Die ganze Welt in einer Kaffeetasse Teil 1

Innerer Monolog zum Thema Weltanschauung

von  millefiori

Mit der Kaffeetasse in der Hand sitze ich in meinem Gartenstuhl auf der Terrasse.
Die Sonne scheint heute Morgen ausnahmsweise einmal und der Himmel zeigt sein blauestes Gesicht, gerade  als wolle er über den bisherigen unbeständigen, verregneten Sommer hinweg täuschen.
Ich sitze gerne hier, wenn alle noch schlafen und genieße die Ruhe. Ich bewundere die letzten Sommerblüten mit ihrer Farbenpracht. Das saftige, grüne Gras bietet den perfekten Kontrast dazu. Ich spüre die Wärme der Tasse in meiner Hand und der Duft des Cappuccinos steigt mir in die Nase. Einen Moment schließe ich die Augen und meine Gedanken schweifen ab in ein anderes Land, zu Özlem, einer Freundin.
Wie ist es wohl in ihrer Heimat, der Türkei? Man trinkt dort bevorzugt Tee, aber auch den starken Mokka in kleinen Porzellantassen. So, wie ich sie kenne, hat sie es sich um diese Uhrzeit in dem kleinen Innenhof vor ihrem Haus gemütlich gemacht. Unter dem fuchsiafarbenen Dach der von Bougainvilleen zugewachsenen Pergola. Wie blaue Mosaikstückchen sieht man hie und da Teilchen vom Himmel durch die Blumenranken spitzen. Sie wird gerade, wie ich, den Frieden genießen, vielleicht eine Katze bei ihrer Morgentoilette beobachten und den Tag gelassen mit einer Tasse starken Mokka mit viel Zucker beginnen. Später wird der Trubel der Marktschreier, die ihre Waren anbieten, und der Lärm der vorbeifahrenden Autos, aus denen türkische Musik schallt,  die Stille aus dem Innenhof verbannen. Ob sie vielleicht auch gerade an mich denkt?
Ich nehme einen Schluck aus meiner Tasse und genieße die Süße des Zuckers.
Süß, in einem anderen Sinn, ist auch meine holländische Freundin Barbara.
Sie ist ein sehr positiver Mensch, der schon von innen heraus strahlt und alle negativen Gedanken mit ihrem Lachen vertreibt.
Richtig albern kann sie sein, herrlich!
Dort wo sie herstammt, trinkt man gerne öfter mal ein Kopje Koffie.
Für ein Kopje Koffie gibt es immer einen Grund, deswegen gibt es dafür auch keine festgelegte Zeit. Man trinkt ein Kopje um mit der Nachbarin die neuesten Ereignisse zu bequatschen oder mit der Schwester, um über alte Familiengeschichten zu plaudern, oder mit dem Staubsaugervertreter - einfach nur so.
Für einen lecker Koffie ist immer Zeit.
Die Holländer sind einfach ein freundliches, gemütliches Völkchen.
Ich fahre mir mit der Zunge über die Lippen, um mir den Milchbart zu entfernen.
Propellerartiges Flügelschlagen holt mich zurück nach Deutschland auf meine Terrasse.
Ein kleiner, frecher Spatz ist im Anflug. Als er mich im letzten Moment entdeckt, überlegt er es sich anders und setzt sich lieber in den großen Forsythienbusch, ganz tief in den Schutz der Blätter und dort schimpft er aus Leibeskräften.
"Was sitzt Du hier? Was machst Du hier? Die anderen schlafen alle noch!"
Ich schmunzle nur über die Schimpftirade, er wird sich wieder beruhigen.
Die Spatzen in Italien sind genauso frech. Ob es dieselben sind? Ob sie von Deutschland nach Italien und umgekehrt reisen?
Italien ist mein zweites Heimatland. Dort beginnt man den Morgen meist ohne Frühstück.
Naja, gut, ein paar Biscotti vielleicht.
Zia Maria hat sich um ihr terracottafarbenes Landhaus eine grüne Oase geschaffen. Es sind nur zwanzig Minuten zu Fuß bis zum Meer.
In ihrem Garten sammelt sie außer Katzen auch Pflanzen aller Art.
Sie hegt und pflegt sie - die Katzen und die Pflanzen. Auf ihrem Terrain wächst und gedeiht alles, was sie für eine gute Pasta oder für ein bell` pranzo gebrauchen kann.
Die kurze Zeit in den Morgenstunden, die sie ganz für sich alleine hat, währt nicht lange.
Sobald der Rest der Familie sich aus den Betten geschält hat, gleicht die Wohnküche einem Bahnhofsplatz. Maria, wo hast du...! Maria, wo ist...! Alles redet durcheinander, sucht etwas, fragt nach der Uhrzeit, bis dann endlich alle zur Arbeit gefahren sind.
Wenn sie gegen halb zwei wieder nach Hause kommen, hat Maria schon ein dreigängiges Menü gezaubert. Oft kommen zu ihrer fünfköpfigen Familie noch die Nachbarin Angela mit ihrem Enkel Gian Luca dazu. Das ist aber nie ein Problem, denn in Italien wird immer so viel gekocht, dass locker noch fünf Mann mitessen können. Zwei Stunden kann so ein Mittagessen schon dauern. Man tratscht über die Nachbarn, sofern sie nicht am Tisch dabei sitzen, lacht ausgiebig über die neueste Anekdote von Nonna und ihrem neuen Handy und schimpft leidenschaftlich über Berlusconi, Renzi und die hohen Arbeitslosenzahlen.
Nach dem Mittagsschläfchen wird noch ein Espresso getrunken, bevor es wieder auf die Arbeit geht. Stark und schwarz und manchmal auch eiskalt, aus dem Kühlschrank, je nach Gusto. Zia Maria wird bis zum Abend noch genug zu tun haben.
Vielleicht besuche ich sie nächstes Jahr wieder einmal.

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