Das Lebkuchenmännchen und die Eule

Märchen zum Thema Fantasie(n)

von  tastifix

Krümelchen, das Lebkuchemännchen, lag mit vielen anderen Plätzchen zusammen in einer hübschen Schale auf dem Tisch im Kinderzimmer. Die kleine Toni, die all die Plätzchen  selber gebacken und mit Begeisterung liebevoll mit Smarties, Schokoladenstreuseln und anderen Süßigkeiten verziert hatte, hatte zur Belohnung von ihrer Mama die Erlaubnis bekommen, sie in ihr Kinderzimmer zu stellen.

Einige trugen sogar ein Gewand aus Perlen und schauten aus wie kleine Prinzen und Prinzessinnen. Eigentlich fehlte ihnen nur noch das passende Plätzchenschloß, aber das war Toni denn doch noch zu schwierig gewesen. Dem Lebkuchenmann dagegen hatte sie außer zwei grünen Perlchenaugen, einer gelben Nase und einem roten Mund sogar noch einen Mantel mit vier bunten Smartie - Knöpfen gebacken. Krümelchen betrachtete ihn stolz. Am besten gefiel ihm der dritte Knopf. Der war nämlich dunkelblau und es schwärmte für Blau.

An diesem Tag passierte so gar nichts Spannendes, es langweilte sich sehr, wurde allmählich müde und schlief ein. Träume sind oft lustig. Selbst Plätzchen werden dann manchmal lebendig und möchten nicht mehr nur blöd herum liegen, sondern etwas unternehmen. So auch Krümelchen. Es reckte und streckte sich, strampelte mit den Armen und Beinen und gleich fiel ihm etwas Tolles ein:
„Toni hat erzählt, wie schön es draußen ist. Ich will auch raus!“

Fix zog es den Mantel über, kletterte aus der Schale, vom Tisch herunter, lief aus dem Zimmer, danach aus dem Haus und fand sich im Garten wieder. Vom blauen Himmel strahlte die Sonne. Mit großen Augen sah es auf die kunterbunte, lustig anzusehende Wiese. Auf der wuchsen zwischen Apfelbäumen kleine und große Blumen in Rosa, Pink, Gelb, Orange, Rot, Weiß und auch Blau. Klar, dass vor allem die blauen Blümchen Krümelchen besonders gut gefielen. Sie hatten winzige, niedliche Blüten. Es beugte sich zu einer von ihnen und streichelte sie vorsichtig. Dankbar streckte ihm die winzige Pflanze das Köpfchen entgegen.

Darüber freute sich das Lebkuchenmännchen so sehr, dass es laut lachte und übermütig kreuz und quer durch das Gras bis hin zum Gartenzaun hüpfte. Vor dem Gartentor blieb es stehen. Ja, solch ein Tor war wichtig, denn sonst hätten Toni und ihre Eltern nie in die Stadt oder zu dem in der Nähe liegenden Wald spazieren gehen können.
„Und wie krieg ich das jetzt auf?“, seufzte Krümelchen.
Krümelchen war ja sehr klein und das Tor so hoch und die Türklinke recht weit oben angebracht. Doch gab es nicht auf, sondern stieg einfach am Zaun hoch. Oben angekommen, verschnaufte es einen Moment stöhnend, denn das Klettern war anstrengend gewesen. Puuh, geschafft!
„Nanu“, staunte es, „das Tor ist ja gar nicht zu! Ist ja nur angelehnt!!“

Erleichtert schob Krümelchen es ein wenig weiter auf. Munter stieg es wieder vom Zaun, lief durch das Tor und wanderte in den Wald. Dort bewunderte es die riesigen Bäume mit ihren grünen Laubdächern, die nun wie Sonnenschirme Schatten spendeten. Kurz darauf entdeckte es einen kleinen Teich. Dessen Wasser blitzte nämlich silbrig durch die niedrigen Büsche am Wegesrand. Auf ihm schwamm eine Entenfamilie: Mama Ente, Papa Ente und vier Babys. Es waren aber schon ziemlich gewachsene Babys, denn sie paddelten flink hin und her. Gewachsene Babys? Ja, so nannte Toni Babys, die eigentlich gar keine mehr waren. Angst, dass ihnen etwas Böses passieren könnte, mussten die Entenkinder nicht haben, denn ihre Eltern passten gut auf sie auf. Krümelchen schaute ihrem lustigen Treiben eine Weile zu und ging dann weiter. Bestimmt gab es noch mehr zu entdecken.

Es konnte sich gar nicht sattsehen an all den vielen Bäumen, an den blühenden Sträuchern, an den Farnen und auch an den winzigen Pilzen, die überall stolz ihre hübschen Schirme vorzeigten. Und oben im Laub der Bäume zwitscherten die Vögel fröhliche Lieder und Krümelchen hatte großen Spaß daran. 

Kurz danach beobachtete Krümelchen, dass sich am Wegesrand etwas bewegte. Ganz vorsichtig schlich es auf Zehenspitzen etwas näher heran. Es war ein Häschen. Niedlich sah es aus mit den großen braunen Kulleraugen, den langen Ohren, dem wuscheligen Fell und dem weißen Schwänzchen, das so leuchtend weiß war, dass man es bereits von weitem sehen konnte. Das Häschen hockte dort im Moos und mümmelte zufrieden vor sich hin.
„ Ob es wohl etwas Leckeres gefunden hat?“

Weil Krümelchen aber selber keinen Hunger hatte, dachte es darüber nicht länger nach, wanderte weiter und stand auf einmal vor einem zweiten Teich. Dieser war viel größer als der erste - ein richtiger kleiner See. Die Sonne schien und weil es nicht windig war, gab es keine Wellen. Das Wasser lag völlig ruhig ruhig, so dass man sich darin betrachten konnte wie in einem Spiegel. Neugierig schaute Krümelchen hinein, denn es wollte sich so gern nochmals in seinem hübschen Mantel bewundern. 

„Der ist so chic!“, dachte es gerade, als es plötzlich erschrak.
An der Stelle, an der eigentlich der tolle blaue Knopf hätte sitzen müssen, guckte ihm nur noch ein Loch entgegen. Ausgerechnet seinen Lieblingsknopf hatte es verloren! Entsetzt starrte Krümelchen auf das Loch. 
„Mein schöner Knopf!“
Traurig suchte es den Boden ab, aber dort war er nicht. Krümelchen fing an zu weinen.
„Ich will meinen Knopf wieder haben!“
Aber auch zwischen den herum liegenden Blättern fand es ihn nicht.
„Den krieg ich nie wieder!!“
Niedergeschlagen hockte es sich ins Gras und schluchzte dann laut und immer lauter, so dass es wahrscheinlich alle Tiere in der Nähe, die umstehenden Bäume und auch die winzigen Pilze rings um ihn her mitbekamen.

Es  wusste später nicht mehr zu erzählen, wie lange es dort vielleicht so gesessen hatte. Es erinnerte sich dann nur noch daran, dass ihm, obwohl es selber traurig gewesen war, auch Toni leid getan hatte ...

„Sie hat sich so viel Mühe gegeben! Ob sie weinen wird, weil der Knopf weg ist?“
Es machte Krümelchen nur noch trauriger und es hörte gar nicht mehr auf zu weinen. Was es nicht ahnte, war, dass Gripsi, eine Eule, die sein Jammern gehört hatte, nun besorgt heran flatterte. Als sie neben ihm auf dem Boden landete, erschrak Krümelchen sehr und bekam Angst, denn es hatte ja noch nie einen so großen Vogel gesehen:
„H..Hoffentlich frisst der keine Plätzchen!“

Die Eule merkte, wie sehr es sich fürchtete.
„Uhu! Hab keine Angst! Ich hab gerade eine Maus gefuttert und außerdem würde ich nie jemanden fressen, der meine Hilfe braucht!“
Sie schaute Krümelchen lieb an.
´Puuh, Glück gehabt!`-„Wie heißt du denn?“,wagte es zu fragen.
„Ich bin eine Eule und heiße Gripsi. Und du?“
„Ich bin Krümelchen, ein Lebkuchenplätzchen.“
Und dann erzählte er Gripsi alles überToni und wo sein Zuhause war, über den Mantel und vor allem über den schönen blauen Knopf, seinen Lieblingsknopf, den er jetzt verloren hatte.
„Ich hab schon nachgeguckt. Aber hier ist er nicht!“, schluckte Krümelchen.

„Hm“, machte Gripsi und kratzte sich mit der Kralle an der Stirn:“Hm! - Krümelchen, ich hab eine Idee!“
„W..Was denn?“, schniefte Krümelchen, doch bereits ein wenig leiser, weil es nun wusste, dass Gripsi ihm nichts Böses antun wollte.
„Wir suchen gemeinsam!!“
„Gripsi, ich kann aber nicht mehr laufen. Mir tun die Beine so weh vom vielen Wandern!“
Es klang so kläglich, dass die Eule tröstend die Flügel um Krümelchen legte und dabei mit einer Feder sanft seine Lebkuchenwange streichelte. Es tat ja so gut und Krümelchen jammerte nicht mehr.
„Und, was machen wir jetzt?“, fragte Krümelchen.
Gripsi lachte:
„Ganz einfach! Du bleibst hier sitzen, ruhst Dich aus und ich flieg rum und such weiter!“
„Danke, Gripsi!!“
Krümelchen lehnte sich erschöpft an einen Baumstamm und die Eule erhob sich in die Luft und segelte davon.

´Krümelchen hat gesagt, dass es über die Wiese gehüpft ist … Also muss ich da suchen!`
Sie lag ja nicht weit entfernt und so brauchte Gripsi nur wenige Flügelschläge und kreiste dann aufmerksam über der Wiese. Sie hatte ja sehr scharfe Augen, denen nichts so schnell entging. Sie suchte alles ab und wollte schon geknickt aufgeben, als ihr plötzlich tief unter ihr ein kleiner runder Flecken auffiel.
„Gibts ja gar nicht!“, jubelte sie. „Da ist er ja!!“
Wie ein Pfeil sauste sie nach unten, pickte den Knopf auf und flog eilig zurück zu Krümelchen, das vor Erschöpfung fest eingeschlummert war. Sanft stupste die Eule es an der Schulter an:
„Guck mal, was ich hier habe!!?“
Noch fast schlafend, rieb sich Krümelchen erst mal die Augen. Es brauchte eben etwas Zeit, bis es wieder richtig wach war. Es sah die Eule an, guckte auf ihren Schnabel und war plötzlich wieder ganz munter.
„Gripsi, wo hast du den denn gefunden!?“
„Na - wo wohl? Auf der Wiese. Ganz hinten ganz am Rand!“
Krümelchen sprang auf, nahm den Knopf in die Hände, drehte und wendete ihn und strahlte.
„Mein Knopf, mein Lieblingsknopf ist wieder da! Danke, Gripsi!“

Doch dann wurde es wieder ernst:
„Gripsi, wie kriege ich den jetzt wieder dran?“
Solch ein Knopf gehört eben an einen Mantel. Aber wie nur? Die Eule lächelte geheimnisvoll und was tat sie dann? Krümelchen schaute staunend zu, als Gripsi sich ein Stöckchen griff und vorne ein Loch hinein pickte. Dann pflückte sie einen schmalen Grashalm, steckte ihn durch das Loch des Stöckchens, das jetzt fast wie eine Nähnadel ausschaute und nähte den Knopf genau an der Stelle wieder an, an der er zuvor gewesen war. Um zu prüfen, ob der Knopf auch dran blieb, zog Krümelchen den Mantel an und knöpfte ihn zu.
„Er sitzt ganz fest!!“, freute es sich und Gripsi freute sich auch.

Nun wollte Krümelchen so schnell wie es ging wieder heim, denn es wurde bereits dunkel. Unsicher schaute es Gripsi an:
„Gripsi, ich muss heim! Und du wohnst ja im Wald ...“
Auf einmal musste Krümelchen ziemlich schlucken. Ja, es hatte Gripsi liebgewonnen und jetzt „Tschüss“ zu sagen, wurde ihm sehr schwer. Die Eule wollte aber nicht, dass das Lebkuchenmännchen wieder traurig war:
„Ich lass dich doch jetzt im Halbdunklen nicht allein! Du steigst auf, hältst dich an meinen Halsfedern fest und ich bringe dich nach hause!!“
„Wirklich? Ich darf mit dir fliegen??“ - ´Liebe Grispi!`, dachte Krümelchen.
Die Eule duckte sich ein wenig, damit das Krümelchen auf ihren Rücken klettern konnte. Im nächsten Moment schon waren sie hoch in der Luft. Krümelchen hatte alle Angst vergessen und guckte neugierig nach unten. Die Wiese schien so klein zu sein, die Bäume noch kleiner und noch winziger die Blumen. Von den Pilzen war von hier oben gar nichts mehr zu sehen.

Gripsi flog sehr fix. Nach nur wenigen Minuten landeten sie genau vor der Eingangstür des Hauses, in dem Toni und deshalb auch Krümelchen wohnten. Nun war es soweit. Sie mussten sich trennen. Diesmal war es Krümelchen, der Gripsi lieb in den Arm nahm. Wieder lächelte die Eule.
„Krümelchen, sieh mal - der Knopf!“
Verblüfft guckte dieses an sich hinunter. Was war denn das? Der blaue Knopf war nicht mehr blau, sondern leuchtete golden. Wunderschön sah das aus.
„Gripsi, hast du das gemacht?“
Statt darauf zu antworten, meinte sie:
„Krümelchen, ich hab dich lieb und deswegen hab ich noch eine große Überraschung für dich. Aber ich verrate dir nichts. Warte ab bis morgen! - Und nun schlaf schön und mach es gut. Vielleicht treffen wir uns ja mal wieder.Tschüss!“
Ehe Krümelchen etwas erwidern konnte, war die Eule verschwunden.

In einem Traum ist ja alles möglich und so konnte Krümelchen ins Haus, obwohl es keinen Schlüssel bei sich hatte. Leise stieg es Stufe für Stufe die Treppe hinauf, hinein in Tonis Kinderzimmer und zurück in die Schale zu den anderen Plätzchen. Die schauten nur bewundernd auf Krümelchens dritten, nun golden leuchtenden Knopf:
„Es sieht toll aus! Jetzt bist du das hübscheste Plätzchen von uns allen!“
Dann rückten sie ein wenig zur Seite, damit Krümelchens Mantel ja nicht zerdrückt werden sollte. Keines war neidisch, sondern alle freuten sich mit ihm. Krümelchen war froh, wieder daheim zu sein und schlief lächelnd ein.

Am nächsten Morgen wachte Toni auf und betrachtete ihre Plätzchen.
„O weh! Wo ist denn bloß Krümelchen?“
Hastig sprang sie aus dem Bett und wollte schon ihr ganzes Zimmer durchsuchen, als sie in die Puppenwiege schaute. Eigentlich schlief dort sonst nur ihre Puppe „Baby“, aber nun lag noch jemand dort, der genau ausschaute wie das Lebkuchenmännchen, auch braun, auch mit grünen Augen, einer gelben Nase, einem roten Mund und genauso einem Mantel, wie Toni ihn gebacken hatte. Aber anders als jenes konnte dieser Jemand sogar den Kopf bewegen und die Augen auf- und zuklappen ...

Die Eule Gripsi war eine Eulenfee gewesen, hatte Krümelchen ein wunderbares Geschenk gemacht und es in eine Puppe verwandelt. Toni und Krümelchen spielten noch viele Jahre zusammen. Als das kleine Mädchen dann erwachsen und selber Mutter geworden war, durfte Krümelchen im Zimmer von Tonis Töchterchen auf der Kommode sitzen. Die Drei verstanden sich prima und waren noch lange sehr glücklich miteinander.

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