Lauschen Sie der Metapher

Erzählung zum Thema Betrachtung

von  EkkehartMittelberg

Ich muss mich nicht vorstellen, weil ich in Ihnen zuhause bin. Es ist Ihnen nur nicht immer bewusst. Schauen Sie sich um. Vor Ihnen glänzt der Flaschenhals, nach dem Sie gestern verzweifelt griffen, als Ihnen der Kronleuchter auf den Kopf zu fallen drohte und Sie sich ängstlich am Stuhlbein festhielten.
Aber errichten Sie keine Mauer der Angst, schönes Kind. Immer wird es jemanden geben, der Ihre Korallenlippen oder Ihre alabasterweiße Haut oder das Weizenblond ihrer Haare oder die Tiefe hinter den schimmernden Fensterlein Ihrer Augen erkennt.
Sie haben es schon bemerkt: Im Alltag bin ich leicht und umgänglich, ein einfacher bildhafter Vergleich, bei dem nur das Wörtchen „wie“ entfallen ist. Lassen Sie sich also auf den Flügeln der Fantasie an den Strand der Metaphern tragen und baden Sie genüsslich im Metaphernmeer. Am Morgen weckt sie die rosenfingrige Eos, springen die munteren Delphine der Visionen, verfliegt der Sand der Zeit unter Ihren hoffnungsfrohen Schritten, am Mittag tauchen Sie ein in die Klänge der Panflöte, erblicken Sie die entrückten Horizonte der Ideen, träumen Sie auf den Schwingen von Flamingos, am Nachmittag trägt sie das Schiffchen der Einbildungskraft, am Abend durchfährt Sie das Feuer des schreibenden Poeten und bei Nacht besänftigt "mondne Kühle" (Trakl) Ihr glühendes Herz.

Ich vermute, dass Ihre Augensterne einige dieser Metaphern schon einmal gelesen haben. Sie ruhen als abgekürzte Vergleiche im Schatzhaus Ihrer Erinnerung und Sie können deren Gedankenflug leicht folgen.
Spannender und schöner sind aber die Metaphern aus dem Schoß der Assoziationen, die sich allein rational nicht entschlüsseln lassen:¶
„des Wahnsinns sanfte Flügel“, „ein knöchernes Grauen“, des Ölbaums blaue Stille“ (Georg Trakl),¶
„von dem verborgenen Goldgefäß// läuft durch mein Blut ein schmerzliches Gleißen“ (Gertrud Kolmar),
„Wenn mittags das weiße Feuer//der Verse über den Urnen tanzt“ (Peter Huchel)

„Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweigs.“ [...]
Hilde Domin

„Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
[…]
Paul Celan

Gönnen Sie sich die Freude, liebe Leser, im Strudel geheimnisvoller Metaphern der Poesie zu versinken, aber seien Sie wachsam im Alltag. Entdecken Sie die bittere Pille der Wahrheit unter dem Honig der Unterhaltung und spitzen Sie die Ohren, wenn Rattenfänger auf der Schalmei der Verführung blasen.

© Ekkehart Mittelberg. Februar 2016

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (25.02.16)
da haben wir den (metaphern-)salat. schwarze milch der frühe stammt wohl von rose ausländer. die beiden kannten sich aus frühen jahren. rose soll das kleine plagiat erkannt, aber nicht protestiert haben. sie fühlte sich geehrt, (wie) im siebten himmel.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.16:
Merci, ich beziehe das granum salis (Körnchen Salz) auf Celan. Rose Ausländer konnte mit Recht auf das kleine Plagiat stolz sein, denn obwohl die erlauchten Literaturkenner der Gruppe 47 zunächst den hohen poetischen Wert der "Todesfuge" verkannten, zählt diese heute zu den unbestritten besten Gedichten in deutscher Sprache.

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 25.02.16:
Literarische Metaphern haben den Vorteil, dass man ihren Ursprung oft(?) zurückverfolgen kann. Aber auch für sie gilt: Der ursprüngliche Schöpfer muss nicht der- oder diejenige sein, der/die der Metapher ihren "Durchbruch" bescherte. Das unten von mir erwähnte "klotzen, nicht kleckern" (auch wenn es umgangssprachlich ist) geht in seiner heutigen Bedeutung und Verwendung eindeutig auf den Wehrmachtsgeneral Heinz Guderian zurück. Sollte ich raten, würde ich vermuten, dass er es nicht "erfunden", sondern irgendwann früh in seinem Leben gehört hat. Doch er hat es geprägt und das ist das Entscheidende.

 Bergmann schrieb daraufhin am 25.02.16:
Ich stimme TB voll zu; im Übrigen ist der Fall sehr umstritten.
Grass warf man auch vor, das Glaszersingen (bei Huelsenbeck) 'geklaut' zu haben.
Lance (52)
(25.02.16)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 25.02.16:
Gracie, Lance, nun strahlen auch meine Festerlein. Der Funkenflug ist geglückt.
LG
Ekki
Sätzer (77)
(25.02.16)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 25.02.16:
Merci für die Empfehlung und den Kommentar, Uwe. Du hast den leicht ironischen Grundton vernommen. Das freut mich.
LG
Ekki

 AZU20 (25.02.16)
Ich lausche immer noch. Eindrucksvoll. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.16:
Was kann ich mir mehr wünschen, Armin. Ich danke dir.
LG
Ekki

 Didi.Costaire (25.02.16)
Es sieht so aus, als ob die Metaphern so stark sind, dass sie ausbrechen konnten und sich ihre eigene Ordnung schufen.
Die drei Wächter (¶¶¶) der alten Konventionen wurden an den Rand gedrängt.
Liebe Grüße, Dirk
(Kommentar korrigiert am 25.02.2016)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.16:
Danke, Didi.
Ich habe die verrutschten Zeilen vor deinem Hinweis bemerkt. Es ist aber bei diesem Programm sehr schwierig, sie wieder in die richtige Anordnung zu bringen. Auch jetzt habe ich das erst nach einigen Kopiervorgängen geschafft.
Liebe Grüße
Ekki

 TrekanBelluvitsh (25.02.16)
Das besondere an diesem Text ist, dass er, obwohl in lyrischer Prosa geschrieben, die klare Strukturierung einer wissenschaftlichen Arbeit aufweist. Er beginnt mit den Metaphern des Alltags - zuerst die gebräuchlichen, dann die weniger gebräuchlichen weil stärkeren, die mich an "klotzen, nicht kleckern" denken lassen. Denn wer das sagt, spielt weder mit Bauklötzen, noch verteilt er sein Essen auf Kleidung und Tischdecke.

Am Schluss werden uns die "schweren" literatischen Metaphern vorgeführt. Sie können besonders inspirierend sein, doch nicht umsonst warnst du am Schluss vor ihnen. Unpassend oder in zu hoher Anzahl (?) wirken sie leicht übertrieben, im schlimmsten Fall sogar lächerlich. Der Autor/die Autorin sollte, wenn er oder sie sich nicht sicher sind, lieber auf sie verzichten. Außerdem kann eine auf Adjektive gestützte Beschreibung auch entzücken - mit oder ohne Rücken.

Ein extrem "hinterhältiger" Text, denn er bringt mir etwas bei, ohne dass ich es merke, verdammt!

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.16:
Lieber Stefan, ich danke dir dafür, dass du auf die von mir so beabsichtigte Strukturierung hingewiesen hast.
Die von dir sogenannten "schweren" Metaphern würde ich lieber als die besonders originellen bezeichnen. Dehalb nehmen sie in meiner Erzählung natürlich einen besonderen Raum ein, weil es ja um die Varianten der Metapher geht und sie in der Literaturgeschichte als deren Krönung anerkannt werden.
Unabhängig von meinem Text stimme ich dir aber zu, dass man derartige Metaphern nicht gehäuft zitieren sollte, aber hier sollte es der Metapher erlaubt sein, ihre schönsten Kinder vorzustellen.
Graeculus (69) meinte dazu am 25.02.16:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.16:
Vielen Dank, Graeculus, dass du mich auf Bob Dylan verwiesen hast. Das ist ein viel versprechender Pfad, den ich bisher nicht im Blick hatte.
Graeculus (69) meinte dazu am 25.02.16:
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Lewin (75)
(25.02.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.16:
Merci, Lewin, du hast völlig Recht damit, dass man sich mit Flaschenhals, Kronleuchter und Stuhlbein nicht identifizieren sollte. Sie sind halt Beispiele für verblasste Metaphern, die man ständig benutzt, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Es wäre interessant, die Metaphern des Mittelteils auf ihre Herkunft hin zu googeln. Einige davon sind durch häufige Zitierung trivial geworden. Vielleicht sind die munteren Delphine der Visionen neu. Die "mondne Kühle" stammt übrigens auch von Trakl.
Herzliche Grüße
Ekki

 Lluviagata (25.02.16)
Ach Ekki, ich liebe es.
Weil ich Metaphern liebe. Es ist eine Art Verschlüsselung, die es zu knacken gilt - oder man lässt einfach das Gefühl drüberschauen! ;)
Auch selbst welche zu finden/erfinden ist toll. Und wenn sie schon mal da war ... was solls.

Liebe Grüße
Llu ♥

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.16:
Gracie especiale, Andrea. Du sprichst mir aus dem Herzen. Gleichgültig, welche Textsorte der Dichtung man betrachtet, es ist insbesondere die bildreiche Sprache der Metaphern, die sie zur Poesie macht.
Hannahlulu (18)
(25.02.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.02.16:
Grazie, Hannah, das hast du nicht nur schön ausgedrückt. Es stimmt einfach.
Liebe Grüße
Ekki

 TassoTuwas (26.02.16)
Mit herzhaftem Lachen: "Gut geblasen Ekki"
Deswegen hasse ich Gebrauchsanweisungen
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.02.16:
Merci, Tasso. So ist es. Ein Scherzo kann keine Gebrauchsanweisung sein. Allenfalls kann man den Kamm zücken und nach Gusto mitblasen.
Klingende Grüße
Ekki
Festil (59)
(27.02.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 27.02.16:
Vielen Dank für die Empfehlung, Festil, und für den Hinweis auf Oskar Werner, den ich noch nicht kannte.
Liebe Grüße
Ekki
Festil (59) meinte dazu am 27.02.16:
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