Teil 32

Roman

von  AnastasiaCeléste

Mit größter Vorsicht begannen Myles und seine Mitstreiter ein paar Tage später, zuerst ihre engsten Vertrauten, die überall in der Stadt verstreut lebten, von der Funktionalität ihrer Chips zu befreien. Es folgten befreundete Familien. Und es dauerte so natürlich nicht lange, bis die ersten Fremden versuchten mit ihnen Kontakt aufzunehmen, mit der Bitte um Hilfe. Ab diesem Zeitpunkt war es ein reines Glücksspiel, nicht an den Falschen zu geraten.
Auch Ian hörte in seinem Versteck von dieser mysteriösen Gruppe, denen  es gelungen sein soll, die Chips auszuschalten.
Einige seiner Patienten erzählten ihm aufgeregt davon, weil sie wussten, dass Ian von vielen aufgesucht wurde, die ihren Parasiten loswerden wollten. Der Junge Arzt wusste sofort, dass es sich dabei um die Gruppe handeln musste, mit dessen Anhängerin er vor einiger Zeit diese merkwürdige Begegnung hatte.
Scheinbar hatten Sie ihre Lösung gefunden, gewissermaßen jedenfalls.
Ian nahm die zarte Hoffnung der Menschen war. Wenn sie ihm von der großen Neuigkeit erzählten, sah er das Leben in ihren Augen aufblitzen. Eine Beobachtung, die er schon seit vielen Jahren nicht mehr gemacht hatte.  Als im Untergrund agierender Arzt, war er für viele zwar eine große Hilfe, aber Tag ein, Tag aus, sah er nichts als Resignation, Wut und Trauer in den Gesichtern der Hilfsbedürftigen.
Er erinnerte sich an du große Suche, als Corvins Truppen durch die Stadt gestreift waren, auf der Jagd nach ungechippten Personen, Rebellen und Flüchtigen. Er hatte sämtliches Licht in seinem zu Hause gelöscht. Alle Zugänge hatte er verbarrikadiert, mit allen möglichen Gegenständen, die ihm hilfreich erschienen. Fast vierundzwanzig Stunden verharrte er in nahezu völliger Dunkelheit, in der er sich dabei ertappte, darüber nachzudenken, was passieren würde, wenn sie ihn fänden. Ian, der Mann, der sonst ein so positiver Mensch war, sah der Gewissheit ins Auge, dass sein Leben in Kürze enden würde. In diesen Stunden voller Angst in seinem Versteck, gab er sich auf, nahm im Stillen Abschied von allem, was ihm noch etwas bedeutete, oder einmal bedeutet hatte.
Als er irgendwann das Gefühl bekam, die Gefahr sei vorüber und er das erste Licht in seinem Wohnzimmer wieder entfachte, sah er sich in dem kleinen Spiegel, der ihm gegenüber an der Wand hing. Er machte ein paar Schritte darauf zu und erschrak, als er die Leere in seinem Gesicht bemerkte. Dieselbe Leere, die er schon in so vielen Gesichtern erblickt hatte.
Die Angst die er im Dunklen verspürte, verfolgte ihn noch eine ganze Weile. Nie zuvor wurde ihm so bewusst, wie gefährlich sein Job für ihn wirklich war.
Mit der ersten Nachricht über den Triumph dieser unbekannten Gruppe, entfachte auch in ihm wieder der Wille weiterzumachen. Er spürte wieder, dass doch noch nicht Alles verloren ist, solange es unter den Menschen mutige Kämpfer gab.
Er dachte an seinen Freund Ave. Ob er schon von der Neuigkeit gehört hatte? Zulange ist es her, dass er ihn oder Asher gesehen hat. Die Straßensperren machten es ihm unmöglich sich frei zu bewegen. Nur Ave hatte die Möglichkeit ihn zu besuchen. Wenn es nun stimmte, dass man diese Chips tragen konnte, ohne einer Gefahr ausgesetzt zu sein, wäre das Passieren der Sperren wieder möglich. Ian versank in Überlegungen. Wenn die Nachricht über diese Möglichkeit schon auf ihn so belebend wirkte, was wird es bloß mit der gesamten Stadt tun, und wie schnell würde Corvin davon erfahren? Einzig und allein die Zeit wird es zeigen. 



Es waren ein paar Wochen vergangen, in denen der Wahnsinn des Alltags sich mal mehr und mal weniger präsent zeigte. Die Unruhen waren weiter angeschwollen und blutige Zwischenfälle nahmen in ihrer Häufigkeit zu. Manchmal war es auch außergewöhnlich ruhig, sodass man das Gefühl hatte, alles würde sich entspannen. Doch dann kam der Tag, an dem in der Stadt eine merkwürdige Stille herrschte. Von Norden her zogen gewaltige Rauschwaden in Richtung Stadtzentrum. Asher hatte alle Fenster der Wohnung geschlossen und beobachtete mit Cat das Näherkommen der dunklen Wolke, die wie ein böses Omen über der Stadt schwebte und immer weiter wuchs. Hin und wieder hörte man die Sirenen von Löschfahrzeugen. Die Menschen auf den Straßen sahen neugierig aber auch ängstlich in den Himmel.
Ave war gerade auf dem Weg zum Innocent gewesen, als mehrere heftige Detonationen ihn zum Anhalten brachten. Es dauerte eine Weile, bis er einordnen konnte, aus welcher Richtung die Geräusche und die aufziehende Rauchwolke kam.
Im gemäßigten Tempo fuhr er dem Ausgangspunkt entgegen. Viele Menschen schlossen sich seiner Richtung an.
Nach ein paar Minuten hörte er Sirenen und erhaschte an einigen Kreuzungen einen Blick auf vorbeirasende Fahrzeuge der Feuerwehr, die Fest in den Händen von Corvins Männern war.
Der Himmel im Norden verfinsterte sich immer mehr und Ave bekam eine Ahnung davon was passiert sein könnte.
Er beschleunigte und setzte seinen Weg zu dem Ort fort, an dem sein Boss eine empfindliche Stelle hatte. Keine zehn Minuten später, hielt Ave in einer kleinen Straße und blickte auf eine riesige Feuerwand, umrahmt von einer hohen, bedrohlichen, schwarzen Wolke. Asche rieselte auf die umliegende Umgebung hinab, wie feiner, grauer Schnee. Vor ihm lag ein Gelände, das völlig in Flammen stand. Ein Gelände, auf dem er selbst schon oft zu tun hatte.
Die Lagerhallen, die hier brannten waren ein zentraler  Ort in Corvins Imperium. Hier lagerte er unter anderem Waffen und Drogen, die für den Handel mit anderen Bossen in anderen Ländern und Staaten bestimmt waren.
Oft hatte er seinen Chef hierher zu riskanten Verhandlungen begleitet, als engster Leibwächter. Er hatte Transporte bewacht, Waren geprüft und dem ein oder anderen gezeigt, was Corvin nicht passte.
Als er mehr und mehr die Wärme der Flammenhölle vor ihm spürte, überkam ihn plötzlich wieder einmal das Gefühl, als würde ihn jemand anstarren. Ein dunkler Schatten im linken Augenwinkel lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Ave blockierte mit seinem Wagen eine winzige, schmale Straße, gesäumt von fünfstöckigen Häusern auf beiden Seiten. 
Als er in die Straße hineinblickte, sah er eine völlig reglos dastehende, schwarz gekleidete Gestalt  im hinteren Teil der Straße stehen. Das Gesicht unter einer Kapuze und hinter einen Schal vermummt, war sie ihm zugewandt. Nur die Augen waren zu erkennen und diese waren eindeutig auf ihn gerichtet. Ave erstarrte, trotz des Feuers wurde ihm für einen Moment kalt. Was zur Hölle wollten diese Schatten von ihm? Es konnte kein Zufall sein, das war kein Schaulustiger, der sich das Spektakel ansehen wollte. Von seiner Position aus wurde ihm jeglicher Blick auf das Feuer versperrt.
Ave hatte mittlerweile das Gefühl, dass sie es förmlich drauf anlegten, dass er ihre ständige Beobachtung bemerkte. Das unheimliche Gefühl beobachtet zu werden, Blicke im Nacken zu spüren, begleitete ihn nun schon seit Monaten. Zum ersten Mal sah er einen seiner Beobachter so klar und deutlich vor sich. Die Gestalt war groß und muskulös, definitiv ein Mann. Seine Körpersprache zeigte keinerlei Aggression. Ave wollte endlich wissen, was für ein Spiel mit ihm getrieben wurde.  Der Impuls den Wagen zu verlassen und diesen Typen zur Rede zu stellen zuckte in seinen Fingern. Aber Ave wusste mittlerweile, dass diese Reaktion ein genauso schnelles Verschwinden dieser Person auslösen würde, wie das plötzliche Auftauchen ebendieser. Ihre Blicke ruhten aufeinander. Langsam hob Ave seine Hand  und deutete eine leichte Geste des Grußes an. Zu seiner Überraschung erwiderte der unbekannte Mann seinen Gruß, bevor er in einem der Häuser verschwand.
Es dauerte einen Moment, bis Ave sich von der Stelle lösen konnte, an dem eben noch diese rätselhafte Person stand.
Ave wandte sich wieder den Flammen zu. Er dachte über Begegnung nach und betrachtete das Spektakel ungerührt. Das Einzige was er nach einer Weile, die er da so in die Flammen starrte, spürte, war die wohlige Wärme der Genugtuung. Während um ihn herum das Chaos herrschte, legte sich eine tiefe Zufriedenheit und Ruhe über ihn. Auch wenn ihm völlig schleierhaft war, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte, ließ er das Gefühl zu. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen, hohen Zäunen, Wachen, die das Gelände rund um die Uhr sicherten und einer wirkungsvollen Alarmanlage, war es jemandem gelungen, Sprengsätze zu installieren und so wie es aussah, einen Großteil, wenn  nicht sogar das gesamte Gelände in Schutt und Asche zu legen.
Um so etwas zu schaffen, brauchte man Leute mit Fachwissen, ausgebildete Leute, vertrauenswürdige Quellen und Kontakte und vor allem, war dies nicht das Werk einer einzelnen Person. Irgendwo in dieser Stadt gab es eine Gruppe Menschen, die die gleichen Ziele verfolgten, wie er selbst. War es möglich, dass er eben einem dieser Verbündeten begegnet ist? Wollten sie ihm ein Zeichen geben?

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (23.03.16)
Es passt sehr gut zu der Düsternis und eigentlichen Hilflosigkeit deiner Protagonisten, dass du sie nicht zur ersten Linie des (offenen) Widerstands machst - zumindest nicht in dieser Phase(?) - und das andere die Initiative übernommen haben. Dadurch werden sie zu einem Teil des Ganzen und "das Ganze" ist eben sehr bedrückend. Dramaturgisch und psychologisch überzeugend.
DocHerb (44)
(25.03.16)
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