Die ehrliche Grabrede

Anekdote zum Thema Lüge(n)

von  loslosch

Nam mentiri nefas habebatur (Cicero, 106 v. Chr. bis 43 v. Chr.; De legibus). Denn Lügen galt als unerlaubt.

Ach, waren das noch Zeiten. So dachte schon Cicero, als er auf die alten Athenischen Tugenden bei der Grabrede zurückblickte.

Heute gibt es sie wieder. Nicht nur der konfessionell ausgewiesene Bestatter befragt sich bei den engsten Hinterbliebenen, macht sich (manchmal) Notizen. Die trauernden Angehörigen werden ihm das Richtige sagen. Heraus kommt nicht immer das Freundliche, Wohlwollende für die Leichenrede. Zumal dann, wenn die trauernde Witwe im Fall, von dem zu berichten ist, rechtschaffen sauer auf ihren verblichenen Gemahl war. Der gebürtige Westfale hatte sich geweigert, in das nahe gelegene Altenheim zu entrücken. Kurzerhand hatte sie ihn, den echten Pflegefall, Richtung eigener Rundum-Versorgung mit Pflegestufe Null (gibt´s die überhaupt? Ja, die gibt es!) verlassen. Und nun war er indiskreterweise eines Morgens in seiner Wohnung vor dem Ruhelager, am Boden liegend, tot aufgefunden worden.

In der Grabrede fand sich - getreu der Athener Sitte - der Satz: "Er war ein liebenswerter und sturer Westfälischer Dickschädel." So viel Ehrlichkeit durfte sein.


Anmerkung von loslosch:

Dem Leben abgelauscht.

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (15.11.15)
Ich denke trotzdem, das kaum so viel gelogen wird, wie auf einer Beerdigung, oder -noch schlimmer - in den Totenanzeigen. Oder hast du schon einmal  "836 Jahre wird Herr Kunibert, Schöffe beim Jüngsten Gericht, alle freuen sich, dass er schon so lange tot ist, einen Musikwunsch hat er nicht"[/i] gelesen?
(Kommentar korrigiert am 15.11.2015)
Sätzer (77) meinte dazu am 15.11.15:
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 loslosch antwortete darauf am 15.11.15:
nix mit "trotzdem". es war ein bisschen wahrheit in einer lüge verpackt. dickschädel stimmt, liebenswert war aufgesetzt.

mal unter uns: die dame erschien im rollstuhl zur beerdigung. acht wochen später hüpfte sie wieder munter durchs altersheim!

 TassoTuwas (15.11.15)
Und dann gibt es ja noch das Kaffeetrinken nach der Beerdigung, wo es nach ein paar Schnäpsen immer munterer wird und die ganze Wahrheit auf den Tisch kommt.
LG TT

 niemand schrieb daraufhin am 15.11.15:
Ja und die dicksten und protzigsten Kränze kommen immer von denen, die da zu Lebzeiten keinerlei wirkliches Interesse am
Verblichenen hatten. Schlechtes Gewissen in Grün, oder man will ja mal zeigen wie "Spendabel" geht, wo man doch zu Lebzeiten noch nicht mal eine kleine Unterstützung aus der Börse hat
springen lassen. Sein & Schein mach sich an solchen Orten besonders bemerkbar. LG Irene

 loslosch äußerte darauf am 15.11.15:
bismarck kannte nur die halbe wahrheit: "Es wird niemals so viel gelogen wie vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd." - er vergaß hochzeit und beerdigung.

 Dieter Wal ergänzte dazu am 15.11.15:
"er vergaß hochzeit und beerdigung." Eher nicht. Er könnte aber verstanden haben, wozu beide Feiern dienen.

 loslosch meinte dazu am 15.11.15:
vermassel mir nicht den gag!

 Dieter Wal (15.11.15)
Nachrufe dienen nicht dazu, dem Verstorbenem "eine reinzuwürgen", sondern ein Leben an sich zu würdigen. Wer führte schon durchgängig ein würdevolles Leben? Oder bei Verbrechern bis zuletzt? Wer da als Redner Noten verteilt und Wertungen abgibt, ist fehl am Platz. Durchaus sollten aber unangenehme Tatsachen von Bedeutung so angesprochen werden, dass jeder, der sie kennt, versteht, was gemeint ist, aber sonst keiner. Familientabus dürfen Tabus bleiben. Die bearbeiten eventuell Psychotherapeuten, nicht Trauerredner. Während Trauerreden wird viel zwischen den Zeilen gelesen. Es kommt auf Nuancen an. Manche meinen, da wird gelogen, weil sie nie über die Funktion eines Nachrufes nachdachten: Seelsorge am Grab in einer Abschiedsfeier, die den Trauernden einen möglichst würdevollen und feierlichen Eindruck dieser Abschiednahme vermittelt. Was sich Angehörige beim "Leichenschmaus" über den Verstorbenen erzählen, ist als Vierohrengespräch eine ganz andere kommunikative Situation, die andere Ansprachen ermöglicht. Selbstverständlich klingt eine ein Menschenleben würdigende Trauerrede positiv. Sie soll und muss das spezifisch Positive eines bestimmten Menschenlebens ausdrücklich hervorheben. Die Krater und Brüche des Verstorbenen sind in Nachrufen idealerweise spürbar, werden aber nicht betont.

@ loslosch: Wovon handelt "De legibus"?

 HerrSonnenschein meinte dazu am 15.11.15:
@Dieter Wal
Das hast du sehr gut formuliert. Ich schließe mich dir an.

 loslosch meinte dazu am 15.11.15:
gelernt ist gelernt.

ich stimme alldem zu. in meinem text gehts um die "trauernde" witwe, die ins altenheim gegangen war, wohl wissend, dass der sture westfale trotz versorgung zuhause mit dem nötigsten nicht lange überleben würde. ob die ev. theologin im gespräch mit der sog. witwe gemerkt hat, dass die sache nicht kocher ist? selbst wenn, sie konnte nicht anders, als die feine lüge in die leichenrede zu transferieren.

zur frage:  hier.
(Antwort korrigiert am 15.11.2015)
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