Teil 28

Roman

von  AnastasiaCeléste

Am nächsten Morgen ließ sich Corvin von seinen Männern Bericht darüber erstatten, wie ihr Streifzug verlaufen ist.
Die Anführer der einzelnen Truppen präsentierten ihre Zahlen, Vorkommnisse und Beobachtungen, während sich Corvin ein paar Notizen machte.
Sie erläuterten ihm ihr Vorgehen, die Reaktionen der Menschen und die allgemeine Stimmung, die sie auf der Straße wahrgenommen haben. Es schien Corvin nicht zu stören, dass dabei immer wieder die Worte Angst, Hass und Wut fielen.
Das alles waren Gefühle, die er zu seinem Vorteil nutzen konnte. Angst macht gefügig. Hass und Wut dienten ihrem Zweck, wenn es darum ging, Situationen für sich zu nutzen.
War es nicht genau das, wovor der Chip die guten Bürger offiziell schützen sollte? Vor Gewalt, geschürt durch Hass und Wut?
Der erste Streifzug dieser Art verzeichnete über sechshundert weitere gechippte Menschen. Ein dutzend Tote waren ein überschaubarer Kollateralschaden, fand Corvin.
Als die Runde schließlich beendet war, blieb einer der Truppenführer auf seinem Platz sitzen.
Corvin sah ihn auffordernd an. „Was ist denn noch?“, hakte er nach.
„Corvin, ich weiß nicht ob es für dich interessant ist“, begann der Verbliebene unsicher, „Als wir unerwartet bei Aves Wohnung landeten, stellte sich heraus, dass sein jüngerer Bruder noch nicht gechippt war.“ Corvin sah auf. Sein Interesse war geweckt. „Und warum erzählst du mir das?“
Der Truppenführer löste den Blickkontakt. Er bereute es, etwas gesagt zu haben. Ave war schließlich Corvins rechte Hand, sein vertrautester Mann. Es war gefährlich, ihm etwas anzulasten. „Es…es kam mir nur etwas komisch vor, dass Ave nicht längst darauf bestanden hat. Er sollte das System doch unterstützen.“ Corvin nickte. „Ja, das sollte er. Ich danke dir für diese Information. Nimm dir den Tag frei.“ Der Boss machte eine auffordernde Handbewegung. Er hatte genug gehört. Der Truppenführer stand auf und ging.
Corvin stellte sich ans Fenster, von wo aus er einen atemberaubenden Blick über die Stadt hatte.
Die Information, die er erhalten hatte, beschäftigte ihn. Er vertraute Ave. Sein bester Mann hatte sich in all den Jahren nie etwas zuschulden kommen lassen. Aber das war ein kleines Detail, das ein paar Fragen aufwarf. Es bestand definitiv Klärungsbedarf.

Nur wenig später bekam er Gelegenheit dazu, seine Fragen zu stellen.
Als Ave seinem Boss gegenüber trat, fiel ihm sofort dessen Veränderung auf. Er begann ihm von dem Treffen mit dem Lieferanten zu erzählen und bestätigte ihm, dass dieser weiterhin liefern wird, ohne weitere Probleme. Corvin nickte nur. Er blieb still und das war auffällig. Ohne ein Wort zu sagen, schenkte er sich und Ave eine Whiskey ein und schob ihm eines der schweren Gläser zu.
Corvin ließ sich auf sein weißes Sofa fallen und winkte seinen Partner zu sich.
Als Ave sich mit seinem Glas ihm gegenüber setzte, beobachte sein Boss jede seiner Bewegungen.
Sein stechender Blick traf Ave, doch er hielt ihm stand.
„Ein paar meiner Männer haben dich besucht, richtig?“ begann Corvin viel zu leise. „Das stimmt“, bestätigte Ave. Er hätte es wissen müssen. Es wäre zu einfach gewesen, wenn diese Sache unter den Tisch gefallen wäre. „Jemand hat mir verraten, dass dein Bruder noch kein Chip getragen hat. Wie kommt das?“ wollte der Boss wissen, und auch wenn er sich ruhig und entspannt gab, ließ sein Tonfall viel mehr von seinem Gemütszustand erkennen.
„Ich hab ihm mehrfach gesagt, dass er sich chippen lassen soll. Aber er ist manchmal etwas stur.“ Ave wog jedes seiner Worte genau ab.
„Verstehe“, sagte Corvin knapp. „Du hättest ihm mehr Druck machen sollen. Du hast schließlich eine gewisse Position hier“, erinnerte Corvin seinen Angestellten.
„Er ist ein erwachsener Mensch, wie wir beide. Also habe ich es ihm überlassen. Ich habe geahnt, dass es irgendwann so kommen wird. Er hat jetzt Einsicht gezeigt. Er ist jetzt im System und erkennt, dass er dadurch wieder mehr Annehmlichkeiten hat. Schon allein dadurch, dass er sich wieder frei in der Stadt bewegen kann.“ Ave beobachtet seinen Chef genau.
„Ihr steht euch nahe?“, wollte Corvin wissen. „So nahe, wie sich Brüder nun einmal stehen.“ Ave wählte eine Antwort mit viel Spielraum. Corvin nickte nur nachdenklich.
„Geschwisterliebe ist eine heikle Sache“, warf er in den Raum und ließ seinen Blick zu seinem Glas schweifen.  „Aber ich nehme an, du hast ihn unter Kontrolle?“ Ave nickte. „Er war nie jemand, der Schwierigkeiten gemacht hat. Und das wird sich auch nicht ändern."
„Gut, dann hätten wir das geklärt.“ Er hob sein Glas in Aves Richtung und forderte ihn auf, mit ihm zu trinken.
Das warme Gefühl, dass der Whiskey in seiner Kehle entfachte, sollte ihn darüber hinwegtäuschen, dass Corvin noch lange nicht zufrieden war. Er würde wachsam sein, womöglich jeden seiner Schritte genauestens beobachten.
Als der Boss nichts weiter mit ihm zu besprechen hatte, leerte Ave sein Glas und verabschiedete sich.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (29.07.15)
Die Schlinge zieht sich zu - fragt sich nur um welchen Hals?
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