das Bett

Erzählung zum Thema Tod

von  Sekundärstille

Dass an diesem Morgen alles anders war, bemerkte Herr Peppel, als er die Augen aufschlug.

Über ihm sollte die Zimmerdecke, in das warme Licht der Morgensonne getaucht, eine zartrosa Leinwand bilden. Doch das tat sie nicht, denn Peppel blickte in den offenen Himmel.

Ungläubig starrte er nach oben, blinzelte, starrte weiter.

Im ungläubigen Starren bemerkte er einen schwachen Luftzug, der seinen bunt karierten Schlafanzug aufbäumte und Peppel fror.

Die Kälte spürend und sich nun in voller Gänze bewusst werdend, dass das, was sich unter seinem Rücken befand, kein gefederter Doppelkern, sondern blanke, kratzige Graswiese war, schrak er hoch.

Panisch blickte sich Peppel um.

Wo gestern noch sein Schlafzimmer war, befand sich nun eine weite Landschaft, bis zum Horizont mit sattgrünem Gras überzogen.

Abgesehen von dem Wind fühlte sich die Temperatur angenehm an, ja fast so, als wäre Peppels Schlafanzug genau das richtige Kleidungsstück für diese Situation.

Nach wie vor von einer fast lähmenden Ungläubigkeit befallen, tastete er nach der Brusttasche und fühlte mit plötzlicher Erleichterung das kantige Zigarettenpäckchen, das da quasi seinen Stammplatz hatte.

Mit fahrigen Bewegungen entnahm Peppel eine der Zigaretten und entfachte sie an einem Streichholz, das erst nach mehreren Versuchen brennen wollte.

Langsam, während der tiefen ersten Züge, wurde ihm die Lage bewusst: gestern Abend war er gegen zehn ins heimische Bett gegangen und nun, ganz plötzlich, in völliger Fremde.

Peppel hustete.

Und nun, wie er so da stand, in Mitten dieser Wiese, die sattgrün war, beschienen von einer warmen Sonne, rauchend und vor sich hin überlegend, trat Gott zu ihm.

„Hast Du eine für mich?“fragte er Peppel.

„Sicher“brachte Peppel eilig hervor, mit belegter Stimme, da das erste Wort des Tages.

Er kramte eine weitere Zigarette aus dem Päckchen, das er nach wie vor fest umklammert hielt, und reichte sie seinem Gegenüber.

Peppel hatte bei dem Anblick Gottes bereits eine vage Vermutung, wo er sich befinden könnte, fragte jedoch zur Sicherheit noch einmal: „wo bin ich?“

Gott machte ein paar Züge, dann schnippte er die Zigarette ins Gras und blickte Peppel an: „Du bist im Paradies.“

Einen Moment herrschte schweigen, nur ein Vogelschrei aus der Ferne hallte zu ihnen herüber.

„Nein, das kann nicht sein“stellte Peppel dann nüchtern fest.

„Wie bitte?“fragte Gott erstaunt und konnte seine Verärgerung über Peppels Renitenz schwer verbergen.

„Das kann nicht sein“wiederholte Peppel.

„Und wieso?“Gott wusste nicht recht, wie er mit dieser ungewohnten Reaktion umgehen sollte.

„Nun, ich stelle mir das Paradies als den angenehmsten Ort vor, an dem sich ein Mensch befinden kann.“

„Und, was, wenn nicht diese wunderschöne, sonnige, immergrüne Landschaft, ist für Dich der angenehmste Ort?“fragte Gott ungläubig.

„Na, mein Bett“sagte Peppel.

„Dein Bett? Dein Bett ist angenehmer als dies hier, diese unberührte Landschaft, in der Du frei von Sorgen, wohlgehütet und stets bei bester Gesundheit für immer sein könntest?“

„Natürlich. Es ist der angenehmste Ort, den ich mir vorstellen kann.“

Gott erschrak und sagte sich sogleich: wenn Peppel behauptet, sein Bett sei angenehmer als das Paradies, müsse er sich wohl selbst ein Bild davon machen.

Er schnippte mit den Fingern und im selben Augenblick standen sie in Peppels Schlafzimmer.

Vom Rauch vergilbte Tapeten, ein abgetretener Teppich, in der Mitte das Doppelbett.

Gott schritt mehrmals um das Bett herum, dann setzte er sich vorsichtig auf die Matratze und wippte prüfend. „Es scheint eine gute Federung zu haben“stellte er fest.

„Doppelkern“merkte Peppel an.

Gott legte sich umständlich auf das Bett, zog sich die Decke bis zum Hals und schloss die Augen. Er hatte eigentlich vor, diesen Peppel vom Gegenteil zu überzeugen, doch plötzlich bemerkte er, wie warm und bequem das Bett doch war.

Eine Müdigkeit überkam ihn und weil es so angenehm war, schlief Gott ein.

Peppel schloss leise die Vorhänge und die Türe des Schlafzimmers, dann ging er hinüber in die kleine Küche und bereitete sich das Mittagessen zu.

Bei sich dachte er, dass ihn wohl jeder für verrückt hielt, wenn er erzählen würde, dass selbst Gott schnarcht.

Als er bereits den Abwasch erledigt hatte und mit einer Zigarette vor dem Fernseher saß, trat Gott wieder zu ihm.

Er streckte sich und gähnte hinter vorgehaltener Hand, dann zupfte er sein Gewand zurecht und sprach zu Peppel:

„Ich habe seit langem nicht mehr so gut geschlafen. Du hast recht. Im Paradies kann ich Dir nichts angenehmeres, wohligeres und entspannenderes bieten als ein solches Bett. Deshalb werde ich Dich hier auf Erden weiter wandeln lassen. Erst, wenn ich der Meinung bin, ein noch perfekteres Ruhekissen gefunden zu haben, hole ich Dich wieder nach oben.“

Peppel bedankte sich und geleitete Gott zur Türe.

Als Gott verschwunden war, zündete sich Peppel eine neue Zigarette an, zog genüsslich und sagte leise: „habe ich ihm doch wieder ein Schnippchen geschlagen.“


Anmerkung von Sekundärstille:

Dieser Text wurde im Wettbewerb der Zeitschrift "Buchjournal" unter die Top-20 von über 600 Einsendungen gewählt.

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Kommentare zu diesem Text


 Untergänger (21.10.15)
Finde Du fällst an der Stelle
"Mit fahrigen Bewegungen entnahm Peppel eine der Zigaretten und entfachte sie an einem Streichholz, das erst nach mehreren Versuchen brennen wollte." mit der Personifiaktion der Zigarette etwas aus Deinem Erzählstil.
Interessant ist, dass man (oder zumindest ich) in dem Moment, wo Du von der Wiese sprichst, schon auf Gott wartet. Die Wendung diesen Gott ins Bett von Herrn Peppel zu legen kommt dann gut und überraschend.

Ich finde allerdings, dass Dein Ende nicht ganz stimmig ist:"Als Gott verschwunden war, zündete sich Peppel eine neue Zigarette an, zog genüsslich und sagte leise: „habe ich ihm doch wieder ein Schnippchen geschlagen.“" Würde hier eher sowas schreiben wie:
"Peppel bedankte sich und geleitete Gott zur Türe, zündete sich eine neue Zigarette an und zog genüsslich.“

insgesamt gefällt mir der Text.

mömmel,
Alfons

 Sekundärstille meinte dazu am 08.11.15:
Danke für Dein Kommentar!
Mit dem Ende, da hast Du tatsächlich recht! Ich werde nochmal drüberschauen.
Liebe Grüße, Jan

 Vessel (02.12.15)
Ein spaßiger und kurzweiliger Text, dessen Protagonisten leider unangenehem an Klischees erinnern. Die blumigen Beschreibungen passen nicht recht zu deinem sehr einfachen Herrn Peppl.
"...und nun,ganz plötzlich, in völliger Fremde [aufgewacht]"
" ...entfachte sie an einem ..." Entzündete!

Herzlichen Glückwunsch zu der Auswahl aus 600 Einsendungen, das ist wirklich nicht schlecht :)
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