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Ich habe Jenseits des Lustprinzips (von Sigmund Freud) so im Gedächtnis, in meinem angegriffenen, malträtierten, blockierten Gedächtnis, wie es vielleicht gar nicht ganz ist. Diese Erfahrung der verformten Erinnerung weiß ich gerade wieder und frage mich also, ob ich Jenseits des Lustprinzips noch einmal lesen sollte, bevor ich es verwende, oder abenteuerlustig drauflosschwadronieren, insgesamt wird es schon ein bisserl stimmen.
Zweiteres. Vor mehr als zehn Jahren las ich also im Rahmen einer Art Selbstanalyse, nein nicht nur, im Rahmen auch einer autodidaktischen psychoanalytischen Ausbildung Jenseits des Lustprinzips. Ich nenne das, was ich mir damals erarbeitete typische Künstler-Selbstanalyse, so etwas hat es, lehre ich, in der Bundesrepublik immer gegeben. Es ist etwas Schönes und vernünftiges und es sollte es weiterhin geben. Erarbeitet also nur die Theorie, die Bücher, Psychoanalyse ist interessant, Menschenkenntnis ist interessant, die Arbeitsweise war sehr selbständig und ein unbehandeltes dringendes therapeutisches Bedürfnis bestand auch.
Es heißt nicht, dass ich mich Therapeut nennen wollen würde oder als solcher auftreten wollen würde oder mich für einen Therapeuten halten würde, im Gegenteil, letzteres wäre eine narzisstische Vorform einer solchen Analysiertheit. Also keinerlei Praxis als Anfänger-Therapeut, nicht im Entferntesten, betone ich noch einmal.
Zweiteres. Schreiben als Abenteuer. The Quest, wie es in irgendeinem Creative-Writing-Ratgeber, den ich längst weggeschmissen habe, vielleicht geheißen hatte. Dort natürlich, als eines vieler möglicher Romanmuster, anders gemeint, so Herr-der-Ringe-mäßig. The Quest, von mir umgedeutet, aber nur ironisch, nicht machiavellistisch, umgedeutet.
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Dieser Text, wollte ich erzählen, hat bisher zwei ganz unterschiedliche Lesergruppen: Diejenigen Menschen einerseits, die irgendwann Sigmund Freuds Jenseits des Lustprinzips gelesen hatten, und noch wissen, dass es nur sieben Kapitel hat, und den Rest.
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In Jenseits des Lustprinzips geht es nicht, wie man fälschlicher Weise vermuten könnte, um ekstatische Sexualität, sondern um Psychosen und schwerste Traumatisierungen. Freud beschreibt diese Menschen mit diesen Störungen, teilweise Weltkriegstraumatisierte, aber das Prinzip lässt sich natürlich adaptieren, so, dass sie ein Level an Verbundenheit mit der Welt nicht mehr erreichen, das ihnen ein Verhalten nach dem Lustprinzip ermöglicht, sie sind sozusagen unterhalb, jenseits dieses Levels. Innerlich todunglückliche Menschen, untröstbar, (fast untröstbar), gespalten, aber diesen Begriff verwenden wir nicht. fertig mit der Welt und vielleicht fertig mit dieser Affenart, zu der sie gehören oder gehörten, dem Menschen
Ein persönlich eingefärbtes Spontanreferat, ohne Gewähr. Schreiben als Abenteuer. Mehr ist hier nicht nötig.
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Ich weiß ganz genau, sagte ich zu Vanessa, wie es so einem Labortier geht. (Einer Laborratte). Es ist ein innerlich todtrauriges Wesen. Wissend irgendwie, dass es wieder einen Elektroschock bekommen wird, oder dass es auch morgen wieder als Krebszellenträger arbeiten wird müssen. Oder auch ein Käfighuhn. Natürlich lernt es. Natürlich hat es ein Gedächtnis. Natürlich weiß es dann irgendwann, dass der nächste Tag so scheußlich werden wird wie die bisherigen. Schmerzen oder Krebstherapie oder Käfigstress.
Diesen Wesen fühlst du dich nahe, protestierte Vanessa für mich.
Diesen und solchen Menschen wie der S. vielleicht, antwortete ich.
Das sind Wesen denen ich mich nahefühle. Der S., oder solchen Laborratten und Käfighühnern. Solchen Wesen fühle ich mich emotional verbunden. So ein Scheiß-Land.
Die S., erzählte ich, ...
...
Ich sollte eine Labortiergewerkschaft gründen, behauptete ich, schon um diese Beschreibung fortzusetzen. Ich fordere eine ordentliche Ruhestandsregelung, artgerechte Alterssitze, eine Höchstarbeitszeit und einen Mindestlohn für Labortiere.
(...)
Wenn etwas übrig bliebe von den, solchen Forderungen, dann wäre es eine Labortiersteuer.