Kenneth Goldsmith - Ein Dichter, der zu einer Lesung in´s Weiße Haus eingeladen wird, bei kV aber sofort gesperrt würde

Absurdes Theaterstück zum Thema Literatur

von  toltec-head

Um zu verstehen, was den amerikanischen Konzeptpoeten Goldsmith umtreibt, ist es hilfreich, Mitglied in einem Lit-Forum zu sein. Wer dort regelmäßig Oden auf Rosen pensionierter Studienräte und Witwe-Bolte-macht-auf-Busch Gedichte lesen muss, versteht auf einmal, warum Goldsmith Kurse gibt, in denen er die Leute anleitet, zu paraphrasieren, abszuchreiben, Wort für Wort zu kopieren und Absätze aus Zeitungsartikeln zu klauen. In seinem Gedicht "Traffic", das er in einer Lesung im Weißen Haus vortrug , macht er das vor, indem er sämtliche Verkehrsmeldungen eines ganzen Jahres über die Brooklyn Bridge festhält. Für seine New-York-Trilogie transkribierte er auch ein Jahr lang Wettervorhersagen und das längste, neun Innings umfassende Baseballmatch der Major League.  "Worte zu recyclen ist politisch und ökologisch nachhaltig", so Goldsmith. "Man kann beides sein, unauthentisch und aufrichtig."

Vor ein paar Monaten machte ich die Probe auf´s Exempel und postete einen Text, der so begann:

Der als Parasit tätige gentleman of independent means toltec ist ein vollkommen unterbeschäftigter Mann. Seine einzige Tätigkeit ist das Posten von Pseudo-Texten in dem Lit-Forum keinVerlag.de. Dort wird er im Herbst 2015 den Kurs „Vergeudete Zeit im Internet“ anbieten, der sich konzepttreu in seine Lehre vom „Unkreativen Schreiben“ eingliedert. Verseelte Ich-Gedichtler und Verfasser von Altersweistümern sollen lernen ihren Kreativitätskrebs einer digitalen Chemotherapie zu unterziehen, indem sie sich durchs Internet treiben lassen und das tun, was gemeinhin als „Zeit verschwenden“ bezeichnet wird. Daraus soll am Ende etwas besseres als ihre sogenannte Literatur entstehen.

Der 1976 in Wunsiedel geborene toltec ist abgesehen von den in Lit-Foren schreibenden Rentnern und Hausfrauen ein noch vollkommen unbekannter Anti-Dichter und Anti-Literaturwissenschaftler.

Um ihn kennenzulernen, treffen wir uns an seinem Lieblingplatz, dem Ort, an dem sich alles für ihn verändert hat: Wir treffen uns in dem Forum keinVerlag. „Als ich 2013 hier das erste mal on ging und die ganzen bemüht kreativen Texte las, wurde mir schnell klar, dass ich nie wieder ein Wort im traditionellen Sinne ,schreiben‘ will, und von da an war das Schreiben nie wieder dasselbe für mich.“

„Worte zu recyclen ist politisch und ökologisch nachhaltig“, sagt toltec, und „man kann beides sein, unauthentisch und aufrichtig.“

In „Verkehr“ – einer Hommage an Fritz Haarmann über den Ort, an dem dieser seine Opfer traf  – hält toltec sämtliche Gleisansagen eines ganzen Jahres im Hauptbahnhof Hannover fest. „Verkehr“ gehört zu toltecs Stadt-an-der-Leine-Trilogie, für die er auch ein Jahr lang Wettervorhersagen und Hannover96-Spiele aus dem Radio transkribierte.

Es handelte sich um die Persiflage eines  Artikels über Goldsmith in der FAZ, mit der ich die praktische Anwendung Goldsmiths Lehre und die witzigen Effekte demonstrieren wollte, die man damit erzielen kann.

Der Text wurde umgehend vom Webmaster gelöscht und der Autor für über einen Monat wegen Plagiatsvorwurf gesperrt; eine wahrlich harte Strafe für einen bekennenden Masoschisten und kV-Junky. Goldsmith, der jedes Urheberrecht an seinen Texten (der FAZ-Artikel bestand zu 80 % aus Zitaten und Interview-Schnipseln) selbstredend ablehnt, betreibt übrigens auch die Piratenplattform  Ubu-Web. Wer den Masoschismus nicht so weit treiben möchte, mit Oden von Rosen oder Witwe-Boltes Busch-Gedichten im Ohr zu sterben, sollte dort unbedingt mal vorbeischauen.

Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstand dazu. Heißt es. Bei Verlegern war das immer schon zweifelhaft. Weshalb das Internet ja eine solch tolle Erfindung ist. Sollte man meinen. Denn hier ist, was der Webmaster von Textrecycling, selbst wenn dieses sich peinlichst genau an das geltende Urheberrecht hält, hält:

Auch wer Goethe abschreibt und dessen Texte unter eigenem Namen hier rein setzt, wird von mir als Plagiator abgestempelt und mit den entsprechenden Konsequenzen behandelt. Gilt ebenso für Volkslieder, dumme Aphorismen, Telefonbuchauszüge und sonstigen Kram.

Abgeschrieben ist abgeschrieben.

Dass es bei manchen Abschreibereien teure rechtliche Folgen geben kann, bei anderen eher nicht, ist für den Verbleib des Textes (und ggf. des CopyPasters - von "Autor" will ich in dem Kontext lieber nicht sprechen) nicht entscheidend; so etwas wirkt höchstens beschleunigend.

Nachzulesen in der Diskussion zum Text  hier.

Abgeschrieben ist abgeschrieben.

Kenneth Goldsmith - ein Dichter, der zu einer Lesung in´s Weiße Haus eingeladen wird, bei kV aber sofort gesperrt würde.

Stattdessen: Rosen´n´Reims forever!

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Kommentare zu diesem Text

Scheester (80)
(22.07.15)
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 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
1938 in Niederhannsdorf (Glazer Bergland) geboren, verbrachte ich meine frühen Kinderjahre in Berlin. Die Flucht vor den Bombenangriffen brachte meine Mutter nebst ihren beiden Söhnen (Vater an der Front) nach Sommerfeld (heute Polen). Dort wurde ich 1944 eingeschult. Ein Jahr später erneute Flucht, und zwar in ein Dorf Mitteldeutschlands (Sachsen-Anhalt). Hier beendete ich meine achtjährige Schulzeit, erlernte dann den Beruf eines Maurers und wechselte schließlich in die Pädagogik. Als Lehrer wirkte ich mehr als 40 Jahre.
Mein Seniorendasein friste ich nicht als Mitläufer eines Hundes oder eines Dauerfernsehsehers.
Ich gehe meiner Leidenschaft, dem Schreiben von Geschichten und Gedichten, nach.


So richtig nach Leben klingt das aber nicht.
Scheester (80) antwortete darauf am 22.07.15:
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 toltec-head schrieb daraufhin am 22.07.15:
Ne, nur als Leiche für andere.

 niemand äußerte darauf am 22.07.15:
@ Scheester
Toltec's Leben besteht aus einem permanenten an seiner Nudel Ziehen und anderen darüber Berichten.

 toltec-head ergänzte dazu am 22.07.15:
Ui! Witwe Bolte heute mit feschem Deppenapostroph (Nudelersatz?). Das wird lo aber so richtig entzücken (s.u.).
(Antwort korrigiert am 22.07.2015)
Scheester (80) meinte dazu am 23.07.15:
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 toltec-head meinte dazu am 23.07.15:
Ich glaube, ich liebe dich.
Scheester (80) meinte dazu am 23.07.15:
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 toltec-head meinte dazu am 23.07.15:
Ja, ein 175er, wie du sie früher nanntest, und im Herzen immer noch. Küss die Eier.
Scheester (80) meinte dazu am 23.07.15:
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Graeculus (69)
(22.07.15)
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 niemand meinte dazu am 22.07.15:
@ Graeculus
Guter Kommentar! LG niemand

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
Nein, Anonymität passt gut in das Konzept, keine eigenen Texte zu schreiben. Herr Goldsmith ist in diesem Punkt wohl schlichtweg eitel.
oK0 (37) meinte dazu am 22.07.15:
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 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
Weiß der Teufel, warum ihr Heteros immer den Vater, den Autor, den Künstler oder den Guru spielen müsst, statt einfach abzuspritzen und in der Anonymität zu verschwinden.
Graeculus (69) meinte dazu am 22.07.15:
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oK0 (37) meinte dazu am 22.07.15:
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Graeculus (69) meinte dazu am 22.07.15:
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oK0 (37) meinte dazu am 22.07.15:
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 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
Trink nicht so viel.

Natürlich war Graeculus der Vater und G. der Künstler oder was auch immer gemeint. Wie denn aus sonst?

Im Übrigen toleriere ich sogar niemand.
oK0 (37) meinte dazu am 22.07.15:
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 Judas (22.07.15)
want some cheese to the w(h)ine?

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
Miau!

 idioma meinte dazu am 22.07.15:
Hallo to-tec-head
es sei hiermit nochmals dran erinnert,
dass dein als hyperneu propagiertes Prinzip Collage
einen ca 100 Jahre langen Bart hat
und somit den G-Bart übertrifft :
es schüttelt sich beim Sehn wie beim Lesen
vor Überdruss und Ekel
id igitt igitt

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
Viel Spaß beim Kotzen.

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
Zum Glück hast du ja keinen Bart.

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
Sonst könnt´s (sic) unappetitlich werden.

 Judas meinte dazu am 23.07.15:
meow.

@idioma warum nicht als eigenständigen Kommentar? Passt doch gar nicht zu meinem D:

 idioma meinte dazu am 23.07.15:
>>>
Sorry Judas !
Der von too-tec-h gewünschte Spaß
war keiner
und ging - von Natur aus unkontrollierbar -
in jeder Hinsicht daneben
- zugegeben
- zu spät,
fand keine Möglichkeit mehr, die Sauerei wegzuputzen

 loslosch (22.07.15)
ich hab nur den strang und die überschrift goutiert. wer

in´s = ins

setzt, lebte zu lange in den staaten oder ihm fehlt einfach das werkzeug zum schreiben.

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
lo, der mann mit werkzeug, meint bestimmt auch, es hieße "zettels traum".

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
dann schreib mal träumend weiter :)

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
werkzeuge aber bitte dabei immer schön sauber halten.

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
damit das geschriebene dann auch für die gute stube taugt.

 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
und was sagt seneca zum "´"?
MarieT (58) meinte dazu am 22.07.15:
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 toltec-head meinte dazu am 22.07.15:
Marie, lo wird den Namen Kenneth Goldsmith so wie du heute zum ersten Mal gelesen haben. Er kennt sich knapp mit Apostrophen aus, aber mit Literatur?
MarieT (58) meinte dazu am 22.07.15:
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 loslosch meinte dazu am 22.07.15:
arno schmidts eigenwillige schreibweise: "Zettel's Traum". und schon heben die pinscher das bein.

 toltec-head meinte dazu am 23.07.15:
Franz Joseph Strauss kann´er zitieren, auch ohne es vorher zu googlen.

 loslosch meinte dazu am 23.07.15:
... zu googeln. (nicht: googlen.)

das kunstwort ist längst eingedeutscht. hab ich vor 2 jahren im kv gelernt. kannst du auch im duden nachlesen. oder mindert das die kreativität des dichters?

franz josef strauß.
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