euphorisch in die Hände - Dieses Wiedersehen nach all den überstandenen Abenteuern hätten sie dann gemeinsam jubelnd gefeiert und am nächsten Tag wäre sie mit der ganze Bagage erstmal noch shoppen gegangen! So schön - schwärmte jetzt Frau Eusebier - waren die Folgen dieser Verspätung, dass sie fast schon gehofft habe, ihr Nach-Hause-Zug am Mittag hätte vielleicht auch noch so ein bis drei Stündchen Verspätung, aber so viel Glück hätte sie dann doch nicht gehabt, dafür aber viele neue Freunde gewonnen.


Anmerkung von Nachtpoet:

Bis auf die Person Frau Eusebier, eine wahre Geschichte!

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (11.07.15)
"...jetzt schon eine gehörigen Verspätung"

 Nachtpoet meinte dazu am 11.07.15:
Danke
Gringo (60)
(11.07.15)
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 Nachtpoet antwortete darauf am 11.07.15:
Na guck mal. Heutzutage sind keine Opfer mehr zu beklagen, die früher aus dem Zug geworfen wurden, dafür sterben sie heute an Hitzeschlag.

Vielen Dank
Ralf
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