Amos, Opa Hermann und der Wahlkampf

Satire

von  Reliwette

„Da geht doch noch etwas“

„Komm, Amos, schnell! Auf dem großen  Parkplatz des Einkaufszentrums sind Stände aufgebaut worden. Dort werben Wahlhelfer für die Kommunalwahl am Sonntag.“

Das Piratenschaf  reckte seinen Kopf in die Höhe. „W-w-was  ist los, Opa Hermann? Muss ich da mit hin? Ich darf doch gar nicht wählen, weil ich noch keine sechzehn Jahre alt bin. Und überhaupt, dürfen Schafe überhaupt wählen?“
„Pöh,“, ließ sich jetzt der alte Mann vernehmen, „das ist mir alles schnurz-piepegal, aber da gibt es jedes Mal etwas abzustauben.“
„Abstauben, Opa Hermann, wie meinst du das?“
„Na mitnehmen, Wahlgeschenke abstauben, einsacken!“
„Au fein!“ Amos war sofort Feuer und Flamme für das Vorhaben. „Gibt es da auch Kakao?“

Der alte Bergmann holte sein Fahrrad aus dem Schuppen und kuppelte den Anhänger an, auf dem das Piratenschaf  Platz nahm.
„Wir fahren jetzt zum „Multiple Cerebral-Markt“, da sind die meisten Stände der verschiedenen Parteien. Diesmal sollen es  neun sein, die für den Gemeinderat kandidieren.

Nach etwa 10 Minuten erreichten die beiden das Fahrtziel. Von weitem waren Stände zu sehen,
die mit bunten Luftballons oder Fähnchen geschmückt die Aufmerksamkeit der Kunden auf sich zogen.

„Die meisten von denen kenne ich!“ Opa Hermann schmunzelte. Seine Augen leuchteten. „Immer eine Gelegenheit für mich, ein paar überflüssige Fragen zu stellen und gute Laune zu verbreiten!“

„Das Fahrradgespann stört etwas“, sagte Opa Hermann, „wir müssen dichter ans Geschehen, sonst wird es nicht lustig! Wir schieben es an den Rand des Parkplatzes und mischen uns dann unter das Volk.“

Der erste Stand war  von der SPD. Zwei Herren im leichtem Bieranzug und großem SPD-Button
am Revers repräsentierten die rotgefärbte Volkspartei im Gemeinderat.
Opa Hermann drängte sich vor, dicht gefolgt vom Piratenschaf. „Hallo Jens, naaaa, heute Standdienst? Wie läuft es denn so?“ Der Angesprochene kannte Opa Hermann von mehreren Treffen und Gesprächen her. Sein Zahnpastalächeln verstrahlte Optimismus in seine Umgebung:
„Alles bestens soweit! Du weißt ja, wo morgen die Kreuzchen hingehören? Drei Stück darfst du diesmal auf uns verteilen!“ Opa Hermann machte ein Pokergesicht: “Was habt ihr denn da Schönes für mich auf dem Tisch liegen?“ „Kugelschreiber, hier bitte, einen Chip für den Einkaufswagen, brauchst noch einen Schlüsselanhänger?“ Opa nahm alles mit, was sich ihm feil
bot. Amos Kopf tauchte auf: „Für mich bitte Kakao!“
„Nanu, seit wann kannst du Bauchreden?“
„Nee, das ist Amos von der Piratenmannschaft!“
„Dann bist du hier aber am falschen Stand! Die Piraten stehen mit ihrem Stand am Marktplatz!“
„Piraten gehören auf ein Schiff“, blökte Amos,  „und nicht auf den Marktplatz.“
„Ihr kriegt bei dieser Wahl zwei Mandate weniger“, orakelte Opa Hermann und genoss das verdutzte Gesicht seines Gegenübers.
„Neeeei, wie kannst du sowas sagen, gib die Kugelschreiber wieder her!“
„Will mal schauen, was eure Mitbewerber so raushauen, aber ihr habt mit der CDU etwas Gemeinsames!“
„Sooo? Wat denn?“
„Die machen auch zwei Mandate Verlust. Ich gehe mal eben rüber, um ihnen die frohe Botschaft zu verkünden. Machs gut, alter Kämpfer!“

Amos und Opa Hermann gingen zielstrebig auf den CDU-Stand zu, der unweit für Stimmen warb. „Hei, Clemens“, begrüßte der alte Herr einen der Parteiwerber, „dieses Mal Verstärkung geholt?“ Opa Hermann nickte der jungen Dame zur Begrüßung zu, die das Team verstärkte,  „Aber sicher, ohne Frauen läuft bei uns gar nichts! Du gehst ja auch auf zwei Füßen!“
Opa Hermann griff nach vier Kugelschreibern und einem Miniaturkompass. Dann schielte er nach einem Flaschenöffner. „Kann ich den auch haben?“
„Na klar, Opa Hermann, kostet nur drei Kreuze!“
„Wer von Euch muss denn morgen Abend seinen Stuhl im Gemeinderat räumen?“wollte Opa Hermann noch wissen. „Ihr verliert zwei Sitze, tut mir Leid!“
„Hau bloß ab, Du Fiesorakel, geh zu den GRÜNEN und erzähl denen eine Pleite! Und gib die Kugelschreiber wieder her!“
Opa Hermann ließ ein meckerndes Lachen ertönen: „Hol ji wat, ich drück Euch die Daumen, dass es sich nur um zwei Sitze handelt!“

„So, Amos, und nun zu den GRÜNEN! Bin mal gespannt, was die anzubieten haben!“
„Zum Abstauben?“ Opa Hermann streichelte Amos über den Wollschädel: „Du lernst schnell, kleiner Freund!“
Amos strahlte.
Der Stand der GRÜNEN war auch dreifach besetzt: zwei Männer, eine Frau. „Johann, welche Freude!“ eröffnete Opa Hermann das Gespräch. Er kam gleich zur Sache: „Was habt ihr denn im Angebot? Ich sehe schon, schöne rote Äpfel! Darf ich?“ „Aber lass noch etwas für die anderen  übrig!!“  „Welche anderen? Und was ist mit den Kugelschreibern? Fallen ja etwas flau aus. Was ist da drin? Zitronensaft?“
Opa Hermann bediente sich reichlich. „Einen Chip für Einkaufswagen könnte ich noch unterbringen!“
„Alte Heulboje!“, sagte  Amos zur Begrüßung. Opa Hermann schaute streng auf ihn herunter: „Das sagt man doch nicht!“ „Ich brauche Kakao“, sagte das Piratenschaf, „ich laufe trocken!“

„Hier, nimm noch unser Parteiprogramm mit“, empfahl Johann, damit du weißt, wo deine drei Kreuze hingehören, wenn du in der Wahlkabine stehst!“ „Du meinst die Blechumrandung ?“

Jetzt war es Zeit, auch den GRÜNEN eine Prophezeiung zukommen zu lassen. Opa Hermann hob die Stimme: „Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, ihr büßt morgen einen Sitz im Gemeinderat ein. Das liegt aber nicht an den billigen Kugelschreibern, sondern an der AfD!“

„Die tritt doch gar nicht hier an“, belehrte Johan . „Eben, eben“, sagte Opa Hermann, „die kosten die bürgerlichen Parteien Stimmen, obschon sie gar nicht sichtbar sind!“

Als sie wieder daheim angekommen waren, entleerte Opa Hermann seine ausgebeulten Taschen.
„Etwas Gutes haben die Kommunalwahlen.“ Er zählte mit dem Zeigefinger über das abgestaubte Inventar seiner Hosentaschen: „16 mal Kugelschreiber, 10 Chips für Einkaufswagen, fünf Flaschenöffner, drei Kompasse, vierzehn Schlüsselanhänger und jede Menge Luftballons. Das reicht bis zur kommenden Bundestagswahl!“

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