Wenn du mir heute begegnest neigst du kurz den Kopf. Meist fährst du gerade Rad oder eilst irgendwohin, dein langes Haar das nun glatt ist, weht dann hinter dir her.
Ich musste schon lange nicht mehr daran denken, wie du warst als du mir noch zur Hüfte reichtest und dein Haar lockig war. Heute sitze ich auf der Holzbank an der Rückseite des Kiosks und vor mir auf dem Kies liegt ein blaues Spielzeugauto. Es muss wohl jemand liegen gelassen haben.
Vielleicht hätte ich es lassen sollen, mit dir zu schimpfen, wenn du Blumen am Strassenrand pflücktest und ich hätte dir manchmal zulächeln sollen. Dann wäre ich für dich nicht die griesgrämige Alte geworden, die allein in der zu grossen Wohnung über dir wohnt. Möglicherweise würdest du nun anhalten oder stehen bleiben, mich begrüssen und mit mir über das Wetter sprechen oder über mein Kreuz, das immer mehr schmerzt.
Ich weiss, dass es ein Dodge Vipers ist, obwohl ich nie ein Auto besessen und keine Ahnung von ihnen habe. Viele Jahre ist es her, doch ich sehe dich vor mir, du auf dem Betonboden kniend und vor dir deine ganze Sammlung der Miniaturausgaben aufgereiht, fein säuberlich in einer Reihe. Du gingst nicht auf meine Stimme ein, die böser klang als ich wollte und sagte:" Es spielen doch nur Jungs mit Autos und keine Mädchen.“ Stattdessen erklärtest du mir jedes Detail über deinen ganzen Stolz. Der Dodge Vipers mit den weissen Strichen, wie eine Kriegsbemalung über das ganze Auto gezogen, war dein Lieblingsstück.
Ich stütze mich mit beiden Händen an der Wand und stehe von der Bank auf. Auf dem Weg in das Wohnhaus, höre ich dich scheppernd das Treppenhaus hinab rennen. Immer in Eile, die Zigarette im Mundwinkel bereit um angezündet zu werden. Ich lächle und sage: „Hallo Lisa“. Du nickst mir im Vorbeigehen zu. Dann schwingst du dich aufs Rad und fährst davon. Dein Haar flattert im Wind.
