Dozieren auf Abwegen

Satire zum Thema Lernen

von  loslosch

Cum docemus, discimus (Cicero, 106 v. Chr. bis 43 v. Chr.; De officiis). Indem wir lehren, lernen wir. Ähnlich auch Seneca 100 Jahre später (docendo discimus) und die Schar der Epigonen.

Ein nachvollziehbarer Gedanke. Wer hat nicht beim Erläutern eines Sachverhalts die Einzelheiten neu sortiert und besser verstanden? Trifft die Sentenz stets zu? Nein. Betrachten wir ein Beispiel aus dem gymnasialen Deutschunterricht der 1990er Jahre. In der Klasse 11, damals die drittletzte vor dem Abitur, wurde Goethes zauberhaftes Liebesgedicht "Mailied" besprochen. Ein wissbegieriger 17-Jähriger gab einen Impuls: "Hier steht `Zweig/ Gesträuch`. Warum reimt sich das nicht?" Antwort: "Der Meister war souverän, durfte vom Schema abweichen." Petron (1. Jh. n. Chr.; Satyricon) wendet verstohlen ein: Plus docet, quam scit. Hier lehrt einer mehr, als er selbst weiß.

Szenenwechsel, Klasse 7 (Unterstufe). Ein anderer Pädagoge versuchte, den 13-Jährigen am Beispiel von ebendiesem "Mailied" die Schönheit von Sprache und Dichtkunst zu vermitteln: "Schaut euch die Reime des jungen Goethe an. An einer Stelle stimmt etwas nicht. Zweig/ Gesträuch, das reimt sich nicht. Jetzt muss ich euch was erklären. Goethe kommt aus Frankfurt. Dort spricht man Hessisch, und das klingt nach Zwaich/ Gestraich. Als er das niederschrieb, lebte er in Straßburg. Im Elsässer Dialekt spricht man Zweych/ Gestreych. Sucht es euch aus."

Der Oberstufen-Deutschlehrer mag denken: Cum docemus, discimus. Indem wir lehren, lernen wir. Doch wird er stur der Spur des Holzwegs folgen.


Anmerkung von loslosch:

Satiren, die das Leben schreibt.

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Kommentare zu diesem Text

janna (66)
(22.10.15)
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 loslosch meinte dazu am 22.10.15:
DvL war ein wegbereiter der moderne, lese ich bei wiki. die benennung einer schule nach ihm wurde, u.a. mit dem argument, er sei ein frauenfeind gewesen, verhindert. er war dreimal verheiratet! ob joschka fischer und schröder frauenfeinde sind?

zur satire: meine söhne sind 4 jahre auseinander. es trug sich alles anno 1997 zu. studiendirektor mertens gab in der 7. klasse unterricht, studiendraht fulde in der 11. klasse. fulde wurde anschließend versetzt. wenn einer denkt "strafversetzt", so irrt sich der!
JamesBlond (63) antwortete darauf am 22.10.15:
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 loslosch schrieb daraufhin am 22.10.15:
den ausspruch kannte ich nicht, gestehe ich zu meiner schande. er soll auf thomas morus zurückgehen. variante im netz:

Schön ist aber auch die Version von Tatort-Prof. Boerne:
"Tradition ist nicht das Aufbewahren der Asche, sondern die Weitergabe der Streichhölzer."
JamesBlond (63) äußerte darauf am 22.10.15:
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Graeculus (69) ergänzte dazu am 22.10.15:
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 loslosch meinte dazu am 22.10.15:
wenn ich nur an meine schulzeit zurückdenke: wir hatten (zu wenige) talentierte, hochmotivierte lehrer, einige wenige oberfaulpelze und einen genialen notenbetrüger. bei der örtlichen prominenz übersah er ständig auffällig viele fehler.
Graeculus (69)
(22.10.15)
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 loslosch meinte dazu am 22.10.15:
gut, dass du das so herausstellst.

die charakterlichen veränderungen sind bei einer starken minderheit wohl gegeben. starke charaktere können widerstehen. und es gelingt den meisten.

 EkkehartMittelberg (22.10.15)
Ich höre die Kritik an Lehrern mit gemischten Gefühlen, seitdem ich bemerkt habe, dass so viele Lehrer in sie einstimmen.^^

 loslosch meinte dazu am 22.10.15:
nur die befähigten und ehemals befähigten!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 22.10.15:
Ich übersehe das Humorzeichen nicht.

 TrekanBelluvitsh (22.10.15)
"Zwaich/ Gestraich"
oder
"Zweych/ Gestreych"?

So wie der Franke, der nach Bordeaux, Frankreich will, dank seines Heimtdialekts und dessen Unbekanntheit bei der Reisebürofachkraft in Porto, Portugal, landet (Fränkisch beides: Bordo). Da ist mir der Lehrer, der beim lehren lernt schon lieber, auch weil ich in Mathematik das Gegenteil davon hatte.

 loslosch meinte dazu am 22.10.15:
schon übel, wenn der mathelehrer sein wissen runterbetet.

hans sachs mit seinen fastnachtsgeschichten kommt aus der gegend: "Der fahrend Schüler im Paradeis."

der franke folgt einer dame auf dem fuß und schnalzt: schee is sie. oder er mault: scheeißi ...

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 24.10.15:
"schee is sie" oder "scheeißi"

So hält man sich die Optionen offen.
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