Dazwischen

Skizze

von  Zeder

Wie die Ratten in den Löchern warten bis es dunkel wird. Der Nachbar hat Eulenköpfe ins Fenster gehängt, die Sonne bricht rostrot am anderen Ende. Der  trübe Sprühregen breitet sich über den Bäumen aus. Wie wünschte ich jetzt zu hause zu sein, die Tür zu fallen zu lassen, meine Stiefel ab zu stellen, die Gardinen zu zu ziehen und dann die Augen. Aber durch die Wände hat sich Schimmel gefressen, haben Vogelnester den Putz vertrieben, haben sich feuchtbraune Flecken den Weg durch die Decke gegraben. Die Fenster hängen wie spröde Haut, Efeu klettert wie Adern und nachts kommen Geister. „Wir müssen irgendwann nach Hause“, sagt Gregor. Wir sitzen in der Bushaltestelle und Gregor sammelt Eicheln aus dem Rinnstein. Er betrachtet sie und lässt sie in seine Jackentasche fallen. Die Hände wischt er sich an seiner Hose trocken. Dann blickt er mich an. Ich beobachte, wie im Haus gegenüber Lichter an gehen. Rechts unten, dann oben in der Mitte, links unten. Köpfe schieben sich am Fenster vorüber, ein Mädchen springt Springseil im obersten Stock. „So viele Leben“ sage ich.

Später im Park gräbt Gregor kleine Löcher und setzt die Eicheln hinein. Dann lässt er Erde drüber rieseln und streut auch Erde über mich. „Damit du bald sprießt“. Sein Gesicht leuchtet silbern im Mond und irgendwie leuchtet auch etwas zu mir rüber. Wir taumeln lachend in die Innenstadt, Totenstille um uns trotz greller Lichter. Warme Luftschächte, denen wir unsere Hände entgegen strecken, die Arme werden lang.
„Wie spät ist es?“ frage ich. Gregor hält die Hände an die Scheiben eines Restaurants. „Es ist noch Zeit“, sagt er, doch ich sehe ihm an, dass er lügt. Er greift meine Hand und hält sie warm, er zieht mich aus mir heraus, die Straße hinunter. Wände und Bäume, Schilder und Lichter schieben sich zwischen uns. Aus den Augenwinkel betrachte ich ihn nah und fern von mir, sehe, wie sich seine Arme dehnen und schrumpfen und spüre doch immer den Druck seiner Finger.

Dann schlägt die Uhr zwölf Mal. Der scharfe Zug des Windes lässt nach. Der Luftschacht fällt aus und ich aus dieser Welt hinaus in eine andere. Zögernd taste ich im Schwarzen und ziehe belanglose Dinge an mich heran. Hier stehen Töpfe, Gläser und ich greife in etwas warmes, es riecht nach Kurkuma und Zitrone. Noch spüre ich den Nachdruck einer Hand an meinem Arm, der mich zu fassen versucht, ich streife mich an den Möbeln wie ein scheues Reh. Irgendwo muss hier Leben sein. Das Geräusch eines Zuges in der Ferne, die Luft ist warm und schwer. Ich taste nach der Tür und trete in den nächsten Raum, es muss ein Flur sein, lang und feucht. Durch eine Tür scheint vages Licht, die Klinke ist zu kalt für diese Luft, ich kann fast meinen Atem sehen, als ich sie drehe.
Im Zimmer liegt ein Kind in einem Bett zwischen den Falten eines Moskitonetzes und sieht mit wachen Augen in den fahlen Schein eines Nachtlichtes.
„Wer bist du?“, fragt es, „Ich sehe dich nicht.“ Mein Atem bewegt den Vorhang. Ich hebe mit unsichtbaren Hände eine Puppe hoch, blicke in ihre Augen und setze sie auf den Schreibtisch ab. Ich ziehe den Stuhl ein Stück zurück, blicke auf den Zeiger des Weckers und lausche dem Ticken der Sekunden. Das Mädchen sitzt still im Bett und pustet sich Luft über die Arme. „Es ist zu warm“ sagte es. Ich setze mich neben sie und blase mit Geisteratem kühl auf ihre Haut. Sie schließt die Augen und atmet bald gleichmäßig. Sie lächelt dann und schläft bald darauf ein. Ich lege meine Hand auf ihre Schulter und spüre nichts darunter, sie wacht nicht auf.
Kurz vor eins öffnet sie die Augen und ich sage, dass es Zeit ist. „Holst du mich?“, fragt sie. „Es ist nicht sehr anders“, antworte ich.
Wir gehen durch die Tür, durch den Flur, durch die dunkle Küche. Sie folgt mir wortlos. Kurkuma und Schwüle. Die Terrassentür ist angelehnt, Hügel und Palmen hinter Glas. Ratten verschwinden in der Nacht. Ich drücke die Tür auf, Arme ziehen mich und das Bild zerreißt.

„Wo ist sie?“, frage ich. Gregor schüttelt den Kopf. „Hier war niemand“, sagt er. „Wo warst du?“ „Ich weiß es nicht“, lüge ich. „Du hast geträumt“, sagt er.
Es stehen Welten dazwischen und die Worte verlieren sich darin.
„Es ist kalt hier. Lass uns nach hause gehen“. Und die Arme verschwinden in den Wänden.

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Kommentare zu diesem Text


 Vessel (10.01.16)
das ist wieder sooo ein guter text, und ich denk mir: ich kann doch nicht immer der einzige sein, der kommentiert und empfielt - und dann ist hier kein kommentar und ich denke, eigentlich müsste ich jetzt jeden tag einen kommentar schreiben, unter viele deiner texte - weil ja keiner was dazu sagt, und man eigentlich doch ganz viel dazu sagen muss.
dieser text ist für mich weniger rätselhaft und nicht so präzise wie deine anderen, es wird weniger erzählt, also weniger lineares - die traumebene, das surreale wird deutlicher. wie ein früher marquez, der seinen schlafwandelnden protagonisten ebenfalls nur bitterkeit einräumt.
(Kommentar korrigiert am 10.01.2016)

 Zeder meinte dazu am 12.01.16:
also, ich freu mich schon immer riesig, dass ich dich damit erreiche, also ruhig weiter kommentieren und auch gern jeden tag ;) und so lange der eine oder andere mitliest - ich schreib sowieso.
und marquez - wow!
danke dir!
Villanelle (54)
(10.01.16)
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 Zeder antwortete darauf am 12.01.16:
danke villanelle, schön, dass ich dir bilder erzeugen konnte :)

 Habakuk (03.10.18)
Ich war mal so frei, mir deinen Text eingehender reinzuziehen, Man gönnt sich ja sonst nichts.
Klasse Text! Die semiotische Bildhaftigkeit, will sagen, durch Worte werden bestimmte Bilder generiert, deren Bedeutungsebenen vom Leser für sich entschlüsselt werden dürfen, die feine narrative Beschaffenheit dieses Textes, die ästhetisch gestaltete Erzählsprache, all das ist herausragend.
Wenngleich ich den Text nicht per se als expressionistisch bezeichnen kann, weist er aber Bezüge dazu auf, die Bilder werden isoliert voneinander aneinandergereiht, ohne einen logischen Zusammenhang zueinander aufzuweisen. Die Flucht vor der kalten Rationalität in eine Traumwelt, die ich aus dem Text auch lese, ist expressionistisch angehaucht. Ein Schuss magischer Realismus, ein Hauch von phantastischer Literatur, wie auch immer, mysteriös, traumhaft, die Grenzen zwischen dem Realen und dem Phantastischen verschwinden, Traum und Wirklichkeit, Täuschung und Tatsächliches verschmelzen zu einer faszinierenden Einheit. Für mich ein literarischer Genuss. Erinnert mich an einen Text von einem Kollegen, den ich vor einigen Wochen gelesen habe.

Gruß
H.

 Zeder schrieb daraufhin am 04.10.18:
Hey H., ich habe mich sehr über deinen ausführlichen Kommentar gefreut und sehe das, was ich aufgreifen wollte sehr präzise in Worte gefasst. Freue mich, dass der Text gefällt und bin natürlich auch neugierig auf den Text, der dir in den Kopf gekommen ist. Ist der irgendwo lesbar? Viele Grüße, T.

 Habakuk äußerte darauf am 04.10.18:
Freut mich. Ja, der ist ab mogen lesbar in diesen heiligen Hallen. Eine leicht bitterböse Satire, bin mir nicht sicher, ob es dir zusagen wird. Eigentlich nicht so mein Ding, aber liegt mir auf der Seele.
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