Grenzbewegung II

Skizze zum Thema Grenzen/ Grenzen überschreiten

von  blauefrau

Der Nachbar meiner Mutter kennt seine eigene Grenze nicht. Er lässt die Grenze über den Eckstein wandern, da musste zur Klärung dann das Katasteramt (?) ran, direkt dahinter hat er seine Hecke angesiedelt, die möglichst dicht werden soll, damit niemand hindurch schauen kann, und wenn er seine Hecke schneidet, lässt er gelegentlich Blätter und Zweige auf dem Grundstück meiner Ma liegen. Tritt sich vielleicht auch fest. Er stellt sein Auto auf den behindertengerecht erstellten Platz vor dem Haus meiner Mutter. Dort parkte für ihn und seine Frau auch schon der Krankenwagen, dagegen lässt sich nichts sagen und man darf da auch nichts sagen. Das waren Notfälle. Doch warum parkt er sonst da?
Am besten wäre der Nachbar gar nicht da, wo doch die früheren Nachbarn sich an die Grenzen gehalten haben und nie ohne Grund darüber getreten sind. Der Grund liegt im Auge des Betrachters. Wenn der Betrachter oder Besitzer des Grundstücks es für richtig hält, darf der Nachbar einen Fuß auf sein Grundstück stellen. Was der Grenzgänger,  der Über - die - Grenzen - Gänger, denkt, wissen wir oft nicht. Niemand sagt: Komm, lass mich deine Grenze überschreiten! Irgendwer sagt: Kann ich zu dir kommen? Darf ich dich mal anfassen? Oder er tut es einfach. Und erst dann stellt sich heraus, ob er eine Grenze überschritten hat. Dann erst merken wir, ob wir nicht wollen, dass jemand in unseren inneren Zonen geht, ob da die Grenzen schon waren oder ob sie noch kommen. Wir benötigen ein Vorrücken, eine Annäherung, um uns unserer selbst zu vergewissern. Und wenn wir es nicht tun, muss es der andere tun. Wir können uns beide annähern, dann verlassen wir den Platz, den Stammbaum, wir setzen einen Fuß vor, strecken eine Hand nach vorn aus, stoßen uns, verbrennen, ziehen die Hand zurück, heilen, tasten uns mit den Händen weiter vor.

Magnete, Pole. Späne fliegen, Steine bewegen sich.
Spuren, die umeinander kreisen, Kreise, die ineinander spuren. Neuschnee, in den wir uns gebären, einer setzt die erste Spur, der nächste folgt in seinen Fußstapfen, wir mischen uns, wir vermischen uns, nicht alles lässt sich mehr trennen, allein war gestern, an der Nabelschnur strampeln wir alle.

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(18.09.16)
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 blauefrau meinte dazu am 19.09.16:
... und es gibt persönliche Grenzgebiete, bei denen nie ganz klar ist, ob eine Grenze schon überschritten ist oder noch nicht ... und es hängt von Kleinigkeiten und Zufällen ob, ob jemand durch diese persönlichen Grenzgebiete zum andern gehen kann oder ob sich ein Minenfeld auftut ...
(Antwort korrigiert am 19.09.2016)
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