Zitatzeichen als Ratgeber

Satire zum Thema Erkenntnis

von  EkkehartMittelberg

Erinnern Sie sich noch an Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg und an Annette Schawan? Wir Zitatzeichen haben ihnen nicht so sehr gefallen. Deshalb sind sie über uns gefallen.

Richtig, Sie bemerken es sofort, kluger Leser. Wir sind nicht nur wichtig, sondern auch gefährlich, wenn man uns vergisst, denn wir schützen einen der höchsten Werte des Bildungsbürgertums, sein geistiges Eigentum.Wir korrigieren uns sofort. Wir bewahren auch das geistige Eigentum der Linken und der Rechten, der Anarchisten und des Verfassungsschutzes. Darin sind sich nämlich alle Geistwesen einig, auch die, die sonst schon einmal über einen Mundraub hinwegsehen: Wenn diese mal gedacht und ihre Anstrengung veröffentlicht haben und Sie bewundern sie dafür und teilen deren Worte anderen Geistwesen mit, weil Sie den Denkern diese Ehre gönnen, vergessen aber in der Eile uns, die Zitatzeichen, dann kann es sein, dass Sie zitiert werden, und zwar vor den Kadi. Da nützt Ihnen dann der Verweis auf die allgemeinmenschliche Vergesslichkeit gar nichts und Sie werden erbarmungslos in den Medien vorgeführt, Sie, die Diebe geistigen Eigentums.

Sie denken jetzt, dass es doch gar nicht so gefährlich sein kann, uns mal zu missachten, weil der Volksmund uns doch euphemistisch verharmlosend als ’Gänsefüßchen’ bezeichnet. Dabei sollten Sie in Betracht ziehen, dass Gänse einen viel schärferen Blick nach links und rechts haben als Sie, der homo sapiens, und sofort bemerken, wenn wir fehlen. Nein, überlassen Sie uns nicht den Gänsen und zitieren Sie immer brav, wenn Sie was gelesen haben, das nicht auf Ihrem Mist gewachsen ist.

Wir wissen genau, dass Sie jetzt schon wieder aufbegehren. Sie wollen sich nämlich dafür entscheiden, gar nichts zu lesen und bei Ihrer nächsten Veröffentlichung alles aus aus dem jungfräulich originellen Fundus Ihrer Einbildungskraft schöpfen. Machen Sie das getrost. Sie können den größten Nonsens ohne Zitatzeichen schreiben, nur den Einflüsterungen Ihrer Muse folgend, die als Göttin keinem Zitierzwang unterliegt, aber Sie laufen Gefahr, dass Ihnen das Unzitierte jeder als eigenständige Leistung abnimmt, ohne nach fremden Federn zu suchen, auf die Sie als Originalgenie ja verzichten.

Besser ist es, Sie lassen sich von uns davon überzeugen, welchen Spaß es macht, die ganze Sekundärliteratur lückenlos zu lesen und danach mit redlichen Zitaten Ihre Persönlichkeit als Wissenschaftler aufzuwerten.

Sie sollten sich nämlich vor Augen führen, wie gewichtig und weltläufig Ihre Arbeit mit einem sogenannten Textkritischen Apparat aussieht, in dem Sie Ihre Zitate von 1-9999 schön auf alle Seiten Ihres Exponats verteilen, mit den vielfältigen Titeln, Erscheinungsorten, Jahren und Verlagen
Ihrer Quellen.

Und wenn Sie dann erst einmal auf den Geschmack des gelehrten Zitierens gekommen sind, dann machen Sie Eindruck, indem Sie Zitate suchen, in denen andere Zitate eingebaut sind, und jeder staunt, wie Sie allein mit der Technik der doppelten Anführungszeichen für das umarmende und der einfachen Anführungszeichen für das umarmte Zitat zurecht kommen.

Vielleicht sind Sie von unseren guten Ratschlägen immer noch nicht ganz überzeugt und es fällt Ihnen Annette Schawan wieder ein, die, Zitatzeichen hin und Zitatzeichen her, deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl geworden ist. Dann erforschen Sie gründlich Ihr Gewissen,
ob Sie schon genug zitiert haben, dass man Sie einer solchen Verantwortung für würdig halten könnte.

© Ekkehart Mittelberg, Oktober 2015

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (18.10.15)
Ganz recht. Zitieren macht klug. Aber keine Sorge, liebes Zitatzeichen: Das bleibt Geheimwissen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.10.15:
Danke, Trekan. Ob die wohl klug werden, die das Zitieren vergessen haben? Mir scheint, es bleibt ihnen immer noch unzugängliches Geheimwissen.

 Jorge (18.10.15)
Man sollte sie schon ernst nehmen die kleinen "Gänsefüßchen", wenn nicht, dann siehe oben ...
Eine treffliche Satire.
Wer geistiges Eigentum klaut, ist auch bereit, für andere Straftaten.

Sonntagsgrüße
Jorge
chichi† (80) antwortete darauf am 18.10.15:
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 18.10.15:
@Jorge und chichi: Ich danke euch für das Lob.
Ob Diebe geistigen Eigentums auch für andere Straftaten konditioniert sind, kann ich nicht beurteilen.

Liebe Grüße
Ekki
Sätzer (77)
(18.10.15)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 18.10.15:
Merci, Uwe. Warten wir es mal ab. Was immer noch passiert, ich habe mir bei diesem Thema abgewöhnt, mich zu wundern.

LG
Ekki

 monalisa (18.10.15)
Ganz schön wortgewandt, deine Gänsefüßchen, lieber Ekki. Wen wunderts, bekommen sie doch die Worte von dir eingeflüstert .
Es gelingt dir ein ernstes Thema wunderbar leicht aufzubereiten und mit Sprachspielen zum Lächeln anzuregen, wie etwa hier
"[...] dann kann es sein, dass Sie zitiert werden, und zwar vor den Kadi." (Mittelberg, 2015) Du wirst zwar hier auch zitiert, aber bestimmt nicht vor den Kadi, höchstens vor einen Preisrichter zur Bewertung gelungener Satiren.

In der deinen sprichst du sowohl die schwarzen Schafe an, die sich leichfertig am geistigen Eigentum anderer bedienen, als auch die komplexen bis unüberschaubaren Zitierregeln, die dieser Hang zum Klau nach sich zieht, und nicht nur das Verfassen sondern auch das Lesen erheblich "verumständlichen".

Liebe Grüße
mona
(Kommentar korrigiert am 18.10.2015)

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 18.10.15:
Grazie, Mona, ich freue mich sehr, dass dir die Satire gefällt.
Ein Wort zu den Zitierregeln: Sie mögen umständlich anmuten, zum Beispiel, dass Zitate im Zitat extra ausgewiesen werden müssen. Aber wenn es nicht so genau geregelt wäre, gäbe es Missverständnisse en masse, ein heilloses Durcheinander.

Liebe Grüße
Ekki

 monalisa meinte dazu am 20.10.15:
Da habe ich dich wohl ein wenig 'überinterpretiert', lieber Ekki, und meine eigenen Erfahrungen einfließen lassen. Ich hatte, als meine Tochter dieses Frühjahr im Rahmen ihrer Matura eine sogenannte 'Vorwissenschaftliche Arbeit' (VWA) zu erbringen hatte, denn Eindruck, dass den Zitierregeln schon mehr Gewicht beigemessen werden als der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit, man rasch an Grenzen stößt, wenn man etwa bei nicht digitalisiertem Filmmaterial, die genaue Sekunde angeben soll etc. Hat man zu meiner Zeit darauf vielleicht etwas zu wenig geachtet, so scheint das Pendel nun (aus gutem Grund) in die Gegenrichtung auszuschlagen

Liebe Grüße
mona

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 20.10.15:
ja, Mona, man kann alles übertreiben und dein Sekunden-Beispiel dafür ist treffend.

 loslosch (18.10.15)
ursula vonderlein ist heilfroh, hier keine erwähnung zu finden.

"Gerhard Dannemann, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, geht von einem „eher mittelschweren“ Fall aus. Andererseits sei gerade bei der medizinischen Arbeit Leyens besonders gefährlich, dass sie 23 Fehlverweise enthalte, bei denen die angegebenen Quellen die zitierten Inhalt gar nicht belegen würden, erklärte Dannemann[11][12] und führte weiter aus: „Die Häufigkeit und leichte Vermeidbarkeit der Fehler spricht für grobes Schlampen“. oder geschah's zur tarnung?

merke: grobes Schlampen, nicht: grobe Schlampen.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.10.15:
Danke, Lothar, ich möchte mich hier mit einer Bewertung zurückhalten (du bewertest ja auch nicht, indem du zitierst), bis der Abschlussbericht vorliegt.
(Antwort korrigiert am 18.10.2015)

 Bergmann (18.10.15)
Ein berühmter Fall, wo das Nicht-Markieren eines Zitats bzw. einer Aussage aus anderer Perspektive in ein Fiasko führte: Philipp Jenninger, Bundestagspräsident - seine Rede zum Gedenken an die Opfer des Nationalismus war so missverständlich, dass er als Parlamentspräsident zurücktreten musste.

 loslosch meinte dazu am 18.10.15:
er war kein nazi, sondern ein einfaltspinsel. anschließend schaute philipp stumm auf dem ganzen tisch herum.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.10.15:
Danke, Uli, wie schnelllebig ist doch unsere Zeit. Es ist vielleicht eine Gnade für alle, die massive Fehler machen, dass morgen schon wieder eine andere Wuzz durchs Dorf getrieben wird. Ich hatte Philipp Jenninger schon ganz vergessen.
Graeculus (69)
(18.10.15)
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 loslosch meinte dazu am 18.10.15:
ich trau mir zu, eine germanistische doktorarbeit so umzufrisieren, dass die suchprogramme scheitern.

übrigens: seit heute besteht google auf der anerkennung seiner werbe-spielregeln. seit heute gehe ich über yahoo.
Graeculus (69) meinte dazu am 18.10.15:
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 loslosch meinte dazu am 18.10.15:
danke!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.10.15:
Danke, Graeculus, ja, auch bei der nichtwörtlichen Wiedergabe der Gedanken eines anderen ist die Quelle anzugeben. Für die Leser, die sich damit nicht so auskennen. Die Quellenangabe ist nicht anders als bei einem wörtlichen Zitat. Sie wird aber mit Vgl. (Vergleiche) eingeleitet.
Danke auch für den Hinweis auf MetaGer.
wa Bash (47)
(18.10.15)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.10.15:
Danke, wa Bash. Ich stimme zu. Ihre Ernennung zur Verteidigungsministerin ist aber wohl ihrer politischen Qualifikation geschuldet.
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