Wie dosiert man ein Leben?

Text zum Thema Meditation

von  Hans

Wie dosiert man ein Leben?

Eine Schlüsselfrage, die mich als passionierten Weizenbiertrinker umtreibt.
Erstaunlicherweise gibt es an der Ostsee, wo ich den Urlaub verbringe, bayrisches Weizen, genauer Erdinger Hefe in der 0,5 Literflasche.
Über die Unart Bier in Plastikflaschen zu trinken, äußere ich mich an dieser Stelle nicht. Nur so viel: Plastik bedroht nicht nur unsere Meere!
Im Laufe der Jahrhunderte hat sich herauskristallisiert, dass der halbe Liter Bier, auch liebevoll die Halbe genannt, die geeignete Dosis ist, um dieses Getränk vollendet zu genießen. Auch daher bevorzuge ich Kristall ohne Zitrone wie Rainer in Sven Regeners „Herr Lehmann“.
Diese Dosis, die sich bequem vervielfachen lässt ( 2 Halbe, 3,4,5... n – Halbe), stellt ein Ideal dar und entspricht damit in des Philosophen Hegels Verständnis dem Absoluten. Dieses Absolute ist nicht empirisch erfassbar, sondern ein Ergebnis der begrifflichen Arbeit der Vernunft, die so in der Lage ist, auch das Unbedingte zu erkennen. Sie transzendiert das Hier und Jetzt in seiner flüchtigen Endlichkeit und gelangt kraft ihrer Fähigkeiten zur Erkenntnis der Wahrheit.
Eine solche metaphysische Anstrengung bedeutet mühevolle und saure Arbeit, der sich nur wenige Menschen unterziehen.
Hegel gehört zu diesen. Er war Weintrinker. Otto A. Böhmer kommt in seiner Erzählung „Hegel & Hegel oder der Geist des Weines“ zu folgendem Fazit:
„Der Wein hat manche große Tat hervorgebracht, so Georg Christoph Lichtenberg. Das gilt auch für Georg Wilhelm Friedrich Hegel und seine >>Drei-Liter-Philosophie<<.
Was für eine glänzende Bestätigung der Grundthese des Dosismus!
Nur andeutungsweise sei verwiesen auf einen völlig neuen Horizont des Verständnisses und der Interpretation, die sich aus der Berücksichtigung dieser (Über)Dosis ergeben.
Ähnliches gilt, um nur einen großen Namen zu nennen, für Goethes Werke, insbesondere seine späten Dichtungen.
Aber ich schweife ab, wie der virtuose Erzähler Jean Paul, ein passionierter Biertrinker. Jean Paul betont nachdrücklich, dass sein exzessiver Biergenuss seine Kreativität niemals einschränke, im Gegenteil, ohne Bier bleibe er rat – und ideenlos.
Wie viele begnadete und durchschnittliche Künstler stimmen da zu.
Jetzt wird es Zeit, dass ich bei Ehlers Fischräucherei ein Weizenbier bestelle. Oh Schreck, die haben nur Flensburger in der 0,33 Literflasche.
Verwirrt und niedergeschlagen trinke ich sie leer, setze mich auf eine Bank am Deich und betrachte trübsinnig die Ostsee.
Wie kann ich bei einer solchen Dosis künstlerisch produktiv sein?
Von der Erkenntnis der Wahrheit ganz zu schweigen.

Hans J. Eisel

erschienen in „Das Dosierte Leben Ausgabe 100b“

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