Fango molto caldo

Anekdote zum Thema Befreiung

von  EkkehartMittelberg

Vielleicht haben Sie auch schon einmal im Fango gelegen und Sie wissen, dass sich die Theorien über die wundersame Heilkraft dieses Schlamms sehr unterscheiden. Nein, ich habe es mir nicht leicht gemacht, bevor ich mich dafür entschied, meinen wertvollen Körper dem Schlamm zu übergeben.
Von den Kurprofis in meinem Hotel sagten die einen so und die anderen so. Die Fango-Fans schwärmten von einer tiefgreifenden Verjüngung und die Fango-Verächter munkelten von Verbrennungs-Gefahren. Noch dieser Tage sei ein Ehemann wutentbrannt unter Zurücklassung seiner Frau abgefahren, weil man ihm die Po-Backen verätzt habe. Ich vertraute den strahlenden Gesichtern der Fango-Jünger und nun stand meine erste Anwendung bevor.
Im Morgengrauen fuhr ich mit gemischten Gefühlen per Aufzug in den Orkus des Hotels hinab, der nur dem Benefiz des Fango gewidmet war. Man geleitete mich sogleich in meine Kabine, wo ich mich in aller Ruhe freimachen sollte. Dort wartete ein großer Haufen Fango von undefinierbarer grau-brauner Farbe darauf, seine Heilkräfte an mir erproben zu können. Ich vermeinte, dass sich ein feiner bläulicher Qualm über dem Fladen kräuselte, schalt mich dann aber gleich einen Narren mit ängstlicher Vision. Vorsichtig berührte ich den Cumulus mit den Fingerspitzen, zuckte dann aber zurück: Molto caldo.
Nun kam der Fango-Maestro und redete beruhigend auf mich ein: „Nix avanti, abbiamo tutto il tempo del mondo. Facciamo molto piacevole.“ Um das zu bestätigen, war er schon eine Minute später wieder da. Ich wollte jetzt nicht feige erscheinen und ließ mich ganz piano in die „Murre“ delegieren.
Vorher hatte ich noch auf einem Abstelltischchen ein Behandlungsmuster des Arztes entdeckt. Die linke Schulter und die Brust sollten mit Fango bedeckt werden und die rechte Schulter sollte frei bleiben. Aber der Fango-Maestro, ein alter Praktiker, ignorierte die Behandlungsvorschrift des Akademikers großzügig. „Du müssen schön schwitzen. Das sein sehr gesund“, meinte er und bedeckte meinen Oberkörper reichlich mit Fango, den er von den Seiten her mit Hilfe eines Tuchs eng an meine Hüften und seitlich angelegten Arme presste, sodass ich mich starr wie eine Mumie nicht rühren konnte. Wie zum Spott legte er mir noch ein Schweißtüchlein griffbereit, aber unerreichbar für den Eingeschlammten vor das Kinn und verschwand.
Ich lag regungslos in meinem Prokrustbett und schon bald bildeten sich die ersten Schweißtröpfchen auf meiner Stirn. Es dauerte nicht lange, bis mir einer von ihnen ins Auge rann und entsetzlich juckte. Doch was sollte ich machen, ich war gefesselt und die Minuten schlichen quälend voran. Da öffnete sich die Tür und Kalliope, eine wunderschöne Badenymphe, schwebte strahlend lächelnd herein, fragte nach meinem Befinden, sah mein tränenfeuchtes Blinzeln und befreite mich durch zartes Tupfen mit dem Tüchlein von dem beißenden Schweiß.
„E solo un quarto d’ora “ meinte sie tröstend und schon war sie verschwunden.
Der Fango war von hervorragender Qualität und bald bissen sich neue Schweißperlen in meinen Augen fest. Ich ermahnte mich zur Mannhaftigkeit, doch auch die Erinnerung an meine klassische Schulbildung konnte den Juckreiz nicht lindern:
„Von der Stirne heiß,
Rinnen muss der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben ….“
Wie sehnte ich mich nach Kalliope, aber sie musste schönere Augensterne unter ihren Patienten erblickt haben.
Endlich kam der Maestro, wischte mir mit kräftiger Hand mit einem Rutsch den Schweiß von der Stirne und schickte mich ins erlösende Entspannungsbad.
Gleichwohl war ich fest entschlossen, den Fango-Qualen ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Aber ein unverbesserlicher Fango-Fan verriet mir, dass die göttliche Kalliope irdischen Gaben durchaus zugänglich war. Nachdem ich das sogleich beherzigt hatte, schwebte sie bei den folgenden Anwendungen noch anmutiger in die Kabine, lächelte noch entzückender und der Schweiß hatte keine Chance mehr, sich zu entfalten.
Ganz ehrlich, lieber Leser, auch die Zweifel bezüglich der Leuchtkraft meiner Augensterne sind verflogen.

© Ekkehart Mittelberg, Mai 2016

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Kommentare zu diesem Text


 TrekanBelluvitsh (16.05.16)
Eine italienisch-fangoreiche Spielart von "guter Bulle - böser Bulle".

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.05.16:
Merci, Trekan, du meinst doch mit dem "guten Bullen-bösen Bullen" nicht den Fango-Maestro? Der war ein bisschen tollpatschig, aber durchaus gutherzig. )

 loslosch (16.05.16)
in der tat, die augensterne verhindern neuerdings jeglichen vertipper. der ophthalmologe empfieht ab sofort fango.
(Kommentar korrigiert am 16.05.2016)

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 16.05.16:
Gracie, Lothar, du weißt nicht, wie sehr ich dir vertraue. Ich probiere das glatt aus, auf deine "Empfehung".

 harzgebirgler (16.05.16)
hüllt selbst die "GLOCKE"n erst der schlamm / schwillt einem kaum mehr noch der kamm. lg vom harzgebirgler, der deinen beitrag mit schmunzeln las

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 16.05.16:
Merci, so ist es:
Sind die Glocken richtig heiß,
fließt nichts mehr, nur der Schweiß.
LG
Ekki
chichi† (80)
(16.05.16)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 16.05.16:
Merci, Gerda, ich werde beim nächsten Mal versuchen, in der Reglosigkeit meine Muse anzurufen. Vielleicht erbarmt sie sich meiner. )
LG
Ekki
Sätzer (77)
(16.05.16)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 16.05.16:
Danke, Uwe, wenn man es richtig praktiziert, sind beide sehr heiß.
LG
Ekki
Sätzer (77) meinte dazu am 16.05.16:
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 millefiori (16.05.16)
Lieber Ekki,
teil schmunzelnd, teils mitleidend habe ich Deine geschichte gelesen.
Ich empfinde es auch als unangenehm so eingepackt zu sein, dass man sich nicht rühren kann, zumal ich schwitzen hasse.

Liebe Grüße
millefiori

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.05.16:
Grazie, Millefiori, beim Fango ist es ja noch akzeptabel, aber wenn Dichter schwitzen, wird es richtig peinlich. )
Liebe Grüße
Ekki

 millefiori meinte dazu am 16.05.16:
Ja, da hast Du recht. ;)
Agneta (62)
(16.05.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.05.16:
liebe Monika,
merci, es wäre meiner Anekdote schlecht bekommen, wenn ich mich auf die Heilwirkung des Fango ernsthaft eingelassen hätte. Ich bin sicher, dass er muskuläre Probleme, wie ich sie hatte, löst, ein gesundes Herz vorausgesetzt.
Liebe Grüße
Ekki
Graeculus (69)
(16.05.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.05.16:
Merci, Graeculus, solltest du auch einmal in die Verlegenheit einer Fango-Kur kommen, rate ich dir, schlauer als ich rechtzeitig die Fango-Nymphe für dich zu gewinnen. Dann bist du gegen die Gefahren des Fango gefeit und musst nur dein Herz gegen die Nymphe sichern.

 niemand (16.05.16)
Sehr, sehr amüsant geschrieben, schade nur, dass ich die italienischen Einlagen nicht verstehen konnte. Mein Mann hätte es mir übersetzen können, aber der ist grade auf einer Radtour.
Gab es das keinen polnischen, oder russischen Fango-Meister [?]
denn diesem hätte ich folgen können, so kann ich es mir
ahnend "denken"
Mit schmunzelnden Grüßen, Irene
P.S. nur das "caldo" kenne ich, weil ich mir mal in Italien
die Finger fast verbrannt hätte. Wer denkt schon bei caldo
an Hitze ...

 loslosch meinte dazu am 16.05.16:
@irene: war doch nicht so schwer. nur an einer stelle stockte ich: "Ci sono solo un quarto d’ora". ich bin dort ein viertelstündchen allein. (das wirft fragen auf!)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.05.16:
@niemand: Gracie, Irene, ich bin sicher, dass die Gefahr eines Missverständnisses sehr gering ist, wenn du ahnend "denkst."
Schmunzelnde Grüße zurück
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 16.05.16:
@loslosch. Danke für deine Aufmerksamkeit. Jetzt ist der Text hoffentlich klar.

 loslosch meinte dazu am 16.05.16:
ich hab doch geschwindelt (solo = nur, allein). das semi fehlte. daher bewusst eigenwillig übersetzt. richtig: ich bin (gleich wieder) da. nur eine viertelstunde (geduld).
Festil (59)
(18.05.16)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 18.05.16:
Vielen Dank für deinen Hinweis auf Rick Hofmann, Festil.
Dein Verweis auf die Schweißtropfenauffangmikrodrohnen scheint auf den ersten Blick grotesk, aber was ist heute schon grotesk, wenn es um die Einsparung von Arbeitsplätzen geht. )
Liebe Grüße
Ekki
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