Aus und vorbei? Das Präteritum erzählt
Erzählung zum Thema Zeit
von EkkehartMittelberg
Kommentare zu diesem Text
Liebes Präteritum,
ich nahm mir mal die Zeit und machte einen Selbstversuch, wegen den Anfängen:
-) "Es war noch dunkel, als er aufbrach." - Wenn so viele sterben, warum nicht auch ein Schiff
-) "Der Regen klopfte an die Scheibe, als Lamrec Acala erwachte." - Ein Leben, eine Lüge, eine Wahrheit
-) "Remigius von Nürnberg stand im winterlichen Hof der bischöflichen Residenz und fror." - Engelsgleich
-) "Die anderen saßen auf umgehauenen Baumstämmen am Rande des Waldes." - Der Mann, der nichts tat
-) "Es war der Tag der Leibeigenen, der Knechte und Mägde, der Tagelöhner und der Besitzlosen." - Totengleich
ABER:
-) "Ich bin der Sohn des Grafen und näher wird der Leser der Wahrheit niemals kommen." - Die Bestie[/i]
Also nur 5:1 für dich.
Dein Fan
TB
(Kommentar korrigiert am 12.02.2016)
ich nahm mir mal die Zeit und machte einen Selbstversuch, wegen den Anfängen:
-) "Es war noch dunkel, als er aufbrach." - Wenn so viele sterben, warum nicht auch ein Schiff
-) "Der Regen klopfte an die Scheibe, als Lamrec Acala erwachte." - Ein Leben, eine Lüge, eine Wahrheit
-) "Remigius von Nürnberg stand im winterlichen Hof der bischöflichen Residenz und fror." - Engelsgleich
-) "Die anderen saßen auf umgehauenen Baumstämmen am Rande des Waldes." - Der Mann, der nichts tat
-) "Es war der Tag der Leibeigenen, der Knechte und Mägde, der Tagelöhner und der Besitzlosen." - Totengleich
ABER:
-) "Ich bin der Sohn des Grafen und näher wird der Leser der Wahrheit niemals kommen." - Die Bestie[/i]
Also nur 5:1 für dich.
Dein Fan
TB
(Kommentar korrigiert am 12.02.2016)
Danke, Trekan. Schade, dass Bernard Mondae deine Romananfänge nicht kannte.
Lance (52)
(12.02.16)
(12.02.16)
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Merci, lieber Lance, wenn du das war oder ist manchmal nicht auseinander halten kannst, ist das genau im Sinne des Präteritums, denn so vieles, das als "Es war einmal" daherkommt, holt uns immer wieder ein und bestimmt unsere Gegenwart. Deshalb gibt es auch so viele Gedichte, die im Präteritum beginnen und ins Präsens, in den augenblicklichen Bewusstseinzustand, wechseln.
LG
Ekki
LG
Ekki
Teichhüpfer (56)
(12.02.16)
(12.02.16)
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Gracie, lieber Teichhüpfer, mir scheint, dass wir in dem, was du kritisch siehst, gar nicht auseinander liegen. Nicht nur "1984", die meisten großen Romane der Weltliteratur, die überweigend im Präteritum erzählen, schaffen mit eben diesem Tempus eine gewisse Distanz, damit wir als Leser unvoreingenommen betrachten können und erkennen, dass das, was scheinbar vorbei ist, unser kritisches Bewusstsein für die Gegenwart schärfen soll.
ein alter esel fraß ... die pflanze. (Busch.)
der olle wilhelm kannte vermutlich goethes werke sehr gut. der auszug erinnert mich an goethe, Das Veilchen, mit vergleichbarer ironie. ein plagiat ist es aber nicht.
der olle wilhelm kannte vermutlich goethes werke sehr gut. der auszug erinnert mich an goethe, Das Veilchen, mit vergleichbarer ironie. ein plagiat ist es aber nicht.
lieber Lothar, in der wissenschaftlichen Theorie über Lyrik, wird immer wieder betont, dass dieses Genre dem Augenblick, dem lyrischen Moment, gelte. Das trifft zwar oft zu, aber man findet zahlreiche Gedichte, die wie Goethes "Veilchen" im Präteritum geschrieben sind. Das erzeugt einen besonderen Reiz. Das Vergangene wird vom Dichter so lebendig vergegenwärtigt, dass sich beim Leser die Illusion einstellt, es geschehe gerade in der Gegenwart. Der Dichter weiß um diese Illusion, deshalb wohl auch die leise Ironie. Danke.
Da hast Du Dir wieder viel Mühe gegeben, lieber Ekki. Viel gelernt. LG
Merci, Armin, es stimmt. Ich habe mir mit diesem Beitrag viel Mühe gegeben. Die Konkunkdiva flog mir zu, aber das Präteritum in Erzählungen ist so selbstverständlich, dass es nicht leicht ist, etwas Interessantes hinter dem Selbstverständlichen zu entdecken.
LG
Ekki
LG
Ekki
Graeculus (69) meinte dazu am 12.02.16:
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Das nenn ich mal kurzweilig und perfekt dem Imperfekt nahe gekommen zu sein
Herzliche Grüße
TT
Herzliche Grüße
TT
Gracie, welch schönes Kompliment, Tasso. Die in anderen Sprachen gebräuchliche Bezeichnung 'Imperfekt' verschleiert ja nicht mein Thema, dass so manche Handlung im Präteritum unabgeschlossen erscheint.
Herzliche Grüße
Ekki
Herzliche Grüße
Ekki
Lewin (75)
(12.02.16)
(12.02.16)
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Gracie especiale für diesen witzigen Kommentqar, Lewin. Mir erscheint gegenüber der Methode, Schäfchen zu zählen, um die geistigen Fähigkeiten zu überwinden, der Verzehr eines Spanferkels effektiver zu sein.
Liebe Grüße
Ekki
Liebe Grüße
Ekki
Lewin (75) meinte dazu am 13.02.16:
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Den Roman habe ich sofort auf meine Agenda gesetzt.
Absinth (62)
(12.02.16)
(12.02.16)
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Lieber Absinth,
"Alles aus und vorbei" ist die Hoffnung der Narren und die Befürchtung der Toren.
Ich freue mich, dass mein Beitrag dich zu solch geistreichem Aphorismus inspirieren konnte.
BG
Ekki
"Alles aus und vorbei" ist die Hoffnung der Narren und die Befürchtung der Toren.
Ich freue mich, dass mein Beitrag dich zu solch geistreichem Aphorismus inspirieren konnte.
BG
Ekki
Meine Favoriten:
Caput I
Im traurigen Monat November war's,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.
[Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen]
»Was ist das. – Was – ist das …«
»Je, den Düwel ook, c'est la question, ma très chère demoiselle!«
Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter auf dem geradlinigen, weiß lackierten und mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb überzogen waren, warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armsessel bei ihr saß, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, die der Großvater am Fenster auf den Knien hielt.
[Thomas Mann, Buddenbrooks]
Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Ham- burg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.
[Thomas Mann, Der Zauberberg]
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Rosshändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. - Dieser außerordentliche Mann würde bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtsgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.
[Heinrich von Kleist, Michael Kohlhaas]
Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte. Seine Geschichte soll hier erzählt werden. Er hieß Jean-Baptiste Grenouille, und wenn sein Name im Gegensatz zu den Namen anderer genialer Scheusale, wie etwa de Sades, Saint-Justs, Fouchés, Bonapartes usw., heute in Vergessenheit geraten ist, so sicher nicht deshalb, weil Grenouille diesen berühmteren Finstermännern an Selbstüberhebung, Menschenverachtung, Immoralität, kurz an Gottlosigkeit nachgestanden hätte, sondern weil sich sein Genie und sein einziger Ehrgeiz auf ein Gebiet beschränkte, welches in der Geschichte keine Spuren hinterläßt: auf das flüchtige Reich der Gerüche.
[Patrick Süskind, Das Parfum]
Caput I
Im traurigen Monat November war's,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.
[Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen]
»Was ist das. – Was – ist das …«
»Je, den Düwel ook, c'est la question, ma très chère demoiselle!«
Die Konsulin Buddenbrook, neben ihrer Schwiegermutter auf dem geradlinigen, weiß lackierten und mit einem goldenen Löwenkopf verzierten Sofa, dessen Polster hellgelb überzogen waren, warf einen Blick auf ihren Gatten, der in einem Armsessel bei ihr saß, und kam ihrer kleinen Tochter zu Hilfe, die der Großvater am Fenster auf den Knien hielt.
[Thomas Mann, Buddenbrooks]
Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Ham- burg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.
[Thomas Mann, Der Zauberberg]
An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Rosshändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. - Dieser außerordentliche Mann würde bis in sein dreißigstes Jahr für das Muster eines guten Staatsbürgers haben gelten können. Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof, auf welchem er sich durch sein Gewerbe ruhig ernährte; die Kinder, die ihm sein Weib schenkte, erzog er, in der Furcht Gottes, zur Arbeitsamkeit und Treue; nicht einer war unter seinen Nachbarn, der sich nicht seiner Wohltätigkeit oder seiner Gerechtigkeit erfreut hätte; kurz, die Welt würde sein Andenken haben segnen müssen, wenn er in einer Tugend nicht ausgeschweift hätte. Das Rechtsgefühl aber machte ihn zum Räuber und Mörder.
[Heinrich von Kleist, Michael Kohlhaas]
Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehörte. Seine Geschichte soll hier erzählt werden. Er hieß Jean-Baptiste Grenouille, und wenn sein Name im Gegensatz zu den Namen anderer genialer Scheusale, wie etwa de Sades, Saint-Justs, Fouchés, Bonapartes usw., heute in Vergessenheit geraten ist, so sicher nicht deshalb, weil Grenouille diesen berühmteren Finstermännern an Selbstüberhebung, Menschenverachtung, Immoralität, kurz an Gottlosigkeit nachgestanden hätte, sondern weil sich sein Genie und sein einziger Ehrgeiz auf ein Gebiet beschränkte, welches in der Geschichte keine Spuren hinterläßt: auf das flüchtige Reich der Gerüche.
[Patrick Süskind, Das Parfum]
Danke dafür, Uli, dass du die Sammlung der Romananfänge mit weiteren Beispielen bereichert hast.
Der Einstieg in die Buddenbrooks erscheint mir als besonders raffiniert: die reizvollen Kontraste von szenischem Präsens und Präteritum und von Plattdeutschem mit französischer Umarmung.
Der Einstieg in die Buddenbrooks erscheint mir als besonders raffiniert: die reizvollen Kontraste von szenischem Präsens und Präteritum und von Plattdeutschem mit französischer Umarmung.
Stelzie (55)
(12.02.16)
(12.02.16)
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Das freut mich, Kerstin.
Liebe Grüße
Ekki
Liebe Grüße
Ekki
Graeculus (69)
(12.02.16)
(12.02.16)
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Merci, Graeculus, dieser Erzählanfang mit deinem Kommentar führt uns von dem Thema, wie die Tempora des Erzähens wirken, weg, es sei denn, wir sprächen darüber, dass Lehrer die Consecutio temporum (Folge der Zeiten) fantasielos und unbarmherzig drillten.
Da ich immer noch ein vertrauensvolles Verhältnis zu zahlreichen ehemaligen Schülern habe, die mir über Schule seit den siebziger Jahren berichten, kann ich den Satz in der Verallgemeinerung nicht unterschreiben. Aus meiner Sicht gibt es zwar kaum einen Schüler, der nicht in seiner Schulzeit irgendetwas Schreckliches erlebt hat, aber bei den meisten halten positive und negative Erinnerungen einander die Waage. Wie anders wäre es zu erklären, dass zu den meisten Klassentreffen ehemalige Lehrer eingeladen werden?
Da ich immer noch ein vertrauensvolles Verhältnis zu zahlreichen ehemaligen Schülern habe, die mir über Schule seit den siebziger Jahren berichten, kann ich den Satz in der Verallgemeinerung nicht unterschreiben. Aus meiner Sicht gibt es zwar kaum einen Schüler, der nicht in seiner Schulzeit irgendetwas Schreckliches erlebt hat, aber bei den meisten halten positive und negative Erinnerungen einander die Waage. Wie anders wäre es zu erklären, dass zu den meisten Klassentreffen ehemalige Lehrer eingeladen werden?
Graeculus (69) meinte dazu am 12.02.16:
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wa Bash (47)
(12.02.16)
(12.02.16)
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Lieber wa Bash,
es ist wichtig für mich, dass du mich bei meinen Erzählungen über Zeitformen ermunterst.
Ich habe mich selbstkritisch gefragt, ob diese Versuche zur Bewusstseinserweiterung für das eigene Schreiben etwas bringen. Ich denke ja, weil man versucht, mehr zu experimentieren, wenn man genauer weiß, was die Zeiten leisten können und was nicht. Danke.
es ist wichtig für mich, dass du mich bei meinen Erzählungen über Zeitformen ermunterst.
Ich habe mich selbstkritisch gefragt, ob diese Versuche zur Bewusstseinserweiterung für das eigene Schreiben etwas bringen. Ich denke ja, weil man versucht, mehr zu experimentieren, wenn man genauer weiß, was die Zeiten leisten können und was nicht. Danke.
Agneta (62)
(13.02.16)
(13.02.16)
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Merci, Agneta, auch dafür, dass du meinen Beitrag durch sprachkritische Anmerkungen ergänzt hast.
LG
Ekki
(Antwort korrigiert am 13.02.2016)
LG
Ekki
(Antwort korrigiert am 13.02.2016)